Estland bringt Gesetz gegen Moskauer Patriarchat auf den Weg

Nach dreistündiger Debatte

Die estnisch-orthodoxe Kirche soll nicht länger zum Kreml-nahen Moskauer Patriarchat gehören. Das Parlament in Tallinn billigte in Erster Lesung einen Gesetzentwurf gegen diese Beziehungen mit Russland. Es gibt aber auch Widerstand.

Autor/in:
Oliver Hinz
Flagge Estlands auf dem Parlamentsgebäude von Tallinn / © NGCHIYUI (shutterstock)

Estland scheint in Bezug auf das orthodoxe Patriarchat von Moskau einen ähnlichen Weg einzuschlagen wie die Ukraine. Das estnische Parlament billigte vergangene Woche in Erster Lesung einen Gesetzentwurf, der die örtliche orthodoxe Kirche zum Bruch mit Moskau zwingen soll. Hintergrund ist die Billigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine durch die russisch-orthodoxe Kirche. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Glaubensgemeinschaften und religiöse Gemeinden nicht aus dem Ausland geleitet werden oder mit einem Leitungsgremium in einem anderen Staat verbunden sein dürfen, wenn von diesem eine Bedrohung für Estlands nationale Sicherheit ausgeht.

Laut Innenminister Lauri Läänemets, dem Initiator des Gesetzesvorschlags, trifft die Bestimmung einzig auf das Moskauer Patriarchat zu. In der mehr als drei Stunden langen Parlamentsdebatte war häufig von diesem Patriarchat und dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. die Rede. Sie wurde keineswegs hitzig geführt, sondern in einem ruhigen Stil.

Offener Widerstand gegen Gesetzentwurf

Es gab aber offenen Widerstand gegen den Gesetzentwurf. Die rechtsgerichtete Konservative Volkspartei (EKRE) und die linksliberale Zentrumspartei beantragten, den Entwurf abzulehnen. Ihr Antrag scheiterte aber mit elf gegen 41 Stimmen. 49 der 101 Mitglieder der Volksvertretung in Tallinn beteiligten sich an dem Votum nicht. Insgesamt waren 78 Abgeordnete anwesend.

Groß ist der Rückhalt für den Entwurf im Parlament folglich nicht. Aber über ihn wird jetzt weiter beraten. Womöglich wird er noch geändert. Auch ein Scheitern des Vorstoßes des sozialdemokratischen Innenministers scheint möglich. Der Nachrichtenchef des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders ERR, Indrek Kiisler, meinte, der Streit um die russisch-orthodoxe Kirche habe den Sozialdemokraten ein äußerst negatives Image beschert.

Missbrauch religiöser Organisationen

Der Regierungsentwurf zur Änderung des Kirchen- und Gemeindegesetzes soll unter anderem sicherstellen, dass in Estland tätige religiöse Organisationen nicht dazu missbraucht werden können, Hass oder Gewalt gegen eine andere Nation, eine andere Religion oder einen anderen Kultur- oder Werteraum zu schüren. Gleichwohl stehe der estnische Staat für Religionsfreiheit, wird argumentiert. Jeder könne frei entscheiden, ob und welcher Religion er angehört. Man müsse aber die Sicherheit in Estland schützen.

Der Gesetzentwurf legt fest, wer in Estland als Geistlicher tätig sein darf. Der Beruf soll Personen untersagt werden, die wegen einer Straftat verurteilt wurden oder die kein Aufenthaltsrecht in Estland haben. Darüber hinaus werden die Anforderungen an das Statut einer Religionsgemeinschaft festgelegt. Kirchen und Gemeinden, die ihre Satzungen und Geschäftsordnungen dem Gesetz anpassen müssen, sollen hierfür ab Inkrafttreten des Gesetzes zwei Monate Zeit haben.

Zweite und dritte Lesung erforderlich

Damit das Gesetz in Kraft tritt, muss es noch in Zweiter und Dritter Lesung verabschiedet und vom Staatspräsidenten unterzeichnet werden. Die estnisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats untersteht dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I. Sie betont aber zunehmend, dass sie ihre finanziellen und organisatorischen Entscheidungen völlig unabhängig treffe. Sie will auch den Zusatz Moskauer Patriarchat aus ihrem Namen streichen.

Ihren Wunschnamen lehnten die estnischen Behörden aber bisher ab, weil eine Verwechslungsgefahr mit der anderen orthodoxen Kirche in Estland bestehe, die dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel untersteht. Das estnische Parlament hatte das Moskauer Patriarchat im Mai 2024 zu einer Institution erklärt, die "die militärische Aggression der Russischen Föderation unterstützt".

Innenminister Läänemets erklärte im Parlament, Ziel seiner Gesetzesinitiative sei, dass die orthodoxe Kirche ihre Verbindungen zu Patriarch Kyrill I. und somit zum Kreml abbreche. "Dieser Gesetzentwurf gibt unserem Staat das Recht und die Möglichkeit auszuschließen, dass eine von einem fremden Staat geleitete oder finanzierte religiöse Vereinigung in Estland tätig werden kann, deren Zweck es ist, Streit und Hass zu säen, anstatt Frieden zu bringen", so der Sozialdemokrat.

Bedrohung der Religionsfreiheit

Die estnische Kirche des Moskauer Patriarchats sieht durch das geplante Gesetz die Religionsfreiheit bedroht. Sie habe sich mehrfach öffentlich gegen den Krieg ausgesprochen, betonte die Kirchenleitung am Montag. "Die Vorwürfe, unsere Kirche stelle eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar, sind völlig unbegründet", schrieben Metropolit Eugeni und die anderen Mitglieder des Führungsgremiums.

Der Russe Eugeni hatte im Februar 2024 Estland verlassen müssen, weil die Behörden eine Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung verweigerten. In einer Umfrage waren im Oktober 59 Prozent der Estinnen und Esten dafür, dass die Kirche alle Beziehungen zum Moskauer Patriarchat abbricht. 19 Prozent waren dagegen. Bei der Volkszählung 2021 bekannten sich 16 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zum orthodoxen Christentum – nach Mitgliedschaft von beiden orthodoxen Kirchen wurde dabei nicht unterschieden.