Kulturministerin Schüle über Religion und Hohenzollern-Debatte

"Gemeinsam und angstfrei über unsere Geschichte reflektieren"

Manja Schüle ist die Kulturministerin im einstigen preußischen Kernland Brandenburg. Im Interview spricht in Potsdam über die gegenwärtige Rolle von Religion in einer entchristlichten Region und über die Hohenzollern-Debatte.

Autor/in:
Benjamin Lassiwe und Ludwig Ring-Eifel
Burg Hohenzollern / © ER_09 (shutterstock)

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Frau Ministerin, etwa 82 Prozent der Menschen in Brandenburg gehören keiner Kirche an. Warum spielen die Kirchen dennoch für Ihre Politik eine wichtige Rolle?

Manja Schüle (Kulturministerin in Brandenburg, SPD): Es stimmt, wir haben einen der höchsten Anteile an konfessionell nicht Gebundenen. Aber obwohl ich meine, dass Religion Privatsache ist, trifft genau das auf die Kirchen als Institutionen nicht zu. Sie sind für mich starke und verlässliche Partner. Weil sie Gemeinschaft organisieren, weil sie Sinn stiften, weil sie karitativ tätig sind, weil sie präsent sind in den Haftanstalten, beim Militär, in der weiteren Seelsorge, in den Schulen. Wenn ich im Land unterwegs bin, spüre ich oft die Sehnsucht der Menschen nach Gemeinschaft. Schließlich sind wir soziale Wesen. Und Gemeinschaft wird eben sehr oft von den Kirchen organisiert - über die Grenzen des Bekenntnisses hinaus.

KNA: Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Kirchengebäude als Räume für Gemeinschaft. Was ist eigentlich aus dem Programm der Dorfkirchen-Erneuerung in Brandenburg geworden?

Schüle: Darauf können wir wirklich stolz sein. Die Sanierung und Restaurierung unserer Dorfkirchen ist seit 30 Jahren eine Erfolgsgeschichte. Außer privaten Spenden ist viel Geld der Kommunen, des Landes, aber auch von Bund und EU reingeflossen. Wir haben mehr als 1.700 Kirchen, die meisten davon evangelische, renoviert oder grundsaniert. Damit haben wir in schwach besiedelten Regionen die Dorfkirche als das sichtbare Zentrum gesichert und so ertüchtigt, dass dort wieder Gemeinschaft stattfinden kann. Und zwar nicht nur Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, sondern auch kulturelle Veranstaltungen und vieles mehr.

KNA: Gilt das auch für Dorfkirchen, zu denen es gar keine eigene örtliche Gemeinde mehr gibt, weil es an Mitgliedern fehlt?

Schüle: Die Gemeindegliederung ist allein Sache der Kirche. Für das Land steht der Denkmalschutz im Zentrum, wir wollen Gebäude erhalten und renovieren, damit sie als Ort der Gemeinschaft und als kultureller Anker zur Verfügung stehen, vor allem in schwach besiedelten Gebieten.

KNA: Weit mehr als eine Dorfkirche ist das katholische Kloster Neuzelle, wo die Wiederbesiedelung und zugleich auch der Neubau eines Klosters gewagt wurde. Wie sehen Sie dieses Projekt?

Schüle: Zuerst mal: Kloster Neuzelle ist für mich kein Disneyland-Projekt. Es geht um einen neuen Ort der Spiritualität und der Heilung. Heilung, auch aus historischer Sicht: Dort, wo früher Militär und später die DDR-Staatssicherheit mit einem Erholungsheim angesiedelt waren, entsteht nun ein Klosterneubau. Da bekomme ich Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Und mich berührt es, wenn ich sehe, mit welcher Ernsthaftigkeit und gleichzeitig heiterer Gelassenheit Pater Kilian als Ökonom diese Sache vorantreibt und wie herzlich, bei aller landestypischen Zurückhaltung, die Brandenburger die Mönche bei sich aufgenommen haben.

KNA: Hat die Begegnung mit den Mönchen Ihr Bild von der katholischen Kirche verändert?

Schüle: Dieses Bild hat - mehr als jeder andere - mein Büroleiter verändert. Der ist nämlich praktizierender Katholik und sensibilisiert mich schon seit 20 Jahren für kirchliche und religiöse Themen. In meiner Jugend in Frankfurt/Oder hatte ich eher weniger Berührungspunkte zum Katholizismus...

KNA: Ein anderes, derzeit eher konfliktgeladenes Thema in Brandenburg hat ebenfalls mit Geschichte zu tun, die Hohenzollern-Debatte. Der Prinz von Preußen hat unlängst in einem KNA-Interview eine gewisse Bereitschaft erkennen lassen, diesen Streit konstruktiv zu lösen, und anklingen lassen, dass es besser wäre, wenn ein Land sich mit seiner Geschichte auseinandersetzt und sie nicht einfach abschneidet.

Schüle: Nichts läge mir ferner, als Teile unserer gemeinsamen Geschichte "abzuschneiden". Und eine konstruktive Lösung will ich auch. Selbstverständlich sind Preußen und die Hohenzollern ein Teil unserer Geschichte und wer seine Herkunft nicht kennt, hat auch keine Zukunft. Aber dazu gehört auch: Die Geschichte eines Landes kann man nicht privatisieren. Und zur Geschichte gehört das Gute ebenso wie das Negative. Und zum Negativen gehört leider auch die Rolle, die Vertreter des Hauses Hohenzollern in der Weimarer Republik und während der Zeit des Nationalsozialismus spielten.

KNA: Warum reden in dieser Debatte die Streitenden immer nur auf unterschiedlichen Bühnen, aber nie direkt miteinander?

Schüle: Ehrlich gesagt: Das weiß ich auch nicht. Ich finde es sehr schade, dass Herr von Preußen meine Einladung, mit mir und anderen öffentlich am Samstag über das Thema zu diskutieren, abgelehnt hat. Dennoch: Es ist gut, dass darüber mehr debattiert wird als je zuvor. Und ich habe die letzten Äußerungen von Georg Friedrich Prinz von Preußen durchaus als versöhnliche Töne wahrgenommen. Ich denke, er hat zur Kenntnis genommen, dass es unter Historikern einen sehr weitgehenden Konsens gibt in der Frage, wer aus der Familie der Nazi-Herrschaft Vorschub geleistet hat. Natürlich kann man miteinander reden, aber: Solange Wissenschaftler verklagt werden, die in Bezug auf die Vorschubleistung zu diesem Ergebnis kommen, kann es keine formellen Verhandlungen geben. Und ich wende mich gegen die Klärung von Problemen in einer Art von Geheimdiplomatie. Wir brauchen eine öffentliche Debatte.

KNA: Was wäre denn aus Ihrer Sicht das optimale Ende der Hohenzollern-Debatte?

Schüle: Die Eigentumsfrage wird ja nun gerichtlich geklärt. Optimal wäre, wenn die Hohenzollern-Debatte gar nicht zu einem Ende kommen würde. Denn es geht hier um die Verständigung über unsere gemeinsame Geschichte. Das ist ein dialogischer Prozess, der - anders als ein Gerichtsverfahren - nicht auf ein Ende hin ausgerichtet ist. Wenn man nicht mehr über Geschichte redet und gelegentlich auch streitet, ist sie tote Vergangenheit. Das will ich nicht. Aber ich wünsche mir, dass es in diesem Dialog in Zukunft weniger persönliche Angriffe und weniger Gerichtsverfahren gibt.


Manja Schüle / © Soeren Stache (dpa)
Manja Schüle / © Soeren Stache ( dpa )
Quelle:
KNA