Pfarrer Regamy erläutert die schwierige Situation der Seenotrettung

"Eine politische Lösung finden"

Seit dem Auslaufen der Mission "Sophia" Ende März gibt es von Seiten der EU keine Seenotrettung mehr im Mittelmeer. Die private Seenotrettungsinitiative MOAS hat ihre Aktivität im Mittelmeer eingestellt, aber: Wo ist MOAS nun aktiv?

Autor/in:
Heike Sicconi
MOAS-Retter im Einsatz / © MOAS.eu/Jason-Florio
MOAS-Retter im Einsatz / © MOAS.eu/Jason-Florio

DOMRADIO.DE: Was macht die Seenotrettungsorganisation MOAS gerade?

Pfarrer Regamy Thillainathan (Leiter der Diözesanstelle für Berufungspastoral im Erzbistum Köln): MOAS ist momentan seit dem Frühjahr 2019 mit dem Auftrag beschäftigt, in Kooperation mit der Aktion "medeor" und anderen Organisationen medizinische Hilfsgüter in den Jemen zu liefern. In dieses Projekt sind sie hineingerutscht, nachdem sie in den vergangenen Monaten sehr stark in Bangladesh eingebunden waren.

Pfarrer Regamy Thillainathan (Erzbistum Köln)

Eine Sache, die auch vollkommen vergessen wurde, ist die Krise oder die Tragödie um die Rohingya-Flüchtlinge, die Binnenflüchtlinge, die zwischen Myanmar und Bangladesch gefangen waren. 

MOAS hat da mit ihren Expertinnen und Experten Gesundheitszentren aufgebaut, die Flüchtlingscamps strukturiert und Hilfe zur Selbsthilfe geleistet.

DOMRADIO.DE: Ist das Schiff jetzt also immer auf dem Weg zum Jemen, um dort Hilfsgüter hinzubringen?

Pfarrer Regamy: Ja, als sich in den vergangenen Jahren abgezeichnet hat, dass alle Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer – das können wir jetzt noch mal ganz tragisch bei Carola Rackete beobachten – unter Generalverdacht geraten und keine sicheren Häfen freigegeben werden, haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von MOAS entschieden: Wir geben nicht auf, wir werden auf jeden Fall als Schiff der Hoffnung unterwegs sein. Wenn es hier nicht geht, werden wir zumindest irgendwo an einer anderen Stelle auf der Welt als Leuchtturm der Hoffnung und der Menschlichkeit unterwegs sein.

Ihnen ist es gut gelungen, erst einmal mit Bangladesch und Myanmar einen Krisenherd zu bewältigen und jetzt mit dem Jemen, wo Tag für Tag Menschen sterben und die Versorgung der Bevölkerung vollkommen ausgesetzt ist. Es ist beeindruckend, dass sie tatsächlich immer wieder aufmerksam und mit offenen Augen durch die Welt gehen und entdecken, wo sie gebraucht werden.

DOMRADIO.DE: Vorher war MOAS auch in der Seenotrettung unterwegs. Da waren Sie vor zwei Jahren mal mit auf dem Schiff. Sie haben quasi das ganze Programm mitgemacht, dass man in die Häfen nicht einlaufen darf. Wenn Sie jetzt hören, was die Flüchtlinge auf den Schiffen heute mitmachen, kommt da die Situation bei Ihnen noch einmal hoch? An was erinnern Sie sich dann als erstes?

Pfarrer Regamy: Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie viel Angst bei den Menschen zu spüren und zu erfahren war, als sie mitbekommen haben, dass wir keine Häfen ansteuern können. Da sind wir auch ganz transparent. 

Die größte Angst der Menschen dort ist, dass sie dahin zurückgeschickt werden, wo sie unter Einsatz ihres Lebens versucht haben, wegzukommen. Wir hatten teilweise Fälle, in denen Menschen bereit waren, wieder ins Wasser zu springen. Gerade, wenn die libysche Küstenwache sich dem Schiff näherte.

Ich glaube, dass die Menschen, die das Ganze hier nur durch die Medien mitbekommen und schnell urteilen, diese Angst und diese Tragödie gar nicht nachvollziehen können. Es ist immer einfach, sich in so einem geschützten Rahmen auf dem Sofa einer Meinung anzuschließen. 

Aber bei den Menschen vor Ort die Verzweiflung zu spüren und zu erfahren, dass sie sogar bereit wären, lieber da zu sterben als dort zu vegetieren, das ist schon etwas, was mir immer wieder stark in Erinnerung kommt. Besonders, als ich die Geschichte um Carola Rackete mitbekommen habe.

DOMRADIO.DE: Wir bekommen hier natürlich viel mehr die Geschichten von den Helden mit, von der Kapitänin Carola Rackete zum Beispiel, worauf die Berichterstattung den Fokus legt. Müsste man Ihrer Meinung nach noch viel mehr die Opfer, die Flüchtlinge, in den Blick nehmen?

Pfarrer Regamy: Zum einen muss man auf jeden Fall die Menschen in den Blick nehmen und ihre Lebensgeschichten. Wenn sie mitbekommen, welche Tragödien hinter all diesen Gesichtern stecken; wenn sie ein Gesicht vor Augen geführt bekommen, mit dem sie sich identifizieren können, geht es wesentlich einfacher. 

Man muss sich aber gleichzeitig auch derer annehmen, die für viele Tragödien verantwortlich sind; der Menschen, die in den Kriegsgebieten ihr Unwesen treiben. Auch unserer westlichen Länder, die Waffen dorthin exportieren und den Krieg ankurbeln. Und genauso der skrupellosen Schlepperinnen und Schlepper, die diese Tragödie zu Geld machen wollen.

DOMRADIO.DE: Die UNHCR fordert, dass die Bedingungen für Seenotrettung anders werden. Meinen Sie, wenn das für die Rettungsorganisationen sicherer wird, ist MOAS wieder dabei?

Pfarrer Regamy: Ja, auf jeden Fall! Wir sind politisch aktiv, mit den Europäischen Kommissionen im Gespräch, auch mit der UNHCR. Vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von MOAS sind sehr engagiert und versuchen, eine politische Lösung zu finden. Wenn es jetzt zu einer praktischen Lösung kommen sollte, dann wird MOAS auf jeden Fall direkt wieder zur Stelle sein.

Das Interview führte Heike Sicconi.

MOAS "Migrant Offshore Aid Station"

Die Abkürzung steht für "Migrant Offshore Aid Station". MOAS ist eine registrierte gemeinnützige Stiftung in Malta mit der Aufgabe Flüchtlinge in Seenot zu retten. MOAS verfügt mit der Phoenix über ein 40 Meter langes Schiff, zwei ferngesteuerte Flugzeuge und zwei Schlauchboote. Ein Team von Rettern und Notärzten versucht Schiffe in Seenot auszumachen und den Menschen an Bord der seeuntüchtigen Boote zu helfen. Das Projekt wird von dem früheren maltesischen Verteidigungsminister Martin Xureb geleitet.

Moas-Rettungsaktion auf dem Mittelmeer / © Jason Florio (Moas.eu)
Moas-Rettungsaktion auf dem Mittelmeer / © Jason Florio ( Moas.eu )
Quelle:
DR