Europäische Rabbiner-Konferenz eröffnet Hauptsitz in München

Kein normaler Umzug

Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg verlegt eine internationale jüdische Organisation ihre Zentrale nach Deutschland – und das ausgerechnet in die einstige Nazihochburg München. "Gerade deshalb", sagen sie.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine (shutterstock)
Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine ( shutterstock )

Vor fast genau 100 Jahren griff Adolf Hitler zum ersten Mal nach der Macht. Sein Putsch in München scheiterte zwar, machte den Provinzpolitiker aber auf einen Schlag über Bayern hinaus bekannt. Wie keine andere Stadt steht München seither für denAufstieg des Nationalsozialismus.

Am kommenden Dienstag geben sich nun führende Vertreter des europäischen Judentums, das Hitler bekanntlich ausrotten wollte, ein Stelldichein in München. Diesmal nicht nur für ein paar Tage Konferenz wie 2022. Sie kommen, um zu bleiben.

Ein historischer Moment

Erstmals nach der Schoah verlegt eine internationale jüdische Organisation ihren Hauptsitz ins "Land der Täter". Und dann auch noch nach München, also an den Ort, der im Nazijargon einmal "Hauptstadt der Bewegung" hieß. Das lädt den Umzug der orthodox geprägten Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) aus London nach Bayern symbolpolitisch mächtig auf.

Für "meschugge", also verrückt, hätten einige diese Idee anfangs gehalten, erzählt Sprecher Oliver Rolofs der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Doch aus einem "Wie könnt ihr nur" ist ein "Gerade deshalb" geworden. Es gehe um ein Zeichen auch an die Adresse von Antisemiten und Israelfeinden, wer am Ende der Geschichte letztlich die Nase vorn habe, sagt Rolofs selbstbewusst. Er spricht für die Repräsentanten mehrerer hundert jüdischer Gemeinden zwischen Dublin und Wladiwostok.

Einladung von Söder

Die eigentliche Vorgeschichte zu der Standortentscheidung ist kurz. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ließ beim Treffen der Rabbinerkonferenz im Frühjahr 2022 in München aufhorchen. Er formulierte nicht nur ein höfliches Grußwort, sondern sprach eine dauerhafte Einladung aus. Konferenz-Geschäftsführer Gady Gronich, schon länger in München ansässig, ventilierte daraufhin eineVerlegung des Hauptsitzes von der Themse an die Isar.

Charlotte Knobloch / © Dieter Mayr (KNA)
Charlotte Knobloch / © Dieter Mayr ( KNA )

Im umtriebigen bayerischen Antisemitismusbeauftragten Ludwig Spaenle fand er einen Unterstützer, der weitere Drähte in die Staatsregierung knüpfen half. Auch die bestens vernetzte Langzeit-Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, dürfte ihren Einfluss geltend gemacht haben. Dazu kam, dass in Deutschland gerade 1.700 Jahre jüdisches Leben gefeiert wurden, während Großbritannien den Brexit vollzog. Am Ende stand eine handfeste Zusage: Der Freistaat fördert die orthodoxe Rabbinerkonferenz mit 1,5 Millionen Euro, und das jedes Jahr.

Präsenz jüdischen Lebens 

Mit neun Mitarbeitern belegt die CER ein halbes Stockwerk im Prinz-Ludwig-Palais. Der moderne Büro- und Tagungskomplex liegtzentral am Rande Schwabings: Das Israelische Generalkonsulat ist ganz in der Nähe, und auch das NS-Dokumentationszentrum, vormals das Hauptquartier der Hitler-Partei NSDAP. Von dort aus soll nicht nur Judenhass bekämpft, sondern vor allem die Präsenz jüdischen Lebens in der Öffentlichkeit gestärkt werden. So lautet das Vorhaben.

"Wir wollen uns hier nicht verstecken", sagte Gronich der "Jüdischen Allgemeinen". Auf dem Türschild werde daher nicht nur das Kürzel CER stehen, sondern der ganze Name seiner Organisation.

Flugblatt-Affäre kein Thema bei Eröffnung 

Ein eigenes Büro wartet auf den seit 2011 amtierenden CER-Präsidenten Pinchas Goldschmidt. Der einstige Moskauer Oberrabbiner lebt inzwischen in Israel. In mehreren Interviews sprach er voll des Lobes über Söders Engagement, vor allem dessen Schutzversprechen gegenüber der jüdischen Gemeinschaft.

Pinchas Goldschmidt / © Sven Hoppe (dpa)
Pinchas Goldschmidt / © Sven Hoppe ( dpa )

Die Affäre um ein antisemitisches Hetzblatt, das seinerzeit im Schulranzen des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger (Freie Wähler) entdeckt worden war, soll den Festakt am Dienstag nicht überschatten, heißt es im Vorfeld. Bei der Europäischen Rabbinerkonferenz hat man zwar auch eine Meinung zu dem Vorgang, betrachtet die Angelegenheit aber politisch als abgeschlossen.

Gastprofessur an der TU 

Goldschmidt wird in München eine Gastprofessur an der Technischen Universität wahrnehmen. Der gebürtige Schweizer unterhält nicht nur viele Kontakte zu europäischen Politikern. Zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine äußerte er sich ebenso unmissverständlich ablehnend wie unlängst zu Spuckattacken auf Christen in Israel. Dafür bedankte sich am Donnerstag auch der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, in einer Botschaft zum jüdischen Neujahrsfest.

Quelle:
KNA