Der deutsche Kinderschutzexperte Hans Zollner appelliert an die moralische Pflicht von Kirchenvertretern im Umgang mit Missbrauch. Die Kirche dürfe nicht vergessen, dass sie nicht nur eine juristische Antwort auf Missbrauchsfälle geben könne, sagte Zollner am Montag dem ungarischen Online-Portal "telex.hu". "Wir haben auch die Pflicht, eine moralische und geistliche Antwort zu geben."
Zollner äußerte sich im Kontext der gerichtlichen Aufarbeitung sexueller Gewalt in der katholischen Kirche. "Vor einem weltlichen Gericht berufen sich die Bischöfe in der Regel auf die Verjährungsfrist, während die Opfer argumentieren, dass die Kirche sich nicht darauf berufen darf." Wer den Rechtsweg beschreite, werde eine rechtliche Antwort auf den jeweiligen Fall erhalten, so der Missbrauchsexperte. Daher sei es wichtig, dass sich Opfer an gut informierte und kompetente Berater wenden könnten.
Vorwurf der Vertuschung
Die Kirche müsse ein sicheres Umfeld für sie schaffen - und sichere Verfahren, so Zollner. Als Gemeinschaft sei die Kirche für diese Opfer und den Missbrauch verantwortlich.
Außerdem sieht Zollner, dass sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche eine wichtige Rolle bei der nächsten Papstwahl spielen wird. "Kardinäle, die an einem künftigen Konklave teilnehmen werden, [werden sich] fragen müssen, wie sie mit Missbrauchsfällen umgegangen sind, was sie mit den Tätern während des kanonischen Prozesses getan oder nicht getan haben".
Zollner: Polizei und Gerichte einbeziehen
Explizit äußerte sich Zollner zu der Initiative der Missbrauchsbetroffenen-Vereinigung "Snap". Sie hatte Ende März Anzeige gegen sechs prominente Kardinäle im Vatikan erstattet. Die Organisation wirft den Kirchenmännern vor, sexuellen Missbrauch von Priestern und Kirchenangestellten vertuscht oder nicht hinreichend verfolgt zu haben. Namentlich geht es um die Kardinäle Peter Erdö, Kevin Farrell, Victor Fernandez, Mario Grech, Robert Prevost und Luis Tagle.
Zollner zweifelt die Zweckdienlichkeit des Vorgehens an. "Ich sehe weder die Rechtsgrundlage für die aktuelle Initiative noch die konkreten Vorwürfe", so der Kinderschutzexperte. Er rät: "In Fällen wie diesem sollte sich SNAP an die gleiche Verfahrensordnung halten, die auch die Kirche anwendet." Dazu gehöre es, die zuständigen Polizeibehörden, Gerichte und Staatsanwaltschaften einzubeziehen. Nur so könne man sichergehen, dass eine Anzeige ernst genommen werde.
Notwendigkeit offener Kommunikation
Zudem warb Zollner dafür offen zu kommunizieren. "Jeder Bericht, jede Form der Kommunikation ist wichtig, wir müssen über die Tatsache sprechen, dass diese Fälle von Missbrauch stattgefunden haben." Es sei wichtig, darüber zu sprechen, was genau passiert sei. "Katholiken müssen in der Lage sein, der Wahrheit ins Auge zu sehen und zuzugeben, was geschehen ist. Nur dann können wir Vergebung erlangen." Daher gehöre zur Aufarbeitung der offene Umgang mit der Öffentlichkeit.
Zollner ist Jesuit und Direktor des Instituts für Anthropologie der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er leitet das "Centre for Child Protection" (Institut zum Schutz Minderjähriger vor Missbrauch). 2023 trat er nach umfassender Kritik an der Arbeitsweise aus der Päpstlichen Kinderschutzkommission aus.