KNA: Beim Konzil von Nizäa ging es um das Gottesbild der Christen. Der Islam verkündet Jahrhunderte später ein davon sehr unterschiedenes Gottesbild. Worum geht es dabei?
Felix Körner (Jesuit und Islamswissenschaftler): Jesus tritt mit dem Anspruch auf, dass mit seinem Kommen das Reich Gottes nahegekommen ist. Und die frühe Kirche verkündet Jesus dann auch als jenen, durch den dieser entscheidende Durchbruch geschehen ist.

Das heißt, dass uns in der Gemeinschaft mit Jesus nichts fehlt zur Fülle des Lebens. Johannes drückt das dann so aus: "Wer den Sohn bekennt, hat auch den Vater" (1 Joh 2,23).
Deswegen sagen wir Christen immer solche für Muslime anstößige, herausfordernde Worte zu Jesus Christus wie der Apostel Thomas im Johannesevangelium: "Mein Herr und mein Gott!" (Joh 20,28). Das wollte man 325 sicherstellen: Christusgemeinschaft ist Gottgemeinschaft. Daher kommt die Betonung, Christus ist dem Vater wesensgleich.
KNA: Der Islam sieht das aber ganz anders ...
Körner: Ja, Mohammads Anspruch ist ein ganz anderer als der Jesu. Mohammed sieht sich zwar in der Linie der von Gott gesandten Propheten, zu denen auch biblische Figuren wie Moses, David und Jesus gehören.
Diese aber hätten im Grunde dasselbe wie Mohammad verkündet, nämlich dass es nur einen Gott gibt und dass man ihn im Beten und Tun ehren soll. Für den Koran sind alle Propheten im Wesentlichen gleich. Damit stellt auch keiner der Propheten eine entscheidende Geschichtswende dar - auch Mohammad nicht.
KNA: Für Christen ist mit Jesus Christus eine qualitative Veränderung eingetreten ...
Körner: Genau. Das würden Muslime nicht über Mohammed sagen. Dass eine bestimmte Figur mit Gott wesensgleich wäre, ist für sie nicht annehmbar. Die entscheidende Botschaft des Korans ist, dass man Gott nichts "beigesellen" darf, also nichts Anbetungswürdiges an seine Seite stellen darf. Gott allein ist der, dem göttliche Ehre gebührt.
Der christliche Glaube dagegen will sagen: Christusgemeinschaft ist volles, ewiges Heil, ist volle Gemeinschaft mit Gott; daher darf man Christus auch anbeten: Er ist der Durchbruch Gottes. Jesus die Ehre zu geben, das nimmt sie Gott nicht weg. Es ist die Freude des Vaters, wenn der Sohn geehrt wird.
KNA: Damit steht Mohammed aber auch im Kontrast zu den Arianern, die anstatt einer Wesensgleichheit von einer Wesensähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater ausgehen.
Körner: Im Unterschied zum Islam wurde Christus für die Arianer vor allen anderen Geschöpfen geschaffen. Aber damit sind sie etwas näher am Islam: Arianisch und islamisch ist Christus ein Geschöpf. Beide lehnen die ewige Präexistenz des Gottessohnes ab. Damit gäbe es eine Zeit, zu der der Sohn noch nicht war.
Die Kirche aber, die in Nizäa versammelt war, lehnte das ab: Deshalb heißt es im nizänischen Glaubensbekenntniss, dass der Sohn gezeugt und nicht geschaffen wurde. Man will eben vermeiden, dass man mit Christus nur ein bisschen bei Gott ist: Nein, das ist schon Gottesgemeinschaft. Man muss dann nicht noch einen Zusatzschritt machen zum Vater. Es ist schon alles da.
KNA: Aber rückt der Islam nicht den Koran in die Nähe von etwas Göttlichem?
Körner: Ja, da sind Sie sind auf der richtigen Fährte. Der Koran hat nach der Vorstellung vieler islamischer Theologen tatsächlich den Status "nicht geschaffen".
Die Formel lehnt sich an Vorstellungen aus der christlichen Theologie an. Demnach ist der Koran ewig bei Gott vorhanden. Aber der Koran wird nicht als Gott angeredet, sondern er wird damit nur auf einen ganz außerordentlich hohen Rang gehoben.
Damit soll der Koran der Beliebigkeit menschlicher Einwirkungen entzogen werden. Was aber vom Koran so urewig sein soll, ist umstritten, denn es gibt auch ausdrückliche Bezugnahmen im koranischen Text auf bestimmte Situationen in der entstehenden Gemeinde um Mohammad.

KNA: Die katholische Lehre hält die Offenbarung mit dem Tod des letzten Apostels zwar für abgeschlossen, jedoch kennt die eine Lehrentwicklung. Dabei spielen auch die Konzilien wie Nizäa und das Bischofskollegium eine Rolle. Eine Einrichtung die der Islam so nicht kennt. Mit welchen Folgen?
Körner: Die christliche Lehre hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer in neue Kontexte hinein inkulturiert. Das kann man mit Recht als Entwicklung bezeichnen. Die Kirche kennt damit immer drei Stimmen: die Heilige Schrift, das Glaubensbewusstsein, das auch von der Tradition geprägt ist und im Volk Gottes lebt, und die Bischöfe.
Zumindest der sunnitische Islam kennt eine solche Repräsentanz nicht. Daher müssen die Gelehrten einzeln vorgehen, wenn neue Fragestellungen auftreten.
In der Shia ist das anders. Sie geht auf Ali, den Neffen und Schwiegersohn Mohammeds zurück. Er und seine Nachfolger, die Imame, haben dann fast eine bischöfliche Rolle. Doch ist der Imam heute "in der Verborgenheit".
Wir haben also keinen Repräsanten, den man als Menschen und Autoritätsfigur sehen kann. Anders das Programm, das uns das Neue Testament bezeugt. Jesus selbst beauftragte Repräsentanten: Zwölf Männer, die für die zwölf Stämme Israels stehen. Hier wird Israel neu konstituiert.
KNA: Wie lässt sich mit Muslimen über die christologischen Dogmen wie Nizäa in Dialog treten?
Körner: Interreligiöser Dialog bedeutet nicht, dass man sich auf dogmatische Formeln einigt. Im ökumenischen Dialog ist die katholische Hoffnung durchaus, dass man immer mehr zusammenwächst und zu einem differenzierten Konsens auch in dogmatischen Fragen kommt. Der interreligiöse Dialog hat den Zweck, dass man einander versteht:
Zunächst die praktischen Probleme, die sich lösen lassen, dann aber auch die großen Probleme in Gesellschaft und Politik, die wir gemeinsam angehen müssen. Drittens die Unterschiede in der Glaubenslehre verstehen. Sie machen uns übrigens oft den eigenen Glauben klarer. Im Dialog kann man dann durchaus auch den eigenen Glauben bezeugen.
Man kann dazu ganz einfache Formeln verwenden. Ein Beispiel haben wir eben gesehen: Warum wollen wir Christen auch zu Christus Gott sagen?
Diese Formel ist eben unsere Bezeugung, dass in ihm das Gottesreich schon angebrochen ist. In der Gemeinschaft mit Christus fehlt nichts mehr an Gemeinschaft mit Gott. In den Fragen der Christologie ist es nicht sinnvoll zu sagen, dass der andere im Grunde dasselbe meint wie wir. Da gibt es wirkliche Grundunterschiede.
KNA: Sie sprechen von Grundunterschieden zwischen dem christlichen und dem islamischen Bekenntnis. Ein Ausfluss der Christologie ist vor allen Dingen die Inkarnationslehre, die sich auch im christlichen Menschenbild zeigt.
Führt dies unter anderem zu einem fundamentalen Dissens zwischen Muslimen und Christen im Hinblick auf die Frage: Was ist der Mensch und wie steht er vor Gott?
Körner: Sie haben mit Recht gesagt, die Inkarnation hat anthropologische Folgen. Aus der Christologie folgt, dass wir in der Freude der Gotteskinder leben dürfen.
Aber wenn Sie nun auf die Frage der Menschenwürde und damit der Menschenrechte schauen, ist zwischen islamischer und christlicher Sicht nur der Unterschied, dass wir unsere Würde ausdrücklicher feiern und empfinden. Doch wir sagen beide: Der Mensch hat eine unverlierbare Würde und sogar eine Repräsentanzfunktion für Gott auf Erden.
Auch für Muslime gehören Gottesdienst und Menschendienst untrennbar zusammen. Begründungen dafür finden sich schon im Koran selber.
Es sagt etwa, dass Gott einen Khalifa einsetzen will, einen Nachfolger oder Stellvertreter auf Erden - den Menschen. Das ist uns aus dem Buch Genesis vertraut: Wir haben die uns von Gott überantwortete Gestaltungsaufgabe, Sachwalter über die Schöpfung zu sein.
KNA: Auch der Koran spricht von Jesus. Welche Rolle spielt er in der muslimischen Frömmigkeit?
Körner: Schon die Mutter Jesu, Maria, erwähnt der Koran mit großer Hochachtung und verteidigt sie wird gegen den Vorwurf, unkeusch gewesen zu sein, wenn sie ohne einen verheirateten Mann schwanger wurde. Auch über Jesus findet man viele hochachtungsvolle Worte im Koran.
Das geht so weit, dass der Koran nicht akzeptieren will, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, denn er gilt als Prophet - und einem Propheten würde doch Gott ein solches Schicksal nicht zumuten. Das ist nicht gegen Jesus gerichtet. Was Jesus gemacht hat, seine Milde, wie er gelebt hat, wie er gesprochen hat, das ist wunderbar, sagen viele Muslime.

Mit dem Koran können Muslime ihre Liebe zu Jesus begründen. Deswegen ist in der islamischen Frömmigkeit Jesus hochgeachtet, ja geliebt.
Aber theologisch ist Jesus nur einer in der Reihe der Propheten, die alle im Grunde dasselbe verkündet haben und nicht, wie wir Christen es bezeugen, der entscheidende Durchbruch war, die definitive Geschichtswende.
Das Interview führte Simon Kajan.