Evangelische Kirche sorgt sich um den Schutz von Menschen

Gewinnt der Ruf nach Abschottung?

Migration, Missbrauch und Ratswahlen: Wenn das evangelische Kirchenparlament im November in Würzburg tagt, steht viel auf der Tagesordnung. "Migration, Flucht, Menschenrechte" lautet das Schwerpunktthema der Tagung.

Autor/in:
Franziska Hein
Meterhoher Nato-Zaun, der zusätzlich mit Stacheldraht gesichert ist, am Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Kos / © Michael McKee (epd)
Meterhoher Nato-Zaun, der zusätzlich mit Stacheldraht gesichert ist, am Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Kos / © Michael McKee ( epd )

Auf einer Reise an die EU-Außengrenze im Sommer appellierte die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, an die deutschen Bürger: "Lasst euch keine Angst vor Zuwanderung machen."

Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich betrachtet einen Unterschlupf eines Flüchtlings am Strand der griechischen Insel Kos / © Michael McKee (epd)
Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich betrachtet einen Unterschlupf eines Flüchtlings am Strand der griechischen Insel Kos / © Michael McKee ( epd )

Heinrich war nach Griechenland gereist, um sich unter anderem ein Flüchtlingslager auf der Insel Kos anzusehen. Über ihre Erfahrungen wird sie auch im November auf der Tagung des evangelischen Kirchenparlaments in Würzburg berichten.

Schutz der Grenzen wichtiger als Menschenwürde?

Die Synode der EKD trifft sich vom 10. bis 13. November in der fränkischen Stadt am Main. Bei den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern im September erzielte die AfD hohe Ergebnisse, in Thüringen wurde sie gar stärkste Kraft. Das Schüren von Ängsten vor allem Fremden beschert der Partei wachsenden Zulauf. Über eine Verschärfung der Asyl- und Einreiseregeln in Deutschland wird schon lange heftig gestritten.

Sie betrachte die aktuelle Migrationsdebatte mit Sorge, sagte auch die amtierende Ratsvorsitzende der EKD, Kirsten Fehrs, dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es scheint, dass der Ruf nach Abschottung gewinnt und der Schutz der Grenzen wichtiger ist als der der Menschenwürde." Die Kirche stehe immer wieder für die Rechte der Geflüchteten ein, fügte die Hamburger Bischöfin hinzu.
 

Bischöfin Kirsten Fehrs / © Daniel Pilar (KNA)
Bischöfin Kirsten Fehrs / © Daniel Pilar ( KNA )


Doch angesichts des anhaltenden Bedeutungsverlusts der Volkskirchen ist das keine leichte Aufgabe. Auch das dürfte Thema bei der Synode sein. Aufgeben möchte Fehrs nicht, die sich auf der Tagung im November um den Ratsvorsitz für die nächsten drei Jahre bewirbt: "Kirche kann ein Ort sein, an dem man kontroverse Themen friedfertig ansprechen und diskutieren kann

Maßnahmenplan gegen sexualisierte Gewalt

Der Schutz von Menschen beschäftigt die Kirche derzeit nicht nur im Blick auf Landesgrenzen, auch innerhalb der Institution ist er zentrales Ziel bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt. Im Januar hatte ein unabhängiges Forscherteam die ForuM-Studie zu Ursachen und Ausmaß sexualisierter Gewalt in der EKD und der Diakonie veröffentlicht. 

Grunderkenntnisse der Studie: Der Missbrauch hatte ein ähnliches Ausmaß wie in der katholischen Kirche. Betroffene, die Taten öffentlich machten, wurden als "Nestbeschmutzer" angesehen. Taten wurden relativiert, Täter oftmals geschützt, Verantwortung externalisiert. Erstmals seit der Veröffentlichung diskutiert das Kirchenparlament nun über die Ergebnisse.

Fehrs versprach im Januar, Verantwortung zu übernehmen. Auf der Synodentagung soll nun ein mehr als 40 Punkte umfassender Maßnahmenplan vorgelegt werden. Auch das Disziplinarrecht für Pfarrpersonen soll geändert werden. Anfang Oktober ging außerdem die Vernetzungsplattform "Bene" an den Start - ein Betroffenennetzwerk.

Anerkennungsleistungen unter der Lupe

Anders als ursprünglich gedacht, wird das geplante einheitliche System für Anerkennungsleistungen für Betroffene sexualisierter Gewalt nicht bis zur Synode entscheidungsreif sein. Obwohl auf EKD-Ebene eine Richtlinie verhandelt und gebilligt wurde, soll sie nun durch eine zusätzliche Prüfschleife durch die Landeskirchenämter.

Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche

Die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen. Laut einer Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr (dpa)
Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr ( dpa )



Erst für 2025 ist mit einer Entscheidung zu rechnen. Der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum von EKD und Diakonie, Detlev Zander, kritisiert das. Das sei eine Enttäuschung für viele Betroffene, sagte er.

Detlev Zander, Mitglied im Beirat des Forschungsverbundes und Sprecher der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum der EKD, fordert mehr Tempo bei den Anerkennungsleistungen. / © Jens Schulze (epd)
Detlev Zander, Mitglied im Beirat des Forschungsverbundes und Sprecher der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum der EKD, fordert mehr Tempo bei den Anerkennungsleistungen. / © Jens Schulze ( epd )



Im Grundsatz sieht die neue Richtlinie vor, dass es eine individuelle Leistung sowie zusätzlich einen pauschalen Betrag geben soll, wenn die Tat nach heute geltendem Recht strafrechtlich relevant ist. Die Höhe dieses Betrags wird auf der EKD-Synode genannt.

Dass die Debatte über die richtige Aufarbeitung intern zu Differenzen führt, zeigte zuletzt der Rücktritt des Bochumer Kirchenrechtlers Jacob Joussen aus dem Rat der EKD. Neben persönlichen Gründen nannte er auch die Aufarbeitungspraxis, die er lieber in externen Händen wissen wollte.

Wahlen des Ratsvorsitzes

Neben ihm und der im vergangenen Jahr zurückgetretenen westfälischen Präses und Ratsvorsitzenden Annette Kurschus wird auch der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung den Rat verlassen. Drei Mitglieder werden im November somit neu gewählt. 

Unter den Kandidaten sind die Kirchenpräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche, Susanne Bei der Wieden, und der Berliner Bischof Christian Stäblein. Aus dem komplettierten Rat wählt die Synode den regulären Ratsvorsitz sowie die Stellvertretung. Bischöfin Fehrs dürfte danach die alte und neue Frau in der Verantwortung sein.

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist die Gemeinschaft der 20 evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik. Wichtigste Leitungsgremien sind die EKD-Synode mit ihren Mitgliedern, die Kirchenkonferenz mit Vertretern der Landeskirchen sowie der aus ehrenamtlichen Mitgliedern bestehende Rat. Sitz des EKD-Kirchenamtes ist Hannover.

Synode der EKD / © Norbert Neetz (epd)
Synode der EKD / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
epd