Eine theologische Betrachtung zur Karwoche

Zeit der Stille

In der Karwoche schweigen Glocken, Orgeln und Stimmen. Die Liturgie führt in die Tiefe und zur Besinnung auf Christus. Die Kirche konzentriert sich auf sein Leiden, das er für die Menschen auf sich genommen hat.

Autor/in:
Fabian Brand
Eine Jesus-Figur bei der Semana Santa in Sevilla (Archiv) / © Luis Pizarro Ruiz (shutterstock)

"Die große Stille": So lautete der Titel eines Films, der vor 20 Jahren auf dem Filmfestival von Venedig vorgestellt wurde. Die Kameras begleiteten das Leben der Kartäusermönche. 

Dazu lebte der Regisseur mehrere Monate mit in der Grande Chartreuse in der Nähe von Grenoble. Das besondere an diesem Film: Über 167 Minuten wird keineinziges Wort gesprochen. Auch auf Filmmusik wurde verzichtet, um dem Leben der schweigenden Mönche besonderen Raum zu geben. 

Die Stille prägt ihr Leben und diesen Film. "Die große Stille": Diese Worte könnte man ebenso gut als Überschrift über die Karwoche setzen. 

Denn die Stille ist das charakteristische, das diese heiligen Tage vor dem Osterfest prägt. Die Worte werden immer weniger, die Musik immer leiser: Immer größer wird der Raum für die Dinge, die man nicht mit menschlichen Worten umschreiben kann. 

Teilnehmer mit Palmwedeln beim Abschluss der Palmsonntagsprozession vor der Annakirche in der Altstadt von Jerusalem am 10. April 2022. / © Andrea Krogmann (KNA)
Teilnehmer mit Palmwedeln beim Abschluss der Palmsonntagsprozession vor der Annakirche in der Altstadt von Jerusalem am 10. April 2022. / © Andrea Krogmann ( (Link ist extern)KNA )

Die Stille hat Christinnen und Christen schon durch die Tage der österlichen Bußzeit ab dem Aschermittwoch begleitet. Die Liturgien sind wesentlich schlichter, auf feierliches Orgelspiel wird verzichtet, die Gottesdienste sind insgesamt nüchterner gehalten. 

Das setzt sich in den liturgischen Feiern der Karwoche fort: Der Palmsonntag beginnt zwar mit der Palmprozession und dem feierlichen Einzug in die Kirche, aber er endet im Schweigen. Schon mit dem Tagesgebet wird der Fokus wieder auf das Leiden und Sterben Christi gelenkt: 

"Unser Erlöser hat sich selbst erniedrigt und sich unter die Schmach des Kreuzes gebeugt". Die Freude über Christus, der in Jerusalem einzieht, muss dem Blick auf das Kreuz weichen. 

Glocken und Orgel schweigen 

Der Gründonnerstag setzt hinsichtlich der Stille einen neuen Akzent: Beim Gloria läuten die Glocken und die Orgel spielt festlich auf - danach schweigen beide. "Die Glocken fliegen nach Rom", weiß der Volksmund. 

Stille prägt die Feier des letzten Abendmahls Jesu mit seinen Jüngern. Immer mehr rücken damit die zentralen Symbole in den Mittelpunkt: die Fußwaschung als Zeichen der unbedingten Nächstenliebe und die Eucharistie als Ausdruck der Teilhabe an Christus. 

Und nicht wie sonst wird am Schluss der Segen gespendet, sondern der Gottesdienst läuft in die Stille hinein, die sich häufig in der Ölbergandacht und in der Anbetung am Heiligen Grab fortsetzt. 

Karfreitagsprozession auf der Via Dolorosa 2024 in Jerusalem / © Debbie Hill (KNA)
Karfreitagsprozession auf der Via Dolorosa 2024 in Jerusalem / © Debbie Hill ( (Link ist extern)KNA )

Der Karfreitag schließlich ist wohl der stillste Tag des Jahres. An ihm kennt die Kirche seit alters her keine Eucharistiefeier. Das ganze Leben wird an diesem Tag in größter Schlichtheit und Einfachheit begangen. Alle Worte, die in der Liturgie vom Leiden undSterben Christi gesprochen werden, sind wohlgewählt. 

Eigentlich gibt es keinen Platz für freie Worte und Erklärungen. Es wird nicht mehr als das wirklich Wesentliche gesagt. Und genau das macht den herben Charme dieses Tages aus: dass er sich voll und ganz fokussiert auf das Kreuz und auf das Sterben des Erlösers. 

Auf Christus besinnen 

Der Karsamstag ist schließlich ebenfalls ein stiller Tag: An diesem Tag findet ebenfalls keine Eucharistiefeier statt. Nur die Tagzeitenliturgie, das Stundengebet, wird in schlichter Weise gefeiert. Die Kirche versammelt sich am Grab Christi, um dort in stillem Gebet zu verweilen und sich auf das Osterfest vorzubereiten. 

Die große Stille: Es ist ein Geschenk, dass in der Liturgie der Kartage das Schweigen einen so großen Stellenwert eingeräumt bekommt. Denn im Angesicht des leidenden und sterbenden Christi versagen die Worte. Wo großes Leid und Unglück geschieht, wissen Menschen auch im Alltag oft nicht, was sie sagen sollen. 

Bewusstes Einlassen 

Die Stille fördert auch die Konzentration. Man wird nicht abgelenkt durch anderes, sondern kann sich bewusst auf eine einzige Sache fokussieren. Das Kreuz als archaisches Zeichen dieser heiligen Woche kann man nicht erklären. Man kann es nur immer wieder betrachten und im Licht der Heiligen Schrift meditieren. 

Die große Stille dieser heiligen Tage öffnet den Raum dafür, dass Menschen sich neu besinnen auf das, was in dieser Karwoche wichtig ist: Auf Christus, der für uns und zu unserem Heil Kreuz und Leiden auf sich genommen hat, damit wir in ihm das Leben finden. So, wie es schon der Prophet Jesaja sagt: "Durch seine Wunden sind wir geheilt".

Karwoche

Die letzte Woche vor Ostern wird auch als Karwoche bezeichnet. Das Wort "Kar" stammt aus dem Althochdeutschen und bedeutet "Trauer", "Klage" oder "Kummer". Die Karwoche beginnt mit dem Palmsonntag: In Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem versammeln sich die Gläubigen zur Segnung der Palmen - in Deutschland meist Buchsbaumzweige - und ziehen dann in einer Prozession zum Gotteshaus.

Karwoche / © Felix Kästle (dpa)