Welche Strategien helfen gegen den Corona-Blues?

"Gemeinschaft herstellen, Glücksmomente schaffen"

Im unwirtlichen November habe Corona leichtes Spiel, sagt der Psychologe Stephan Grünewald. Umso wichtiger sei es, die Krise im gesellschaftlichen Schulterschluss zu meistern. In St. Aposteln stellte er sich Fragen von Pfarrer Dominik Meiering.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Schlagabtausch mit hilfreichen Tipps: Pfarrer Dominik Meiering und Psychologe Stephan Grünewald. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Schlagabtausch mit hilfreichen Tipps: Pfarrer Dominik Meiering und Psychologe Stephan Grünewald. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Seelsorger und Psychologen hätten einen ähnlichen Blick auf den Menschen, findet Dominik Meiering. Sie wollten Mut machen, trösten und heilen. Von daher war es für den Kölner Innenstadtpfarrer naheliegend, mit dem Psychologen und Bestseller-Autor Stephan Grünewald einen scharfsinnigen Analytiker der menschlichen Seelenlandschaft am Tag eins des neuen Teil-Lockdowns in die Kirche am Neumarkt einzuladen, um sich von ihm Tipps im Umgang mit der zweiten Corona-Welle zu erhoffen. Über diese "verrückte Zeit" mit ihm ins Gespräch kommen wolle er, betont Meiering eingangs, und herausfinden, welche Auswirkungen die Pandemie auf die menschliche Psyche hat. Dabei ist ihm wichtig, auch noch einmal zu rekapitulieren, was der erste Lockdown in den Frühjahrsmonaten mit den Menschen gemacht hat, wie sie auf diese noch nie da gewesene Herausforderung reagiert haben und mit ihrer "Trauer in Corona-Zeiten", so die Überschrift zu diesem Abend in St. Aposteln, umgegangen sind.

Schließlich, so führt Meiering als Argument für die gezielte Inanspruchnahme der psychologischen Sicht auf Corona und seine Folgen an, habe doch jeder auf die eine oder andere Weise einen Grund zu trauern: um den Verlust eines Menschen, der an Covid-19 gestorben sei, um die eigene angeschlagene Gesundheit, eine wirtschaftliche Notlage, das nicht angetretene Auslandssemester, die vielen nicht stattgefundenen Auftritte von Künstlern oder Karnevalisten oder andere verpasste Chancen und Pläne, die Corona von einem Tag auf den anderen durchkreuzt hat. Bei diesen persönlich erlittenen Verlusten will der Seelsorger die Menschen, die gekommen sind, abholen. Und erwartungsgemäß liefert sein Gesprächspartner, der Kölner Mitbegründer des rheingold-Instituts für qualitative Markt- und Wirkungsanalysen, dann auch eine Vielzahl an Beobachtungen, die sein Unternehmen aus vielen Umfragen im letzten halben Jahr abgeleitet hat.

Das Leben ist nicht mehr wie vorher

In der allerersten Phase im März seien die Menschen mit einer nicht fassbaren Bedrohung konfrontiert worden, die zunächst handlungsunfähig und ohnmächtig gemacht habe. "Indem sie gehamstert haben – am Beispiel von Toilettenpaper wurde das offensichtlich – haben sie sich ihrer Geschäftstüchtigkeit vergewissern wollen", stellt Grünewald Ergebnisse seiner Studien dar. Dann hätten die meisten mit einem "martialischen Frühjahrsputz" begonnen. Die Angst um den eigenen Job, das Homeschooling, die fehlende Kinderbetreuung, zitiert er einzelne Stimmen, sei wie die Vorhölle gewesen. Die gesamte Situation habe sich als "riesige Überforderung" erwiesen, die eine gespaltene Wirklichkeit gezeigt habe, so sein Fazit.

Doch habe es auch diejenigen gegeben, die dem Ganzen schon bald etwas Positives hätten abgewinnen können, indem sie endlich den Garten aufgeräumt und – ganz neu – Zeit für die Familie gehabt hätten: Studenten seien nach Hause gekommen, und man habe wieder Gemeinschaftsaktivitäten wie Wandern, Kochen, Backen oder Puzzlen neu entdeckt. Dennoch, so konstatiert der Gesellschaftsanalytiker, bleibe nach acht Monaten eine Trauer darüber, dass selbst nach den vorübergehenden Lockerungen der Corona-Regeln im Sommer das Leben nicht mehr wie vorher sei. "Die Maske, die wir tragen, ist wie ein Filter, der sich zwischen den Einzelnen und die Wirklichkeit schiebt. Große Freudensprünge sind nicht mehr möglich. Das alles macht das Leben bleiern."

Ein fast heilsamer Prozess für die Gesellschaft

In der Folge gebe es dann eben auch die, bei denen sich die Trauer in Wut wandele, die die Bedrohung leugneten und sich in ihrem Trotz verbunkerten. Und der Endlichkeitsglaube, so Grünewald weiter, dass schon bald alles vorbei sein würde – erst habe man das für Ostern geglaubt, dann für den Sommer – habe sich längst als Irrglaube erwiesen.

Trotzdem rät der Psychologe zu Zuversicht: Auch wenn Trauer wichtig sei, sie Zeit brauche, weil sie eine ausgedehnte Qualität habe und ein nicht mal eben zu stoppender Zustand sei, zeige sich dann irgendwann, „dass man es im Loslassen packen und etwas anderes in die Welt setzen kann. "Manchmal braucht man ein ganzes Jahr dafür, aber dann ist man im neuen Leben drin." Schließlich spricht Grünewald von einem "fast heilsamen Prozess für die Gesellschaft", nämlich in einer digitalisierten Welt einmal nicht alles auf Knopfdruck erledigen und kontrollieren zu können, sondern einer Krise ausgesetzt zu sein und annehmen zu müssen, dass das Leben nicht immer "vorgestanzt und gleich" sei. "Unser Bild der Welt, unser Puzzle ist in 1000 Teile zersprungen", beschreibt der Experte anschaulich. "Jetzt setzen wir gerade wieder alles zusammen. Das macht demütig und es zeigt: Jedes noch so kleine Teilchen ist wichtig."

Mahnung vor einer wachsenden Sorglosigkeit

Auch Meiering spricht über die Bedeutsamkeit von Trauer und die menschliche Fähigkeit, einen Verlust zu empfinden. In diesem Zusammenhang verweist der Seelsorger auf eine von Gott gewollte Trauer, die beim Heiligen Paulus zu finden sei und "die uns befähigt, etwas Neues anzufangen". Nicht umsonst gäbe es in der Kirche bei der Trauer um einen geliebten Menschen erst das Sechswochenamt, dann das Jahresseelenamt; christliche Traditionen, die eine gute Antwort auf den Umgang mit Trauer seien, wie Meiering erklärt. Eben auch weil Trauerprozesse ihre Zeit brauchten. Schließlich sei diese Corona-Krise als eine Umwälzung der bestehenden Wirklichkeit trotzdem ja nicht die erste Pandemie in der 2000-jährigen Geschichte des Christentums.

Was im Frühjahr ein Vorteil gewesen sei, dass die Tage länger geworden seien und das warme Wetter über die coronabedingten Einschränkungen hinweggetröstet habe, verlaufe jetzt umgekehrt, konstatiert Grünewald indes. "Jetzt wird es unwirtlicher. Da hat Corona leichtes Spiel", mahnt er vor einer wachsenden Sorglosigkeit, aber auch davor, mit dem sprichwörtlich erhobenen Zeigefinger auf der Suche nach Schuldigen zu sein, die sich nicht an die Regeln hielten. "Damit kommen wir nicht weiter. Wir meistern diese Krise nur gemeinsam, im gesellschaftlichen Schulterschluss, indem wir uns gegenseitig anspornen und ermutigen", unterstreicht er.

"Das Leben stellt ungemeinen Reichtum bereit"

Und auch ganz praktische Tipps gibt Grünewald, um die Herausforderungen des nahenden langen Winters strategisch zu bewältigen: "Wir sollten vor allem Gemeinschaft herstellen, Dinge gemeinsam tun, Glücksmomente schaffen und eine neue Feierkultur entwickeln. Karneval kann man auch als Fest der inneren Einkehr feiern: mit einem Prinz Zuversicht, einem Bauern Lebensmut und einer Jungfrau Achtsamkeit."

Und gegen den Lichtmangel, den sozialen Rückzug und die depressive Stimmung dieser Jahreszeit? "Wir sollten vor dieser Novemberdämmerung nicht zurückschrecken", empfiehlt der Psychologe am Ende dieses wahrhaft erhellenden Schlagabtauschs, "Kerzen und Kamin haben auch was. Das Leben stellt einen ungemeinen Reichtum an Möglichkeiten bereit. Daraus können wir ganz viel machen." Betrinken, setzt er am Ende noch mit einem fröhlichen Augenzwinkern hinzu, helfe nur kurzfristig. "Wenn wir in 20 Jahren an 2020 zurückdenken, werden wir uns daran erinnern, auf wen wir uns verlassen konnten, wer wirklich wichtig war. Davon werden wir noch lange zehren."


Pfarrer Meiering verweist auf die gottgewollte Trauer beim Heiligen Paulus. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Pfarrer Meiering verweist auf die gottgewollte Trauer beim Heiligen Paulus. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Wie kommen wir gut durch die dunkle Jahreszeit, will Pfarrer Meiering von Psychologe Grünewald wissen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Wie kommen wir gut durch die dunkle Jahreszeit, will Pfarrer Meiering von Psychologe Grünewald wissen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der Geschäftsführer des rheingold-Instituts, Stephan Grünewald, gilt als scharfsinniger Analytiker. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Geschäftsführer des rheingold-Instituts, Stephan Grünewald, gilt als scharfsinniger Analytiker. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Stephan Grünewald empfiehlt, sich Glücksmomente gegen den Corona-Blues zu gönnen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Stephan Grünewald empfiehlt, sich Glücksmomente gegen den Corona-Blues zu gönnen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR
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