DOMRADIO.DE: Einer der Schwerpunkte auf dem Katholischen Flüchtlingsgipfel ist in diesem Jahr natürlich die Situation der Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine fliehen. Inwieweit hilft die katholische Kirche da?
Erzbischof Stefan Heße (Erzbischof von Hamburg und Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz): Sie hilft durch ganz viele Ehrenamtliche, aber auch durch Hauptamtliche in den Diözesen, die auf den Erfahrungen von 2015 und 2016 wieder aufsetzen können, um zunächst mal die Leute hier in Deutschland willkommen zu heißen, sie zu empfangen und erstmal ihre ganz banalen Grundbedürfnisse zu stillen.
Also, wo kann ich bleiben? Wo habe ich was zu essen? Und dann geht die Integration über verschiedene andere Maßnahmen, wie etwa Bildung, Schule und Beruf weiter.
DOMRADIO.DE: Menschen aus der Ukraine sind aber nicht die einzigen, die ihre Heimat verlassen mussten und immer noch müssen. Ist es wegen der Aktualität des russischen Angriffs auf die Ukraine schwierig, die vielen Geflüchteten aus der ganzen Welt in der Flüchtlingsarbeit derzeit ausreichend zu berücksichtigen?
Heße: Es gibt die große Gefahr, dass wir sozusagen Flüchtlinge erster und zweiter Klasse haben, also dass die einen bevorteilt werden und andere benachteiligt werden. Deswegen, glaube ich, müssen wir als Kirche unseren Blick derart weiten, dass wir nicht jemanden favorisieren, Vielmehr müssen wir sehen, dass jeder Mensch die gleiche Würde hat und wir uns deswegen um alle Flüchtlinge zu kümmern haben. Egal wo sie herkommen, egal wann sie gekommen sind.
DOMRADIO.DE: Auch der Vorsitzende des Migrationsrates der polnischen Bischofskonferenz, Weihbischof Krzysztof Zadarko aus dem Bistum Köslin-Kolberg, hat am Flüchtlingsgipfel teilgenommen. Die Menschen in Polen und Deutschland sehen die Frage der Migrationein bisschen anders oder gehen das ein bisschen anders an: Wo sind da die Unterschiede?
Heße: Ein großer Unterschied liegt in unserer unterschiedlichen Geschichte. Zur deutschen Geschichte gehört etwa die Reformation. Wir sind hier in Erfurt (Dort tagt der Flüchtlingsgipfel, Anm. d. Red.) und hier hat Luther gelehrt. Damit haben wir schon seit ein paar Jahrhunderten in Deutschland verschiedene Konfessionen.
Wir haben aber auch seit vielen Jahren in Deutschland Erfahrungen mit dem interreligiösen Dialog, also nicht nur zwischen Christen, sondern auch mit dem Judentum, auch aufgrund unserer jüngsten deutschen Geschichte. Wir haben Erfahrungen mit dem Islam.
Das zum Beispiel ist in Polen ganz anders. Das heißt, man kennt da eigentlich nicht nur das Christentum, sondern sogar nur den Katholizismus. Diese Erfahrungen, die wir in Deutschland gemacht haben, fehlen dort.
Von daher ist das Andere, sind andere Religionen zunächst einmal fremd, unvertraut. Deswegen ist auch die Zugangsweise eine andere.
Ich glaube allerdings, dass man auf Dauer nicht in so einer Mono-Landschaft existieren kann, sondern die Tendenz wird zu einer größeren Vielfalt gehen. Man muss einen guten Modus finden, damit umzugehen.
Da sind die Erfahrungen mit den geflüchteten Menschen ganz wichtige Lernfelder, wo wir das praktizieren können und auch, Gott sei Dank, mit viel Gewinn auf beiden Seiten gegenseitig tun.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch eine neue Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellt. Das Thema lautet Anerkennung und Teilhabe. Da stehen 16 Thesen zur Integration drin. Was denn genau?
Heße: Das Wichtigste ist eigentlich, mal kurz gesagt, dass es Verschiedenheit gibt. Die Gesellschaft, der Mensch, die Identitäten sind alle nicht so homogen, wie man sich das gerne manchmal so zurechtlegen möchte, sondern der Grundansatz ist Verschiedenheit. Die gilt es zu akzeptieren und dazu einen Zugang zu finden und dann positiv zu begreifen, dass der Andere oder das Andere für mich keine Bedrohung darstellt, sondern eine Bereicherung.
Im besten Fall kann ich in der Auseinandersetzung mit dem Anderen gewinnen, Erfahrungen sammeln und auch noch tiefer zu meiner eigenen Identität kommen.
DOMRADIO.DE: Heute Mittag gab es zudem ein gemeinsames Friedensgebet. Was für eine Rolle spielt das, auf einer solcher Tagung im Gebet zu begleiten?
Heße: Das ist ein Katholischer Flüchtlingsgipfel, zu dem wir hier zusammenkommen. Für uns ist das Ganze auch religiös motiviert. Hier sind also gläubige Christinnen und Christen, die sich aus ihrem Glauben heraus für die Menschen weltweit einsetzen. Dazu gehört eben auch das Gebet.
Ich feiere am Abend noch die Messe im Erfurter Dom. Da gehört auch das Gebet dazu.
Es war ganz bewegend. Weihbischof Zadarko hat sozusagen das Merkelsche Motto "Wir schaffen das" aufgegriffen. Er hat es aber erweitert, indem er gesagt hat "mit Gottes Hilfe schaffen wir das". Und ja, dazu gehört eben dann auch das Gebet, das wir ganz konkret praktizieren.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.