DOMRADIO.DE: Welchen Stellenwert hat der Ramadan für Musliminnen und Muslime?
Prof. Dr. Thomas Lemmen (Mitarbeiter des Referats Dialog und Verkündigung des Erzbistums Köln und Leiter des Studiengangs für interreligiöse Dialogkompetenz an der Katholischen Hochschule NRW): Das Fasten im Ramadan ist eine der fünf Grundpflichten des Islam. Es ist Musliminnen und Muslimen geboten, in diesem Monat von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu fasten und sich vollständig zu enthalten.
Das hat eine große Bedeutung für die muslimische Gemeinschaft. Es ist im Grunde eine Umstellung des Tagesablaufs. Man stellt sich mit seinem Tagesablauf komplett auf diesen Monat des Fastens um.
DOMRADIO.DE: Vollständige Enthaltsamkeit heißt nicht bloß, dass Essen und Trinken tabu sind. Was noch?
Lemmen: Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang darf man nichts essen, nichts trinken und nicht rauchen. Sexuelle Enthaltsamkeit ist geboten. All das gilt von morgens bis abends. Mit dem Sonnenuntergang wird das Fasten gebrochen und man ist vom Fasten befreit.
DOMRADIO.DE: Das Fasten ist mitunter anstrengend. Wer ist von der Pflicht entbunden?
Lemmen: Alle Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht fasten können wie Schwangere, Stillende, aber auch Reisende. Und alle, die befreit sind, sollen dann die versäumten Fasttage nachholen oder aber Bedürftigen etwas spenden.
DOMRADIO.DE: Diese soziale Dimension des Ramadan bezieht sich aber nicht nur auf die Menschen, die nicht fasten können?
Lemmen: Nein, die soziale Dimension betrifft alle. Der Fastenmonat Ramadan ist eine Zeit der Solidarität mit dem und den Nächsten. Das zeigt sich daran, dass zum Fastenbrechen traditionell zum Essen eingeladen wird – in Moscheen, aber auch nach Hause. In dieser Zeit denkt man auch besonders an die Bedürftigen.
In der islamischen Welt, aber auch in Deutschland, finden sehr viele soziale Events in dieser Zeit statt, die die soziale Dimension der Fürsorge für den Nächsten zum Ausdruck bringen. Es gibt dann auch noch mal eine eigene Spendenabgabe im Ramadan.
Gleichzeitig ist es aber auch eine vertiefte spirituelle Zeit. Man soll mehr beten, man soll den Koran einmal von Anfang bis Ende lesen. Und da schließen sich irgendwie auch Kreise.
Für das Christentum ist die Fastenzeit jetzt im Gange. Zu Beginn der Fastenzeit hören wir im Evangelium immer, man soll beten, fasten und Almosen geben.
Diese drei Dinge sind auch für Muslime im Fastenmonat Ramadan wichtig: Beten, Fasten und Almosen geben. Es sind vergleichbare Handlungen.
Die Inhalte unterscheiden sich natürlich. Christinnen und Christen bereiten sich auf das Osterfest vor. Muslime und Musliminnen gedenken an die Herabsendung des Korans.
DOMRADIO.DE: Jedes Jahr gibt es das Ramadan-Grußwort der Kirchen in NRW. Das ist eine ökumenische Aktion der fünf katholischen Bistümer und der beiden evangelischen Landeskirchen. Was steht darin?
Lemmen: Das diesjährige Grußwort bringt den Aspekt der Nächstenliebe, der Mitmenschlichkeit und der Barmherzigkeit noch einmal zum Ausdruck. Es erinnert daran, dass auch Jesus gesagt hat, dass die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen die wichtigsten Gebote sind.
Der entsprechende Passus aus dem Neuen Testament wird zitiert, der sich auf die Tora bezieht. Dann folgt ein islamischer Text, ein Ausspruch des Propheten Mohammed, der gesagt hat: Keiner von euch hat Glauben, wenn er nicht für seinen Nachbarn liebt, was er für sich selbst liebt.
DOMRADIO.DE: Viele von uns haben vielleicht muslimische Kollegen, Mitschülerinnen, Nachbarn. Haben Sie einen Tipp, wie man respektvoll mit den fastenden Mitmenschen umgeht?
Lemmen: Man sollte sich zunächst einmal bewusst machen, dass der andere oder die andere fastet. Wenn man Veranstaltungen plant, dann sollte man bei den Zeiten daran denken. Man sollte keine Veranstaltung in die Abendstunden legen, wenn die Menschen das Fasten brechen. Dann wird niemand kommen.
Wir beginnen heute mit einem neuen Studiengang an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho): "Interreligiöse Dialogkompetenz". Wir haben die Studienzeiten mit Blick auf den Ramadan so angepasst, dass die Studierenden am Ende der Vorlesung wieder gut nach Hause kommen können, um dort ihr Fasten zu brechen. Daran muss man denken.
Und wenn man Menschen muslimischen Glaubens sieht, kann man ihnen auch sagen: Ich wünsche ihnen alles Gute; nehme Gott ihr Fasten an; ich wünsche ihnen eine gute Fastenzeit. Zum Ende des Fastenmonats, eine Woche nach unserem Osterfest, kann man dann auch ein schönes oder gesegnetes Fest wünschen.
Das Interview führte Tobias Fricke.