Rhythmisch tönt das Schnarren von Sägen über die Ruinen des Hilarionklosters im Süden des Gazastreifens. Aus dem größten Kloster seiner Zeit im Nahen Osten soll eine wirtschaftlich autonome Welterbestätte entstehen, die zugleich der örtlichen Gemeinde als Zentrum dient. "Alles hier ist Handarbeit und 100 Prozent Gaza", erklärt Archäologe Rene Elter. Mit speziell gefertigten Werkzeugen bearbeitet das Team grobe Steinblöcke, bis am Ende wohlgeformte Bausteine stehen. Sie sollen das einstige Volumen für Besucher erlebbar machen. Britisches Geld, französisches Knowhow und palästinensische Muskelkraft arbeiten am Erhalt der Stätte.
Von Dominikanern gegründet
"Wer heute Archäologie betreiben will, muss andere Projekte machen. Reine Ausgrabungen werden von niemandem finanziert", sagt Elter. Der französische Archäologe und Architekt ist seit 2001 im Auftrag der "EBAF", der von Dominikanern gegründeten "französischen biblischen und archäologischen Schule Jerusalem" unter anderem für das Hilarionkloster südlich von Gaza-Stadt verantwortlich. Seine Mischung aus wissenschaftlichen, sozialen und humanitären Aspekten mit dem Schutz des Erbes hingegen findet Gehör.
Mit Geldern des British Council, der Genfer Stiftung "Aliph" zum Schutz von Erbestätten in Konfliktgebieten und der französischen Organisation "Premiere Urgence Internationale" (PUI) sind die Arbeiten gut vorangekommen. PUI-Landeskoordinator Jihad Abu Hassan fasst die wesentlichen Ziele zusammen: Die historischen Stätten sollen geschützt und restauriert werden, vor Ort soll ein professionelles Team ausgebildet und die palästinensische Bevölkerung für ihr Erbe sensibilisiert werden.
Keine Kontinuität bei den Arbeiten
Die Herausforderungen könnten dabei größer kaum sein: Vierzehn Jahre kontrolliert die Hamas den Gazastreifen - vierzehn Jahre, in denen der Zugang zu dem schmalen Küstenstreifen extremen Restriktionen unterliegt und sich die soziale, wirtschaftliche und politische Situation deutlich verschlechtert hat. Regelmäßig unterbrechen Gewalteskalationen bis hin zu Kriegen den Alltag der Menschen. Kontinuität bei den Arbeiten oder eine Ausbildung der örtlichen Experten nach internationalen Standards sind unter diesen Umständen schwer zu erreichen. Die Pandemie und ihre Folgen erleichterten die Situation nicht.
Archäologie sei für die Menschen in Gaza immer so etwas wie Schatzsuche gewesen; nach Fachwissen oder einer Vorstellung von der Wissenschaft dahinter habe man vergeblich gesucht. "Wir mussten hier bei null anfangen, mit allen Vor- und Nachteilen", sagt Elter. Dabei versuche er, "Stolz zu kultivieren": für das Erbe der Region, aber auch für das Potenzial der Menschen. "Inschallah", der allgegenwärtige arabische Ausruf, der nicht selten mit einer Art Fatalismus einhergeht, ist auf der Baustelle tabu. "Falsche Grundhaltung", sagt Elter.
Einer, dessen determinierte Haltung sich ausgezahlt hat, ist Fadel al-Utol. Wenn sich der Konflikt in Gaza wieder einmal zuspitzt, ist er oft der Einzige, der dann die Stellung hält. Al-Utol war 14 Jahre alt, als er Ende der 1990er Jahre auf die Ausgrabungen aufmerksam wurde - und auf Dominikanerpater Jean-Baptiste Humbert, dem ersten Archäologen der EBAF, der im Gazastreifen gräbt.
"Statt Steine auf israelische Soldaten zu schmeißen"
Fachgebiet für Fachgebiet lernt er das Archäologenhandwerk, einschließlich Fortbildungen in Frankreich. "Statt Steine auf israelische Soldaten zu schmeißen, suche ich heute Steine, um unsere Geschichte und Kultur zu zeigen", sagt der Palästinenser, der sich ein Leben ohne die Archäologie heute nicht mehr vorstellen kann. "Archäologie ist für mich heute wie das Wasser für den Fisch. Nimm mich aus der Grabung, und ich sterbe!"
Die Begeisterung Al-Utols ist längst auf das Team in Ausbildung übergesprungen: Studierende der Archäologie, der Architektur, ein Anwalt und ein Automechaniker, die sich unter wissenschaftlicher Leitung der "EBAF" in mehrmonatigen Kursen das Handwerkszeug angeeignet haben. Die Arbeit in den gemischten Teams schafft Freiräume besonders für die jungen Frauen, sagt Elter. Auf ihnen lastet in der traditionell konservativen Gesellschaft Gazas der soziale Druck, möglichst früh zu heiraten. Durch das Projekt tragen sie nicht nur zum Lebensunterhalt ihrer Familien bei, "es hilft ihnen auch beim Schaffen von Autonomie".
"Wir wussten nicht, dass wir dieses Erbe haben - und dass wir die Fähigkeiten haben, es zu erhalten", sagt Architekturstudentin Hallal Ilannani, 23. Zusammen mit Kommilitonin Schama puzzelt sie Teile eines Bodenmosaiks zusammen, das bei heftigen Regenfällen eingebrochen ist. In Monaten, wenn die Studentinnen ihre Arbeiten abgeschlossen haben, soll es restauriert wieder an seinen Originalplatz kommen. Über ihre Arbeit berichten beide schon jetzt in Sozialen Netzwerken und an Universitäten. "Das hier sind unsere Wurzeln", lautet ihre Botschaft.
Wunsch, auf die Liste des Unesco-Welterbes zu kommen
Die "Befreiung des Erbes", wie Elter es nennt, habe etwas in Gang gebracht. Das Projekt Hilarionkloster strahle aus. Mehrere kleine Projekte sind inzwischen in Gaza entstanden. Für das Kloster selbst besteht der Wunsch, es auf die Welterbeliste der Unesco zu bringen. Gleichzeitig müsse "die Gemeinschaft sich den Ort erobern und zum Leben bringen".
Rene Elter und Fadel Al-Utol haben große Pläne. Ein riesiges Dach soll einst die 14.500 Quadratmeter große Grabungsstätte vor Witterungseinflüssen schützen. Ein Besucherzentrum soll den weniger mit Archäologie vertrauten Besuchern Interpretationshilfe leisten und eine Solaranlage mehr Strom produzieren, als die Stätte für sich selber braucht. Der Verkauf des Stromüberschusses soll den Unterhalt der Anlage und die Gehälter des Teams vor Ort sichern. Der Schutz der Stätte und ein wirtschaftlicher Nutzen könnten so Hand in Hand gehen. Wenn die erhofften französischen Gelder für das auf mindestens fünf Jahre angelegte Projekt zugesagt werden, soll es im Frühjahr 2022 losgehen.
Wie es um das Hilarionkloster einmal aussehen könnte, zeigt ein Blick auf die zweite archäologische Stätte in der Obhut der EBAF: Mukheitim in Jabalia im nördlichen Gazastreifen. Seit 2019 schreiten Besucher auf Stegen über die wundervollen Mosaike der Kirchenanlage aus byzantinischer Zeit. Ein intelligent geplanter Überbau bietet luftigen Schatten und schützt Besucher und Ruinen vor Sonne, Sand und Regen. In Proportion und Volumen ist er dem antiken Bau nachempfunden.
Beide archäologische Stätten sind jung: 1997 wurden sie bei palästinensischen Rettungsgrabungen entdeckt und dann systematisch ausgegraben. Erst eine 2003 gefundene Inschrift bestätigt, was die Forscher aufgrund der Funde und den Schriften des Kirchenlehrers Hieronymus, quasi ein Zeitgenosse Hilarions, vermuteten: Sie stehen auf den Überresten des ältesten Klosters im Heiligen Land, der Gründung des heiligen Hilarion. Für Gaza ist es ohne Frage die wichtigste archäologische Stätte. Und auch, wenn es "schönere Stätten" gibt, wie Rene Elter sagt, "es passiert so viel um dieses Projekt, dass es alleine dafür wert ist!"