"Für die Menschen heute ist ein Leben in Frieden so selbstverständlich geworden, dass Europa als Friedensprojekt keine Strahlkraft mehr begründen kann", sagte Bosse-Huber bei der Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) im serbischen Novi Sad.
Die Risse, die durch Europa gingen, seien "unübersehbar", sagte die EKD-Bischöfin bei einer Diskussion zur Zukunft Europas mit dem anglikanischen Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, und dem Metropoliten Emmanuel von Frankreich als Vertreter der orthodoxen Kirche. Sie zeigten sich nicht nur in Phänomenen wie dem Brexit und dem Streit um EU-Reformen, sondern auch in Populismus und Nationalismus "an fast jedem Ort in Europa". Zugleich hob Bosse-Huber das große politische und ökonomische Potenzial der Europäischen Union hervor, Verantwortung zum Beispiel für Frieden und Menschenrechte zu übernehmen.
Eine fragile Phase
"Europa ist nicht in Gefahr, zu versinken", urteilte Welby. Es befinde sich aber, wie andere Weltregionen, in einer fragilen Phase. Das Ehrenoberhaupt der anglikanischen Weltkirche verglich die Situation mit den kirchlichen Werten wie Liebe, Demut und Gastfreundschaft. Dies klinge "harmlos", stehe tatsächlich aber in direktem Kontrast zu vielem, was heute in Europa vor sich gehe. Auch Welby bezog sich auf die Populisten und deren Ruf nach Mauern und Abgrenzung.
Metropolit Emmanuel bezog sich auf die prägende Rolle der Menschenrechte für Europa. Er kritisierte in diesem Zusammenhang, dass "der Westen den Akzent zu sehr auf die individuellen Rechte" gelegt habe. Dies habe zu einer falschen Gleichsetzung von Menschenrechten und Individualismus auf Kosten von sozialen Werten geführt, urteilte der Vertreter der orthodoxen Kirche.
Die KEK vereint außer der römisch-katholischen Kirche alle großen christlichen Gemeinschaften in Europa: Protestanten, Orthodoxe, Anglikaner und Altkatholiken. Die alle fünf Jahre stattfindende Vollversammlung dient der ökumenischen Annäherung der Mitglieder und der Diskussion gesellschaftlicher Fragen. Sie dauert bis 6. Juni.