DOMRADIO.DE: Wie bewerten Sie den Aufruf des Bamberger Erzbischofs?
Prof. Dr. Wolfgang Thönissen (Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn): Ich denke, dass Erzbischof Schick das in die Überlegungen unseres heutigen ökumenischen Dialogs, vor allen Dingen zwischen der evangelisch-lutherischen und der katholischen Kirche, hineingestellt hat.
Kardinal Koch, der Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, hat das ja auch zu einem ganz großen Projekt gemacht und damit auch verschiedene regionale und lokale Initiativen, also ökumenische Dialoginitiativen, aufgerufen. Hier erinnere ich an das Dokument, das die evangelisch-lutherische und die katholische Kirche in Finnland unter dem Titel "Wachsende Gemeinschaft" auf den Weg gebracht haben.
Das sind derzeit Überlegungen, die auch in Deutschland vorangetrieben werden. Das ist jetzt aber nicht in dem Sinne ein ganz konkretes Projekt, als wäre morgen die gegenseitige Anerkennung der Ämter schon beschlossene Sache, sondern man muss das in diesem weiteren, eher historischen Rahmen sehen. Dann bekommt das Ganze Sinn.
DOMRADIO.DE: Sie sagen "evangelisch-lutherisch".
Thönissen: Ich unterscheide zwischen den evangelischen Landeskirchen in Deutschland, die ja lutherisch, uniert oder reformiert sind.
Der Dialog, von dem ich gesprochen habe, ist ein evangelisch-lutherischer-katholischer Dialog. Da hat es auf Weltebene in den letzten Jahrzehnten auch die meisten Dokumente gegeben. Wir haben hier eine gewisse Differenzierung, und diese Differenzierung wird in Deutschland nicht immer so klar durchgehalten.
Wir haben auch den Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologinnen und Theologen. Dieser Arbeitskreis ist mindestens von seiner Geschichte her zunächst einmal aus dem lutherisch-katholischen Dialog hervorgegangen oder ist die Initiative zu einem solchen Dialog gewesen.
Heute ist der Arbeitskreis verbreitert, indem auch reformierte und unierte Theologinnen und Theologen an diesem Dialog teilnehmen; das entspricht der Situation der evangelischen Kirchen in Deutschland. Und das macht diese Differenz aus, die ich vor allen Dingen aus der Weltperspektive sehe.
Wenn Rom über diese Fragen spricht, hat Rom immer eher die evangelisch-lutherische Kirche im Blick. Wenn wir in Deutschland auf diese Perspektive blicken, haben wir eher die EKD und im weitesten Sinne die protestantischen Kirchen vor uns. Und da sieht der Dialog natürlich ein Stück weit anders aus.
DOMRADIO.DE: Gibt es also auch noch Unterschiede in der Wahrnehmung von Ämtern und von Sakramenten, insbesondere von Eucharistie und Abendmahl, auch innerhalb des Protestantismus?
Thönissen: Auch das ist wiederum eine Frage, die von der jeweiligen Perspektive abhängt. Wenn Sie die deutsche Perspektive heranziehen, dann würden unsere evangelischen Theologinnen und Theologen sagen, dass diese Unterscheidung zwischen evangelisch und lutherisch keine Rolle mehr spielt.
Da ist auch was dran, weil die evangelischen Kirchen in Deutschland und auch die Theologie versuchen, diese hergebrachten Differenzierungen im konfessionellen Bekenntnis zu überwinden, während sie weltweit ganz anders betrachtet werden, weil wir es hier mit den konfessionellen Weltbünden zu tun haben. Die stellen natürlich ihr jeweiliges traditionelles herkömmliches Bekenntnis in den Vordergrund.
DOMRADIO.DE: Von katholischer Seite wird Wert darauf gelegt, dass das Eucharistieverständnis vom Amtsverständnis der römisch-katholischen Kirche abhängig ist. Wir haben beim Aufruf des Bamberger Erzbischofs also eine Art Gesamtpaket. Wo liegen denn da die Steine im Weg, was die gegenseitige Anerkennung anbelangt?
Thönissen: Wir haben in dem ja schon bekannten Votum "Gemeinsam am Tisch des Herrn" des Ökumenischen Arbeitskreises eine gemeinsame Aussage gefasst, dass für eine volle Abendmahls- oder Eucharistiegemeinschaft eine gegenseitige Anerkennung der Ämter Voraussetzung ist.
Das schließt natürlich ein, dass auch die Fragen der Eucharistie - Was ist Eucharistie? Was verstehen wir darunter? Wie gehen wir mit den traditionellen kontrovers-theologischen Fragen um? - mit eingeschlossen sind. Eine Klärung dieses Zusammenhangs zwischen Kirche, Eucharistie und Amt ist zwingend notwendig, um von einer - jetzt sage ich das mal so - vollen Abendmahls- oder Eucharistiegemeinschaft zu sprechen.
Jetzt gehen wir mal ins Detail. Welche Fragen müssten im Kern geklärt werden? Das ist einmal in der Frage der Eucharistie die Frage: Was bedeutet die Gegenwart Jesu Christi? Die volle, wirkliche Gegenwart in, mit und unter den Elementen, um es einmal so auszudrücken. Die Frage der Transsubstantiation, die Frage des Opfers und des Opfercharakters.
Der ökumenische Dialog hat hier in den letzten Jahrzehnten erstaunliche Ergebnisse herbeigeführt. Wir können bei diesen theologischen Fragen durchaus von einem bestehenden Konsens mit Differenzen sprechen. Es ist kein voller Konsens, aber es ist tatsächlich eine Verständigung erzielt worden.
Die zweite Frage ist jetzt die: In welchem Verhältnis stehen Eucharistie und Amt? Also, wer verwaltet das Sakrament der Eucharistie? Auch da haben wir wirklich eine Verständigung erzielt, so dass wir aus den Gegensätzen raus sind. Hier nur das Amt mit Priesterweihe, dort das Amt, das aus der Gemeinde hervorkommt.
Diese Entgegensetzung haben wir ein Stück weit hinter uns. Aber es bleibt das Problem der apostolischen Sukzession. Es bleibt das Problem der Stellung des Episkopates, also der Episkopalverfassung, also lehramtlichen Fragen. Die bleiben weithin noch ungeklärt. Das macht das Grundproblem aus.
Wenn wir von einer gegenseitigen Anerkennung der Ämter sprechen, müssen wir sagen, dass diese Fragen mindestens zunächst einmal mit in den Klärungsprozess einbezogen werden müssen. Das macht der Ökumenische Arbeitskreis mit seinem Votum deutlich. Aber ich sehe noch keinen wirklichen Konsens. Darüber streiten wir uns derzeit noch, das ist ganz klar.
DOMRADIO.DE: Werden denn diese Fragestellungen an der Basis überhaupt noch als Problem wahrgenommen? Wähend einer Veranstaltung in einer Akademie des Bistums Essen sprach die Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises Essen davon, dass sie "Frauen zu Priesterinnen weiht". Wenn also selbst Leute, die Theologie studiert haben, die Begriffe durcheinanderbringen, dann wundert es doch nicht, dass der normale Laie da auch nicht mehr durchblickt und die Differenzen versteht.
Thönissen: Den Eindruck kann man durchaus gewinnen. Wir haben es tatsächlich mit verschiedenen Begriffen zu tun, die im Kern auf eine gemeinsame Realität zurückzubeziehen sind. In der Regel kann man das auch machen. Für uns stehen dahinter natürlich die historische Umstände der Reformation.
Auf der anderen Seite zeigt die ganze Bandbreite der Fragestellungen, die derart kompliziert, komplex ist, dass selbst Experten wie ich manchmal etwas durcheinander geraten. Allerdings müssen wir uns davor hüten zu sagen, dass das alles nebensächliche Fragen sind und die Menschen das sowieso nicht mehr verstehen.
Das Problem, das dahinter steckt, ist nämlich dieses: Wenn wir etwas Gemeinsames tun, das nicht gemeinsam ist, dann wird sich das im Laufe der Zeit sehr schnell zeigen. Dann nützen auch die ausgetauschten Begriffe nichts. Die müssen präzise sein und präzise verwendet werden, weil sie auf eine Wirklichkeit zutreffen müssen, die so und nicht anders bezeichnet werden kann.
Und jetzt kommt ein zweites Problem hinzu: Der evangelische Theologe Thomas Kaufmann hat erst vor kurzem genau auf diesen Unterschied in einem großen Artikel in der FAZ hingewiesen. Er hat ja deutlich gemacht, dass das aus der Gemeinde hervorkommende Amt des Pfarrers mit dem Priesteramt, das als Weihe verstanden wird, eben nicht identisch ist und hier der ganz große Umbruch stattgefunden hat und deswegen auch eine ökumenische Übereinstimmung überhaupt nicht greifen kann.
So haben sie also im Ganzen ganz unterschiedliche Positionen. Und wenn das schon in der heutigen Wirklichkeit so ist, dann ist natürlich die Positionierung "Ja, gibt es überhaupt noch Unterschiede?" nur eine von vielen anderen. Und da plädiere ich für Klarheit und auch für Klärung.
DOMRADIO.DE: Es gibt für verheiratete evangelische und auch für anglikanische Pfarrer die Möglichkeit, sich nach der Konversion zur römisch-katholischen Kirche zum Priester weihen zu lassen und dort als verheiateter katholischer Priester zu wirken. Ist das nicht schon ein erster Schritt der gegenseitigen Anerkennung der Ämter?
Thönissen: Die Entscheidungen, auf die Sie anspielen, sind zwei. 1951 hat Pius XII. diese Möglichkeit für Konvertiten aus der evangelischen Kirche festgemacht, also für Pfarrer, die katholische Priester werden wollten, indem er die Verpflichtung zum Zölibat für diese Fälle aufhob.
Das ist aber eine Ausnahmeregelung, und hier hat es eine gewisse Erleichterung für die Betreffenden gegeben. Die können dann ihren bisherigen Personenstand beibehalten, also bleiben verheiratet, so dass wir in der katholischen Kirche in diesen Fällen auch verheiratete Priester haben. Die wurden aber bis 2015 nicht in der Pfarrseelsorge eingesetzt, sondern in der Kategorialseelsorge, also Krankenhaus, Religionsunterricht und so weiter.
Ein zweiter Fall ist die Ordination und die Übernahme anglikanischer Priester und Bischöfe in die katholische Kirche durch das neu geschaffene Ordinariat von 2009, das Benedikt XVI. auf den Weg gebracht hatte. Auch das war im Blick auf die Situation der anglikanischen Kirche hin ausgesprochen.
Das sind Sonderregelungen und wir haben uns im ökumenischen Umfeld auch in der katholischen Kirche gefragt, ob das ein möglicher Weg der Ökumene ist. Und wir haben gesagt, dass wir das eigentlich eher nicht glauben. Wir sollten das als Ausnahmeregelungen verstehen.
Das ist ein gewisses Entgegenkommen gegenüber der persönlichen Entscheidung Einzelner. Aber es ist nicht der Königsweg der Ökumene. Der muss anders verlaufen, der muss über den Dialog verlaufen. So haben es auch die anglikanische Kirchenleitung und der Primas der anglikanischen Kirche selbst verstanden, dass wir gesagt haben, dass wir das nicht als Königsweg der Ökumene bezeichnen wollen, was mit dem Ordinariat für die anglikanischen Priester geschaffen worden ist.
DOMRADIO.DE: Erzbischof Schick spricht von einer Ökumene der versöhnten Verschiedenheit. Das klingt so ein wenig danach, dass alles beim alten bleibt und wir uns irgendwie arrangieren. Unter dem EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber wurde hingegen stärker von einer Ökumene der Profile gesprochen. Was ist Ihre Ausrichtung, eine Ökumene der Profile oder eine der versöhnten Verschiedenheit?
Thönissen: Wir bringen natürlich in unsere ökumenischen Gespräche die konfessionellen Profile ein. Aber das mit den Profilen ist natürlich auch ein bisschen gefährlich. Wer zuviel Profil zeigt, schärft damit auch die kontroverstheologischen Unterschiede. Das muss man einfach deutlich sagen.
Wir brauchen die Profile. Wir brauchen als Gegenüber im ökumenischen Dialog einen authentischen Ausdruck des jeweiligen Bekenntnisses. Erst dann kann man von Auge zu Auge auf gleicher Augenhöhe argumentieren. Je klarer das wird, umso besser wird man auch über die gemeinsamen Annäherungen sprechen können.
Eine verwaschene katholische Position - um es mal so zu sagen - führt ja nicht zu einer Verständigung, sondern eher dann zu der Erkenntnis, dass es bei den Katholiken nicht mehr so ist. Sie merken, eine solche Positionierung hat ökumenisch keine Zukunft.
Deswegen plädiere ich dafür, klar und deutlich zu sagen, wo die Unterschiede sind, aber eben auch Wege und Möglichkeiten der Verständigung zu suchen. Die versöhnte Verschiedenheit ist so etwas wie eine Art von Hilfsbegriff, der uns erlaubt, trotz der bestehenden Unterschiede den Weg der Versöhnung zu beschreiten.
Aber es ist natürlich keine Methode, die wir anwenden können. Die Methode, die wir anwenden können, hat der lutherisch-katholische Dialog in den letzten Jahrzehnten gezeigt, nämlich die eines differenzierten Konsenses oder - ich würde mich noch präziser ausdrücken und noch schwieriger - eines differenzierenden Konsenses.
Wir suchen einen Konsens und dieser Konsens muss uns helfen, durch die Unterschiede hindurch das Gemeinsame zu finden, ohne dass wir alle Unterschiede auszuschließen versuchen. Das können wir wahrscheinlich nicht. Das ist einfach eine Erfahrung, die wir gemacht haben.
Also wie geht man damit um? Das ist eine Suchbewegung. Wohin diese Suchbewegung führt, das können wir im Augenblick nicht sagen. Ich möchte trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller gegenteiligen Auffassungen, am Gespräch festhalten. Die christlichen Kirchen dürfen sich nicht auseinanderdividieren lassen, schon angesichts unserer heutigen Zeit nicht.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.