KNA: Der 7. Katholische Flüchtlingsgipfel befasst sich in diesem Jahr besonders mit der Situation verletzlicher Schutzsuchender. Weshalb sieht sich die Kirche in besonderer Verantwortung für Flüchtlinge?
Erzbischof Stefan Heße (Erzbischof von Hamburg und katholischer Flüchtlingsbischof): Weltweit sind mehr als 108 Millionen Menschen auf der Flucht - das darf uns als Kirche nicht gleichgültig sein. Denn eine besondere Sensibilität für die Anliegen von Vertriebenen und Schutzsuchenden gehört zum Kernbestand des christlichen Glaubens. Papst Franziskus hat unseren Auftrag in vier Verben zusammengefasst: "aufnehmen, schützen, fördern, integrieren". Dafür machen wir uns stark - in Deutschland und weltweit.
KNA: Die Zahl der Flüchtlinge weltweit hat einen traurigen Höchststand erreicht. Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf für Deutschland?
Heße: Durch Fluchtbewegungen treten manche Probleme, die es ohnehin schon gibt, noch deutlicher zutage, zum Beispiel der Mangel an bezahlbarem Wohnraum oder Defizite im Bildungssystem und Gesundheitswesen. Hier müssen dringend Lösungen gefunden werden.
Darüber hinaus sind weitere Schritte notwendig, damit Geflüchtete in Deutschland rasch Zugang zu Integrationsangeboten und zum Arbeitsmarkt haben. Für ukrainische Schutzsuchende wurden hier vergleichsweise einfache Regelungen gefunden - davon lässt sich etwas lernen für den Umgang mit anderen Gruppen von Geflüchteten.
KNA: Sie haben mit Blick auf den EU-Asylkompromiss vor Rückschritten beim Flüchtlingsschutz gewarnt. Was schmerzt Sie am meisten an der Vorlage?
Heße: Schutzsuchende Menschen in haftähnlichen Zentren an den EU-Außengrenzen unterzubringen, löst keine Probleme, sondern schafft neue. Es ist zu befürchten, dass hier unzumutbare Lebensbedingungen entstehen und rechtsstaatliche Standards faktisch unterwandert werden. Dies ist insgesamt ein fragwürdiger Plan, für Kinder, Familien und vulnerable Personen jedoch in besonderer Weise. Deshalb sollten sie von den Grenzverfahren ausgenommen werden.
KNA: Der Flüchtlingsgipfel widmet sich diesmal besonders verletzlichen Personengruppen wie Menschen mit Behinderung, Betroffene von Menschenhandel und unbegleitete Minderjährige. Wo liegen dabei die besonderen Anliegen?
Heße: Ein Anliegen habe ich ja bereits angedeutet: Schnelle Asylverfahren an den EU-Außengrenzen sind für vulnerable Personen unzumutbar. Auch mit Blick auf Deutschland machen wir immer wieder die Erfahrung, dass Vulnerabilitäten im Asylverfahren unerkannt bleiben oder nicht angemessen berücksichtigt werden, beispielsweise bei Opfern von Menschenhandel. Generell wäre es wichtig, sichere Zugangswege für vulnerable Geflüchtete auszubauen und Unterstützungsangebote zu stärken.
KNA: Ein Dauerthema mit den Behörden ist das Kirchenasyl. Wie viele Personen befinden sich derzeit im Kirchenasyl, und wie gestalten sich in dieser Frage die Beziehungen zur Politik?
Heße: Ich würde nicht von einem "Dauerthema" sprechen. Es ist eines von mehreren Themen, zu dem ein Austausch zwischen kirchlichen und staatlichen Stellen besteht. Laut der Ökumenischen BAG "Asyl in der Kirche" sind aktuell etwa 685 schutzsuchende Personen im Kirchenasyl.
Das deutet darauf hin, dass die Zahlen sich weiterhin auf einem relativ niedrigen Niveau bewegen. Gegenüber den Ansprechpartnern in Politik und Verwaltung betone ich immer wieder: Das Kirchenasyl ist kein politisches oder rechtliches Instrument, es stellt eine Nothilfe im konkreten Einzelfall dar. Es geht darum, unzumutbare Härten abzuwenden und im Dialog mit den Behörden vertretbare Lösungen zu finden. Diese humanitäre Zielrichtung erfährt auch im politischen Raum Wertschätzung.
Das Interview führte Christoph Scholz.