In dem Schreiben hatte Franziskus Umweltverschmutzungen und Menschenrechtsverletzungen in Südamerika angeprangert. Zugleich lehnte er Weiheämter für Frauen vorerst ab und ging auf die von der Synode angeregte Lockerung beim Priester-Zölibat nicht ein.
"Auch ich hatte deutlichere Worte von Papst Franziskus in Bezug auf die Rolle der Frauen in der Kirche und auf die Frage nach den Zulassungsbedingungen zum Priesteramt erwartet", räumte der Hauptgeschäftsführer von Adveniat, Michael Heinz, am Mittwoch in Mainz ein. Er betonte jedoch zugleich, dass der Papst mit seinem Schreiben das Schlussdokument der Weltbischofsversammlung zur Amazonas-Region im vergangenen Herbst nicht infrage gestellt habe.
"Papst Franziskus will - und das führt bei manchem zum Gefühl, es gehe zu langsam - alle mitnehmen, damit wir eine neue, offene, menschliche Weltkirche werden. Und die soll sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen, sondern mit den Menschen, mit den Kulturen, mit den Religionen, mit der Welt", so Heinz.
"Manche Kritik scheint überzogen"
Ähnlich äußerte sich der Weltkirche-Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Ludwig Schick. Er ging auf das vierte Kapitel des Papstscheibens zur Rolle der Frauen und einer möglichen Priesterweihe von verheirateten Männern ein, das zu "kontroversen Diskussionen" geführt habe.
"Manche Kritik scheint überzogen, wenn man sich das Schlussdokument der Synode und das Nachsynodale Schreiben genauer durchliest", so Schick. Letzteres ersetzt das Schlussdokument ja nicht, im Gegenteil: Der Papst lädt in ihm ein, das Schlussdokument der Synode, in dem konkrete Forderungen aufgeführt werden, aufmerksam zu lesen und weiter darüber zu beraten.
Franziskus gehe es darum, "widerstreitende Meinungen zu hören und innerkirchliche Konflikte konstruktiv auszutragen", so Schick weiter. "Als Papst ist er bemüht, die ganze Bandbreite des Katholizismus mitzunehmen." Das sei auch Anliegen des Synodalen Wegs zur Zukunft kirchlichen Lebens in Deutschland, fügte der Bamberger Erzbischof hinzu. "Ich bin zuversichtlich, dass wir hier wie dort bald zu fruchtbaren Ergebnissen kommen und immer mehr zu einer glaubwürdigen, sozial engagierten und missionarischen Kirche werden."
Schwarz-Weiß-Denken überwinden
Schick erklärte, in der Zölibatsfrage müsse man das Schwarz-Weiß-Denken überwinden. Es sei schon lange klar, dass es unter bestimmten Ausnahmebedingungen die Priesterweihe auch für verheiratete Männer gebe. Dies gelte bisher etwa für Priester der mit Rom verbundenen Ostkirchen oder für konvertierte anglikanische und protestantische Geistliche. Weitere Sondererlaubnisse seien möglich.
Für negativ entschieden hält Schick hingegen die Frage nach der Möglichkeit einer sakramentalen Weihe von Frauen. Hier habe Papst Franziskus die klare Entscheidung von Johannes Paul II. gegen eine solche Weihe bekräftigt.
"Umkehr beginnt innerhalb der eigenen Strukturen"
Der Hauptgeschäftsführer von Misereor, Pirmin Spiegel, ergänzte, aus Sicht des Papstes müsse soziale Gerechtigkeit einhergehen mit ökologischer Gerechtigkeit. Die sei nur realisierbar, "wenn sie auch die Geschlechtergerechtigkeit berücksichtigt", so Spiegel. "Deshalb ist es notwendig, dass auch Kirche Teil der Veränderungen ist und die Umkehr auch innerhalb der eigenen Strukturen beginnt."
Spiegel sagte, er wisse, dass schon bald mehrere Amazonas-Bischöfe in Rom Anträge stellen werden, um die Sondereerlaubnis ("Dispens") für eine Priesterweihe einzelner verheirateter Männer zu erhalten. In den kommenden Wochen würden sich an mehreren Orten der Region Kirchenführer treffen, so Spiegel. Sie würden über konkrete Schritte nach dem Schlussdokument der Amazonas-Synode sowie dem Papst-Schreiben "Querida Amazonia" diskutieren und auch konkrete Schritte daraus ableiten.
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ergänzte, die Situation des Priestermangels sei "in Deutschland schon katastrophal, im Amazonasgebiet aber noch viel schlimmer". Da das Gebet um neue Priester nicht das erhoffte Resultat erbracht habe, müsse man nun andere Wege gehen.
Forderung nach neuem Kurs in der Wirtschaft
Die Bischöfe und Hilfswerke forderten zudem einen grundlegenden wirtschaftlichen Kurswandel in Deutschland und Europa. "Wir deutsche Katholiken stehen als Demokraten und als Verbraucher, aber vielleicht auch als Unternehmer oder Kapitalanleger in der Verantwortung", sagte Overbeck. "Es muss unser Ziel sein, unsere Gesellschaft ökologisch umzubauen und klimaneutral, sauber und umweltfreundlich zu werden." Dabei könne Europa eine Vorreiterrolle einnehmen, so Overbeck. Ausdrücklich begrüßte der Vizepräsident der EU-Bischofskommission COMECE vor diesem Hintergrund den Green Deal, mit dem die EU-Kommission Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen will.
"Zeichen der weltweiten Solidarität"
Erzbischof Schick, forderte von der Politik Zeichen der weltweiten Solidarität. So solle der Bundestag die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz indigener Völker ratifizieren. Auch unterstützten Kirche und Hilfswerke den Ruf nach einem Lieferkettengesetz, das die Zulieferer in Schwellen- und Entwicklungsländern auf soziale und ökologische Mindeststandards verpflichte.
Adveniat-Hauptgeschäftsführer Heinz hob die Arbeit des kirchlichen Amazonas-Netzwerks Repam hervor, das Menschen unterschiedlichster Herkunft miteinander verbinde und ihre Interessen vertrete. Ein solcher Zusammenschluss sei auch in Europa denkbar. "Auch wir brauchen ein kirchliches europäisches Netzwerk, das die Option für die Armen, für die Jugend und für die Schöpfung für unseren Kontinent durchbuchstabiert", so Heinz.
Weiter sagte der Adveniat-Chef: "In einer Zeit, in der in Europa nationalistische Kräfte die Erderwärmung und den menschengemachten Klimawandel leugnen und gleichzeitig den Glauben in einem vermeintlichen Kampf gegen den Untergang des christlichen Abendlandes missbrauchen, ist es höchste Zeit für ein kirchliches Bekenntnis zu Europa."
"Streben nach immer mehr Wachstum muss aufhören"
Misereor-Hauptgeschäfsführer Spiegel machte sich für das Ende einer "zuvorderst kapitalistischen, auf Konsum ausgelegten und sich durch Ausbeutung der Anderen reproduzierenden Wirtschafts- und Lebensweise" stark. Das Streben nach immer mehr Wachstum, "egal um welchen Preis", müsse aufhören. "Wir in Deutschland sind durch unsere Denkweisen, durch Lebensstil, Wirtschaft und Politik mitverantwortlich, dass wir planetarische Grenzen wie beim Klima und der Biodiversität verletzen", so Spiegel.