Hinter der Monstranz durch die Straßen zu ziehen, zu singen und zu beten - die Fronleichnamsprozession, diese Demonstration des katholischen Glaubens, wirkt auf manche Menschen wie aus der Zeit gefallen. Auch mancher Katholik mag inzwischen mit dieser Tradition fremdeln, fällt es doch auch angesichts der kirchlichen Missbrauchskrise, Stagnation auf dem Synodalen Weg und anderem Frust schwer, voller Überzeugung hinter der Kirche zu stehen.
"Es gibt alle möglichen Demonstrationen – auch wir zeigen, was uns wichtig ist", sagt selbstbewusst Marius Linnenborn – die Gegenwart Christi in der geweihten Hostie. Die Frage sei aber: "Trauen wir uns, mit diesem Schatz in die Öffentlichkeit zu gehen?"
Für den Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier zeigt sich an der Fronleichnamsprozession, wie lebendig der Glaube und das Gemeindeleben vor Ort sind und welchen Stellenwert überhaupt die Eucharistie hat. "Ist sie ein wichtiger Kern des Gemeindelebens? Gelingt über die Erstkommunionvorbereitung eine gute Verbindung zu jungen Familien?", fragt Linnenborn. "Wenn die Eucharistie auf Sparflamme gehalten wird, versteht man auch, warum Menschen keinen Bezug dazu haben - und dann natürlich auch nicht einsehen, warum sie bei der Prozession der Monstranz folgen sollen."
Andere Botschaft und kürzere Prozessionen
Ob sich Menschen der Prozession gerne anschließen und in der Öffentlichkeit am Gottesdienst teilnehmen, kommt für den Theologen auch auf die Art der Durchführung an. Linnenborn verweist darauf, dass heute Fronleichnamsprozessionen meist nicht mehr wie in den 1970er Jahren durchgeführt werden. Prachtvolle Prozessionen, um die Macht und Stärke der katholischen Kirche darzustellen, seien nicht mehr angesagt. Heute sei die Botschaft: "Die Kirche und das Volk Gottes sind auf dem Weg und in Bewegung".
Prozessionen seien heute oft kürzer; neben der Monstranz werde mancherorts auch die Heilige Schrift mitgeführt, um die Bedeutung des Wortes Gottes zu unterstreichen. Einen größeren Stellenwert habe oft ein Gottesdienst auf einem zentralen Platz des Ortes. Änderungen gebe es auch durch die Zusammenlegung zu Pfarrverbünden, weil Seelsorger fehlen und sich Menschen zunehmend von der Kirche abwenden. Solche gemeinsamen Feiern bieten für Linnenborn die Chance, sich als größere Einheit zu erleben und überhaupt als glaubende Menschen kennenzulernen.
Land-Stadt-Gefälle
Gleichwohl weiß der Theologe, dass sich viele Menschen mit neuen Wegen buchstäblich schwertun. "Manche sagen: Ich nehme nur teil, wenn die Prozession durch unseren Stadtteil zieht." Abgenommen habe auch die Tradition, am Prozessionsweg vor Wohnhäusern kleine Altäre zu schmücken. Aber auch hier gebe es Ausnahmen. "Es gibt Menschen, die sagen: Das haben wir immer gemacht. Wir gehen zwar nicht mehr regelmäßig in die Kirche, aber den Altar machen wir." Zugleich beobachtet Linnenborn bei der Teilnahme an der Fronleichnamsprozession ein Land-Stadt-Gefälle. In bayerischen Dörfern gehöre die Teilnahme noch mehr zum Brauchtum, "da ist es üblich, dass die Freiwillige Feuerwehr und das Blasorchester mitgehen".
Der Theologe weiß, dass die Kirchenbindung abnimmt. Schon die Mitfeier des Gottesdienstes ist nicht selbstverständlich, noch weniger die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession. "Seinen Glauben in der Öffentlichkeit zu zeigen, ist noch mal ein Schritt mehr." Auch wenn kaum noch jemand an der Straße stehe, sei das beispielsweise für junge Messdiener eine Herausforderung. "Da ist es gut, in Gesellschaft zu sein und zu wissen: Wir sind mit unserem Glauben nicht allein."
Rituale und die Verständlichkeit
Der Münsteraner Religionssoziologe Detlev Pollack weiß, dass so eine Glaubensprozession kirchenferne Menschen irritieren mag. "Christen sind mit Christus unterwegs, um Gott die Ehre zu geben." Daran müsse man nicht glauben, "aber für diejenigen, die daran glauben, ergibt das Ritual Sinn. Und viele erleben das Ritual, das in einigen Gegenden zu einem volkstümlichen Brauch geworden ist, als etwas Schönes".
In allen Religionen würden Rituale gepflegt, die auf den ersten Blick schwer verständlich seien, gibt Pollack zu bedenken. Auch wenn es vielen vielleicht altertümlich und fremdartig vorkomme, wenn Menschen einem Priester mit einer Monstranz folgten, wirbt der Religionssoziologe für Toleranz. "Nicht nur die Religionen des globalen Südens verdienen Respekt, sondern auch das Christentum."
Öffentliches Bekenntnis zu Christus
Glaubenswissen ist längst nicht mehr selbstverständlich. "Ein öffentliches 'Be-Kennt-nis' setzt 'Kennen' voraus", sagt der Theologe Manfred Becker-Huberti. Christus zu kennen und sich zu ihm zu bekennen, schließt für ihn ein bloßes Hinterherlaufen hinter der Monstranz aus. "Die aktuelle Krise verlangt von mir eine Entscheidung: Will ich Christus nachfolgen oder nicht? Das stellt meine kritische Einschätzung bestimmter Ereignisse in der Kirche nicht in Frage", erklärt der Brauchtumsforscher.
Wer seinen Glauben öffentlich bekennen will, für den gibt es aus Becker-Hubertis Sicht keine Alternative zur Öffentlichkeit. "Verborgene Bekenntnisse nimmt niemand wahr." Hierzulande dürfe jeder legitim sein Bekenntnis ablegen - ob durch Aufdruck auf seinem T-Shirt, Plakaten oder eben einer demonstrativen Prozession über Straßen und Feldwege. Sie sollte aber zeitgemäß sein und nicht mehr wie früher "selbstherrlich und in antiquierten Formen" daherkommen.
Schließlich solle vermittelt werden: "Christen folgen Christus nach. Christus und sein Reich sind schon in dieser Welt präsent. Deshalb begleitet uns Christus auf all unseren Wegen." Prozessionen könnten auch mit dem Rad oder per Schiff, sternförmig oder mit modernen Liedern und Texten gestaltet werden. Denn, so Becker-Huberti, "Gottes Wege lassen sich immer wieder neu und neuartig begehen."