Eichstätter Bericht zeigt Abgrund im Missbrauchsskandal

Bischof als Fluchthelfer eines übergriffigen Priesters

Ein Bischof und sein Generalvikar haben die Strafverfolgung eines polizeilich gesuchten Priesters aktiv behindert. Dieser Vorwurf steht nach einem neuen Untersuchungsbericht aus Eichstätt im Raum. Und er wiegt schwer.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
 Eichstätter Dom
 / © Christopher Beschnitt (KNA)
Eichstätter Dom / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Von Priestern begangener sexueller Missbrauch wurde jahrzehntelang von ihren Vorgesetzten vertuscht - das ist eine traurige Wahrheit, die niemand mehr bestreitet. Trotz bekannter und plausibler Verdächtigungen auf eine Anzeige bei der Polizei zu verzichten, mag moralisch verwerflich sein, eine solche Pflicht sieht das deutsche Recht aber nicht vor.

Ein am Donnerstag von der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Bistum Eichstätt vorgestellter Zwischenbericht zu einem besonderen Einzelfall lässt nun in einen neuen Abgrund blicken.

Die Bewertung ist vorläufig, noch müssten weitere Akten auch anderer Institutionen studiert werden, heißt es darin. Aber die Formulierung ist bei aller Zurückhaltung deutlich: Allem Anschein nach haben ein früherer Bischof und sein Generalvikar die Strafverfolgung eines mit Haftbefehl gesuchten Geistlichen in den 1960er und 1970er Jahren aktiv behindert. Damit könnten sie selbst eine Straftat begangen haben.

Eichstätter Diözesanpriester auf der Flucht

Zunächst zum Fall, über den seit einigen Wochen Medien intensiv berichten: Im Sommer veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz eine Studie der Kölner Rechtsanwältin Bettina Janssen. Darin geht es um mit Missbrauchsvorwürfen belastete Priester, die ins Ausland entsendet wurden. Unter dem Kürzel "FD-04" ist darin auch von einem Eichstätter Diözesanpriester die Rede, der 1969 erst in Afrika abtauchte und 1973 nach Brasilien weiterzog, während ihm deutsche Ermittler auf den Fersen waren. Erst viele Jahre nach Einstellung der Fahndung kehrte er nach Deutschland zurück und konnte offenbar unbehelligt bis zu seinem Ruhestand als Seelsorger weiterarbeiten.

Ein bayerischer Haftbefehl vom 3. April 1969 listet fünf weibliche mutmaßlich Geschädigte auf. Sie waren 1966 bis 1969 etwa 9 bis 17 Jahre alt, von mehreren Taten schweren sexuellen Missbrauchs ist detailliert die Rede. In anderen Schriftstücken fand die Eichstätter Aufarbeitungskommission «noch diverse Aussagen und Andeutungen von Vorgesetzten zu weiteren Missbrauchsfällen». Sie geht insgesamt von etwa zehn Minderjährigen aus, an denen sich der Priester bis 1969 vergangen haben soll.

Die Vorwürfe waren bekannt

Schon vor seiner Priesterweihe 1956 fällt der Mann durch distanzloses Verhalten gegenüber Mädchen auf, ab 1965 sind dem Bericht zufolge sexuelle Übergriffe dokumentiert, spätestens seit 1967 müssten sie im Führungszirkel des Bistums Eichstätt bekannt gewesen sein, insbesondere Alois Brems, dem damaligen Generalvikar, heißt es.

Als die Polizei 1969 zu ermitteln beginnt, ist Brems schon Bischof. Die Eichstätter Bistumsleitung versucht zunächst, den Priester in Nachbarbistümern unterzubringen, in Augsburg und in München-Freising. Doch dort lehnt man ab. Anfang März befindet sich "FD-04" offenbar in der Abtei der Benediktiner in Münsterschwarzach.

Heimlich fortgesetzte Besoldung

Die genauen Umstände und der Zeitpunkt seiner Flucht aus Deutschland sind unklar. Seit Sommer 1969 versteckt sich der gesuchte Geistliche in Tansania in der Diözese Njombe, die zu Münsterschwarzach Verbindungen unterhält. Es gibt Hinweise, dass von der Abtei regelmäßig Geld des Bistums an den Geistlichen weitergeleitet wurde, getarnt als Missionsspende. Die heimlich fortgesetzte Besoldung hat das Untertauchen von FD-04 nach Auffassung der Aufarbeitungskommission nicht nur gefördert, sondern vielleicht sogar erst ermöglicht.

Laut dem Zwischenbericht wusste die damalige Eichstätter Bistumsleitung entgegen ihren Behauptungen gegenüber den Ermittlern frühzeitig, wo sich der gesuchte Priester aufhält. "Bei Weiterleitung dieser Informationen hätte die Staatsanwaltschaft das Ruhen oder die Unterbrechung der Verjährung sowie gegebenenfalls einen Auslieferungsantrag veranlassen können."

Strafverfolger klappen Ermittlungsakte zu

So aber klappen die Strafverfolger zum Jahresende 1976 den Deckel ihrer Ermittlungsakte zu. Der Weg zurück in die Heimat ist frei.

FD-04 beschreitet ihn aber erst acht Jahre später und nimmt dabei einen Umweg über das Erzbistum München und Freising, wo es nun keine Vorbehalte mehr gegen seinen Einsatz in der Gemeindeseelsorge zu geben scheint.

Mitbruder mit leidvollem Weg

In einem gesonderten Rechtsgutachten will die Eichstätter Kommission nun die - auch strafrechtliche - Verantwortlichkeit der damaligen Bistumsführung klären lassen. Für mindestens moralisch verwerflich hält die Kommission, dass kirchliche Führungskräfte in FD-04 keinen Täter, erst recht keinen Schuldigen sahen, sondern einen "Mitbruder, der, aus welchen Gründen auch immer, einen leidvollen Weg gehen musste". Das Zitat stammt aus einem Brief des damaligen Generalvikars Josef Pfeiffer.

Weitere Fluchthelfer vermutet die Kommission außer in der Eichstätter Bistumsleitung auch in der Abtei Münsterschwarzach. Doch dort heißt es knapp, trotz intensiver Suche nach möglichen Hinweisen hätten sich keinerlei Unterlagen gefunden. "Zeitzeugen, die Auskunft geben können, sind mittlerweile verstorben."

Staat muss Aufarbeitung von Missbrauch in Kirche übernehmen

Die SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag will bei der Missbrauchsaufarbeitung der Kirche den Staat stärker in die Pflicht nehmen. "Die Verantwortlichen in der Kirche haben es aus eigener Kraft nicht geschafft, die Missbrauchsfälle in ihren Reihen so aufzuklären, wie es aus Sicht der Opfer und der Öffentlichkeit angemessen gewesen wäre", heißt es in einem am Dienstag veröffentlichten Antrag, der der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt. "Deshalb muss der Staat im Sinne seines partnerschaftlichen Verhältnisses zur Kirche diese Verantwortung jetzt übernehmen."

Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA