Erzbischof Koch predigt bei Schweriner Einheitsfeier zum Kompromiss

"Was der andere ohne Worte sagt"

Die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit finden in diesem Jahr in Schwerin statt. Traditionell wird der Festtag mit einem ökumenischen Gottesdienst eröffnet. In diesem spricht Erzbischof Heiner Koch für den Kompromiss.

Landesbischöfin Kristina Künbaum-Schmidt und Erzbischof Heiner Koch begrüßen am 3. Oktober 2024 Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem Schweriner Dom zu einem ökumenischen. / © Jens Büttner (dpa)
Landesbischöfin Kristina Künbaum-Schmidt und Erzbischof Heiner Koch begrüßen am 3. Oktober 2024 Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem Schweriner Dom zu einem ökumenischen. / © Jens Büttner ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Tag der Deutschen Einheit ist für das ganze Land zum Feiern ein Grund. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung scheint es aber, dass aus dem Miteinander immer häufiger ein Gegeneinander wird. Was können wir dieser Entwicklung entgegensetzen?

Heiner Koch

"Das Gefühl, dass wir an dieser Einheit noch einiges weiter gestalten müssen, bleibt."

Heiner Koch (Berliner Erzbischof): Ich merke in diesen Tagen besonders, dass dies einseitig ist und so nicht stimmt. Es gibt ein großes Miteinander, aber die Probleme liegen auf dem Tisch. Außerdem gibt es Gruppierungen, die jedoch kleine Minderheiten sind, die das sehr kritisch sehen.

Ich bin aber noch keinem begegnet, der diese Einheit grundsätzlich infrage stellt und wieder zu zwei deutschen Staaten zurückkehren möchte. Das Gefühl, dass wir an dieser Einheit noch einiges weiter gestalten müssen, bleibt aber. Wohin diese Einheit innerlich führt, darin gibt es sicherlich große Differenzen.

Heiner Koch

"Es ist wichtig aufeinander zu hören, genau drauf achtzugeben, was der andere ohne Worte sagt, welche Gefühle da betroffen sind."

DOMRADIO.DE: Wir haben einen erstarkenden Rechtspopulismus. Es gibt Hass im Netz und das sorgt dafür, dass wir gespaltener scheinen als vor der Wiedervereinigung. Wie können wir wieder näher zusammenrücken? Was meinen Sie?

Koch: Zunächst einmal, wenn wir solche Tage begehen wie den heutigen. Ich habe mit vielen Menschen aus dem Osten und Westen gesprochen. Ich merkte bei den Gesprächen, dass es unterschiedliche politische Richtungen gibt.

Es ist wichtig, aufeinander zu hören und genau drauf achtzugeben, was der andere ohne Worte sagt und welche Gefühle betroffen sind. Es besteht das Gefühl, dass die im Westen denen im Osten immer wieder vorschreiben wollen, was sie zu tun haben.

Oder es gibt auch das Gefühl großer sozialer Spannungen zwischen Reich und Arm. Es gibt viele ungeklärte Fragen, zum Beispiel nach dem Verständnis des Staates oder die Fragen zu ausländischen Politiken, die hier im Osten anders beurteilt werden. Ich denke, der Krieg in der Ukraine und das Verhältnis zu Israel prägt gerade diesen Tag der Deutschen Einheit mit.

Heiner Koch

"Ein Segelboot ohne Wind ist hilflos, ohne Gott und ohne all das, was uns geschenkt wird."

DOMRADIO.DE: Unter dem Titel "Vereint Segel setzen" nimmt der ökumenische Gottesdienst in Schwerin das Motto des diesjährigen Feiertags zur deutschen Einheit auf. Das ist ein schönes Bild. Was heißt es für uns in Deutschland vereint Segel zu setzen?

Koch: Ich finde, es ist ein gutes Bild, weil es heißt, dass wir erst mal vereint gehen. Keiner geht alleine. Wir versprechen uns, miteinander zu gehen. Es ist ein Wort für den Kompromiss. Das Wort kommt aus dem lateinischen "compromissum". Das heißt so viel wie mit dem Versprechen zusammenzugehen und zusammenzubleiben. Ein Kompromiss hat also Konsequenzen, die von uns etwas fordern.

Das Bild zeigt aber auch, dass wir mutig, kraftvoll und entschieden vorangehen müssen, weil wir sonst nicht raus in die hohe See kommen. Manche haben zwar den Wunsch - um im Bild zu bleiben - mit dem Boot im sicheren Hafen zu bleiben, um sich nicht zu neuen Ufern hinauswagen zu müssen.

Das Bild verdeutlicht, dass wir dankbar sein können. Ein Segelboot ohne Wind ist hilflos. Ohne Gott und ohne all das, was uns geschenkt wird, wo wir gestärkt sind, geht es nicht vorwärts.

Heiner Koch

"Wir wollen den Frieden mit allen Mitteln."

DOMRADIO.DE: Der Tag der Deutschen Einheit liegt in diesem Jahr zwischen dem Beginn des jüdischen Neujahrsfestes Rosch ha-Schana und dem Jahrestag des terroristischen Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober im vergangenen Jahr. Das wird in Ihren Gedanken mit Sicherheit auch eine Rolle spielen, oder?

Koch: Ja, ich war vor zwei Tagen in Berlin bei der Geburtstagsfeier einer großen jüdischen Gemeinde. Ich merke, wie das Fest dieses Jahr völlig unter diesem Tag steht. Wie wird es in Israel, wie wird es im Nahen Osten und wie wird es bei uns in Deutschland weitergehen?

Es herrscht die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden, aber auch zwischen Muslimen und Juden entwickelt. Die sitzen hier auf engstem Raum zusammen und es gibt durchaus Ängste und Sorgen auf beiden Seiten.

Hier ist es wichtig, klar zu sagen, dass wir zu unseren Verpflichtungen und Freundschaften mit den Juden stehen und dass wir an einem wirklichen Dialog und an einer politischen Lösung zur gleichen Zeit interessiert sind. Wir wollen den Frieden mit allen Mitteln. Das ist sicherlich auch in diesen Tagen beherrschend.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Tag der Deutschen Einheit

Am 3. Oktober 1990 wurden Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen Länder der Bundesrepublik. Das im Einigungsvertrag festgelegte Datum der Vereinigung von Ost und West ist seither als Tag der Deutschen Einheit nationaler Gedenktag.

Die deutsche Flagge vor dem Reichstagsgebäude in Berlin / © Jojoo64 (shutterstock)
Die deutsche Flagge vor dem Reichstagsgebäude in Berlin / © Jojoo64 ( shutterstock )
Quelle:
DR