212 Gramm, 19,5 X 11,6 X 1,6 cm Höhe mal Breite mal Dicke - physikalisch ist es kein Schwergewicht, das Buch von Maria Mesrian und Lisa Kötter. Der Titel dagegen stellt Forderungen, die gewichtiger kaum sein können: "Entmachtet diese Kirche und gebt sie den Menschen zurück". Diese Forderung impliziert, dass es jemanden gibt, der die Kirche in Besitz genommen hat.
Um es gleich vorweg zu sagen: Zu entmachtende Besitzer seien Kleriker mit ihrem Heiligkeitsanspruch, denn sie haben die Menschen in dieser Kirche nicht verdient. Gottes Schöpfung ist zu wertvoll, um auf dem Altar selbstherrlicher Macht geopfert zu werden - so lautet eine zentrale Botschaft des Bandes. Dabei ist gemeint Gott* in seinen nicht menschlich zu ermessenden Qualitäten; Die Autorinnen sind gläubig in der Gefolgschaft des Mannes aus Nazareth, wie es von den Bischofstühlen seit Jahrzenten nur noch selten zu hören ist.
Das Buch hat es in sich: Das Verhalten führender Geistlicher wird im Prisma der Themen Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Gerechtigkeit durchleuchtet. Dabei offenbart sich nicht etwa nur die Abwesenheit dieser Werte, sondern gar deren gegenteilige Ausprägung: Verachtung, Aussonderung, Zwang und Willkür. Erinnernd und erhellend wirkt die Reflexion über die Nächstenliebe und das, was davon die Kirche zu leben vorgibt. Bestürzung löst die Untersuchung der "Freiheit" der Kinder Gottes aus, wie sie von Christen im Erzbistum Köln als Unfreiheit, Angst und Existenzbedrohung erlebt wird. Demaskierend auch die Analyse des Selbstbildes der Kirchenfürsten anhand der öffentlich agitierten Haltung bischöflicher Provenienz: "Da ist am meisten Kirche, wo sie sich erniedrigt hin zu den Armen, Bedrängten und in Not geratenen." Diese Hoffart (übrigens eine der 7 Todsünden) hat das Zeug, mit ihrer Nacktheit und Kälte sogar Nichtchristen zu berühren. Dies ist die offizielle Kennzeichnung der Beziehung zwischen Kirchenoberen und - ja wem eigentlich? Hier muss man wohl sprechen von den Opfern der klerikalen Herablassung.
Was die sexualisierte Gewalt im kirchlichen Raum angeht - die Autorinnen stellen nahezu nüchtern fest: "Die Würde eines Amtes stirbt da, wo der Träger des Amtes die Würde der Ohnmächtigen verletzt. Die Würde unserer Kirche starb mit der ersten Gewalttätigkeit und deren Vertuschung zwecks Heiligkeitsvorspiegelung." Dem ist nichts hinzuzufügen. Und der Grundgedanke blitzt im Buch immer wieder auf: Diese Kirche ist, so wie sie ist, ohne Würde.
Auch der zentrale Fehler des kanonischen Rechtes wird benannt: Sexualisierte Gewalt werde gesehen und behandelt als Verstoß gegen das Zölibatsversprechen, nicht etwa als das was es ist: Als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die Unverletzbarkeit des Menschen, gegen die Menschenwürde. Damit bleibt die Ethik der katholischen Kirche weit zurück hinter der abendländischen Aufklärung. Gut, dass dieser fundamentale Konstruktionsfehler der Moraltheologie in diesem Buch benannt wird, denn bisher ist er selten einem der Verantwortlichen ein Wort wert.
Ich wünsche mir, dass dieser Text hilft, Einblick in das bloßgelegte Wertesystem und die Strukturen seiner Realisierung zu finden - auch im Erleben all der Missbrauchten und der instrumentalisierten Mitwirkenden in berufenen Beiräten, damit sie sich aus dem Stockholmsyndrom befreien können, in dem gefangen sie sich oft erfahren.
Das Buch hält, was der Titel verspricht. Es ist ein entlarvendes Buch, eine Risikoanalyse, die aufzeigt, was die Kirche getan hat und tut, um die Botschaft Jesu in den Morast weltlich gearteter Macht zu ziehen. Gleichzeitig legt diese Analyse nahe, was aufrechte Christen tun können, um sich und ihre Mitstreiter aus dem Sumpf zu ziehen. Kirche als Menschenorte wünschen sich die Autorinnen. Man möchte ergänzen: Menschenorte mit Menschenbeauftragten. Keine Altäre, keine Sakristeien, keine hochmütigen Geweihten. Nein, Menschenorte mit Menschenbeauftragten.
Über den Autor: Karl Haucke, geb. 1951, Betroffener körperlicher, sexualisierter und spiritueller Gewalt in einem katholischen Ordensinternat. Sozialpädagoge, Supervisor, Qualitätsauditor, seit 1976 in sozialwissenschaftlicher Praxis, Forschung und Lehre unterwegs, Schwerpunkte: Pädagogik der Kindheit, Bildungsplanung, Qualitätsmanagement. Aktiv in verschiedenen Betroffenen-Initiativen, Gründungsmitglied des IPA e.V. (Institut für Prävention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt) und des Umsteuern! Robin Sisterhood e.v. (Eingesparte Kirchensteuer umsteuern von der verletzenden Institution zu den missbrauchten Menschen). Mitglied im Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und im Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. (www.schauspiel.koeln)