DOMRADIO.DE: Was hat Sie dazu bewogen, das Manifest "Kirchen sind Gemeingüter" zu unterzeichnen?
Prof. Barbara Schock-Werner (Ehemalige Kölner Dombaumeisterin): Eigentlich das Bewusstsein, dass heute doch sehr leichtfertig beschlossen wird, dass Kirchen nicht mehr gebraucht werden. Es wird nicht nachgedacht, ob man die vielleicht anders nutzen könnte. Man könnte den Schlüssel umdrehen und ein bisschen warten, aber man reißt die Bauten ab. Dadurch geht viel verloren.
Die Dortmunder, vor allem Frau Professor Barbara Wenzel und Herr Professor Wolfgang Sonne, haben sich sehr daran gestört, dass das unbestritten weiter grassiert und fordern nun eine Stiftung, die "Nicht-Kirchen", die aus der kirchlichen Trägerschaft entlassen wurden, wie zum Beispiel bei der Stiftung Industriedenkmalpflege übernimmt.
Bei der werden Industriebauten erst mal übernommen und dann gesichert oder anders genutzt. Das ist völlig richtig, weil Kirchen Bauten sind, für die Gläubige viele Jahre bezahlt haben. Das steht ebenfalls in dem Manifest, auch dass Kirchengebäude Gemeingut sind. Es gehört sozusagen den Gemeinden.
Deswegen sollen sie den Gemeinden in irgendeiner Weise erhalten werden. Damit sind nicht Kirchengemeinden, sondern die Gemeinschaft der Bevölkerung gemeint.
DOMRADIO.DE: Es gibt immer weniger Gottesdienstbesucher. Warum ist es trotzdem wichtig, dass es Kirchen gibt? Man könnte sie doch auch einfach verkaufen und Shopping-Malls daraus machen?
Schock-Werner: Die Leute haben früher dazu beigetragen, dass Kirchen das wurden, was sie heute sind. Sie sind städtebaulich oft Mittelpunkt der Gemeinden oder auch Mittelpunkt der Neubausiedlungen. Wenn sie verschwinden, verschwindet ein Kulturgut. Städtebaulich wie ideell darf das nicht verloren gehen.
Auch wenn darin kein Gottesdienst mehr stattfindet, sollte das Gebäude als Erinnerungsort, als dritter Ort unbedingt erhalten bleiben. Als sogenannten dritten Ort bezeichnet man Orte, die gemeinsam genutzt werden.
DOMRADIO.DE: Es gibt circa 42.000 Kirchengebäude in Deutschland im Besitz örtlicher Gemeinden. Da kommt ein gewaltiges Problem auf die Gemeinden zu, wenn das Geld fehlt, um die zu unterhalten, oder?
Schock-Werner: Ja, natürlich. Deshalb ist der Grund des Manifests, eine Stiftung zu gründen, die den Kirchengemeinden dabei hilft, die Gebäude zu erhalten oder diese Aufgabe übernimmt, wenn die Kirchengemeinden nicht mehr dazu in der Lage sind.
Das Manifest ist die Forderung einer öffentlichen und staatlich geförderten Stiftung parallel zur Stiftung Industriekultur, damit die die Verantwortung für Kirchengebäude übernimmt.
DOMRADIO.DE: Über die Stiftung sollten dann Staat und Gesellschaft die Verantwortung übernehmen?
Schock-Werner: Genau so ist das gedacht.
DOMRADIO.DE: Soll die spirituelle Bedeutung der Kirchen erhalten bleiben? Ist das auch angedacht?
Schock-Werner: Ja, natürlich. Die Bauten sollen nicht zu einem Spielcasino werden, weil es ein toller Raum ist. Andere Nutzungen kann es geben, aber es muss mit Respekt gegenüber der alten Ausstattung und der ursprünglichen Nutzung geschehen.
DOMRADIO.DE: Wie dringend ist das Problem?
Schock-Werner: Es werden vermehrt Kirchen abgerissen. Die Diözesanverwaltungen und auch die evangelischen Kirchen sehen einen Investitionsdruck. Wenn die Kirche weg ist, kann man das Grundstück verwerten und damit Geld verdienen. Das geschieht leider und das darf nicht geschehen.
DOMRADIO.DE: Es soll eine neue Trägerschaft über die Stiftungen geben. Wer kann es anschieben, dass sich auch der Staat beteiligt?
Schock-Werner: Das ist der Inhalt der Forderung, dass man sich zusammensetzt und parallel zur Stiftung Industriekultur eine Stiftung Kirchenbaukunst mit dem Staat, Gemeinden oder auch Mäzenen gründet. In die Stiftung Industriekultur bringen sich viele lokale Unterstützer ein. Man kann sich vorstellen, dass sich beispielsweise ein Werk, ein Unternehmen oder ein Ort daran beteiligt, den Kirchenbau in der Ortsmitte zu erhalten.
DOMRADIO.DE: Wie ist die Reaktion der Kirchen auf ihr Manifest?
Schock-Werner: Wir haben erstaunlich viele geistliche Unterschriften bekommen, auch von Kirchen-Verantwortlichen, die das anders sehen als die oberste Verwaltung. Die bedauern auch, dass die Orte, die geistliche Zentren waren, leichtfertig aus der Landkarte verschwinden sollen.
Das Interview führte Johannes Schröer.