Die neue Dauerausstellung beginnt mit einem Wunsch. Nein, mit vielen Wünschen. An einer abstrakten Baumkonstruktion in blassem Holz hängen grüne Papierblätter. Noch sind die meisten leer, aber ab Sonntag, wenn das Jüdische Museum Berlin seine Tore wieder öffnet, sind die Besucher eingeladen, auf diese Blätter Wünsche zu schreiben. Ein heller Willkommenspunkt an einem Ort, der durch die Architektur von Daniel Libeskind dunkle Schwere in sich trägt. Die neue Direktorin Hetty Berg wünscht sich, dass es ein Ort der "respektvollen Begegnung" für alle Menschen wird, damit "der Baum des jüdischen Lebens in einem guten Klima wachsen" kann.
Wieder geöffnet
Rund zweieinhalb Jahre war das Jüdische Museum in Berlin, das größte seiner Art in Europa, für den Umbau geschlossen, coronabedingt einige Monate länger als geplant. Nun sind die Arbeiten an der Ausstellung "Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland" abgeschlossen. Auf rund 3.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche informieren mehr als 1.000 Objekte, größtenteils aus der hauseigenen Sammlung, über die Geschichte der Juden vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Für die leitende Kuratorin Cilly Kugelmann, die bereits die letzte Dauerausstellung mit aufgebaut ist, ist die Schau nun "frischer und pointierter".
Dabei setzt die neue Dauerausstellung mit fünf Epochenräumen vom Mittelalter bis heute und acht Themenräumen zu Kultur, Tradition und religiöser Praxis auf Interaktion statt auf chronologisches Nacherzählen. Der Besucher soll aktiv werden und sich beteiligen, wie Berg betont.
Das fängt beim Wunschbaum an und zieht sich durch die ganze Ausstellung. So kann im Themenraum "Tora" der eigene Name ins Hebräische übersetzt werden, während im Themenraum "Klang" eine Koje zum Lauschen jiddischer Popmusik wie dem Swing-Song "Bei Mir Bistu Shein" einlädt. Mit einer Virtual Reality Brille kann der Besucher sich im Epochenraum "Auch Juden werden Deutsche" in drei Synagogen in Köln, Hannover und Plauen umsehen, wie sie vor ihrer Zerstörung aussahen, oder in weiteren Räumen spielerisch herausfinden, ob er das Potenzial zum Messias hätte oder ein guter Zionist wäre.
Schwerpunkt der Dauerausstellung liegt auf der Geschichte nach 1945
Doch nicht nur spielerisch zieht die Ausstellung den Besucher in ihren Bann. Auch durch monumentale Installationen wie bodenlange Papierbahnen, auf denen 962 antijüdische Gesetze verewigt sind, Anselm Kiefers Rauminstallation "Schewirat ha-Kelim" zur kabbalistischen Lehre der Schöpfung oder 21 Videomonitore, auf denen Juden über ihr Jüdisch-Sein in Deutschland sprechen, werden die Sinne des Betrachters gefordert.
Wie diese Videoinstallation "Mesubin" liegt ein Schwerpunkt der Dauerausstellung auf der Geschichte nach 1945. Dabei geht es zum einen darum, wie mit dem Einschnitt des Holocaust umgegangen wurde, aber auch wie jüdisches Lebens in der Bundesrepublik und der DDR neu beginnen konnte. Zeugnisse sind etwa im Themenraum "Familienalbum" Objekte aus den Nachlässen jüdischer Familien, etwa ein Judenstern, der zum Nähkissen umfunktioniert wurde. Das Thema Antisemitismus zieht sich durch alle Epochen und wird darüber hinaus in einem eigenen Segment behandelt: In vier Kurzfilmen werden antisemitische Fallbeispiele von Historikern und Sozialwissenschaftlern eingeordnet.
Bisher elf Millionen Besucher
Die bisherige Schau hatte von der Eröffnung des Museums 2001 bis 2017 mehr als elf Millionen Besucher. Die neue soll noch mehr und unterschiedliche Gruppen ansprechen und laut Berg zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Kulturstaatsministerin Monikas Grütters (CDU), aus deren Haushalt rund 19 Millionen Euro in die Ausstellung geflossen sind, wünscht sich, vielleicht auch am Wunschbaum, dass das Museum dabei den Blick über aktuelle Debatten und Kontroversen hinaus weitet und eine "Kraft der Verständigung" für alle Altersklassen entwickelt.
Berg, die erst seit Mai im Amt ist und entsprechend nur die Zielgerade mitbegleitet hat, soll dabei - nach einer schwierigen Zeit der scharfen Kritik an ihrem Vorgänger Peter Schäfer und nach dessen Rücktritt - ein politisches Haus und ein "Haus der Streitkultur" führen, dass sich nicht "politisch vereinnahmen lässt". Auch das wünscht sich Kulturstaatsministerin Grütters.