Generalvikar Pfeffer sieht Veränderungsbedarf in Sexualmoral

"Das stellt die kirchliche Lehre radikal in Frage"

Ist die katholische Sexualmoral noch zeitgemäß? Für den Essener Generalvikar Klaus Pfeffer braucht sie eine deutliche Veränderung. Denn der Umgang mit homosexuellen und transgender Menschen stehe im Widerspruch zum Evangelium.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Initiative #OutInChurch in der ARD-Dokumentation Wie Gott uns schuf / © EyeOpeningMedia/rbb (dpa)
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Initiative #OutInChurch in der ARD-Dokumentation Wie Gott uns schuf / © EyeOpeningMedia/rbb ( dpa )

DOMRADIO.DE: Gestern Abend lief in der ARD die Dokumentation "Wie Gott uns schuf". Im Film kommt auch der Leiter Museumspädagogik und Besucherservice der Essener Domschatzkammer vor. Er hat sich als schwul geoutet. Eigentlich müssten Sie dem Mann jetzt kündigen. Warum tun Sie das nicht?

Klaus Pfeffer (Generalvikar im Bistum Essen): Das tun wir schon seit Jahren nicht, weil wir längst erkannt haben, dass diese Art und Weise, mit Menschen umzugehen, im Widerspruch zum Evangelium steht.

Ich glaube, das war gestern in einem Filmbeitrag eindrucksvoll zu erleben, welches Leid hier vielen Menschen durch diese Haltung zugefügt wurde, die wir in der katholischen Kirche über Jahrzehnte hatten. Dass wir - glaube ich - nicht erkennen, dass wir in der Sexualmoral, die Menschen dazu zwingt, sich zu verbergen, nicht so sein zu dürfen, wie sie sind, eine deutliche Veränderung brauchen.

Klaus Pfeffer / © Fabian Strauch (dpa)
Klaus Pfeffer / © Fabian Strauch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Es ist zunehmend schwierig, Personal zu finden, das für die katholische Kirche arbeiten möchte bzw. sich loyal verhält. Ist das vielleicht der Hauptgrund, warum man nicht mehr so genau hinschaut bei den Mitarbeitenden im kirchlichen Dienst?

Pfeffer: Nein, das ist es für mich auf gar keinen Fall. Ich habe im Laufe meines Lebens viel gelernt. Homosexualität war für mich als Kind und Jugendlicher ein Tabuthema. Ich komme aus dem katholischen Sauerland und habe die ganze katholische Prägung erlebt. Im Laufe der Jahre habe ich aber auch Menschen kennengelernt, die homosexuell oder – in den letzten Jahren - transident sind.

Und ich durfte lernen, auch durch die persönliche Auseinandersetzung mit diesen Themen, dass das ein Teil ist, der zum Menschsein dazugehört. Sie suchen sich das nicht aus. Und das stellt die kirchliche Lehre radikal in Frage. Das wird intensiv in der Kirche diskutiert. Ich glaube, das müssen wir überwinden um der Menschen willen, weil es unmenschlich ist, wie wir mit diesen Menschen umgegangen sind. Die Zeugnisse, die wir da gestern gesehen haben und die ich schon längst von vielen Menschen kenne, die tun wirklich weh.

Klaus Pfeffer

"Die Menschen, so wie sie sind, sind so von Gott geschaffen und geworden."

DOMRADIO.DE: Diskussion ist ein Stichwort. Die gibt es auch auf unserer Facebook-Seite zu dem Thema Outing. Ich lese dort in den Kommentaren: "Als Mann und Frau schuf er sie" oder "Sünde bleibt Sünde" oder "Spaltung in Coming". Wir werden auch selbst dort als Unterstützer der "Feinde" bezeichnet, obwohl wir neutral berichten. Was sagen Sie den Katholiken, die sich an die kirchliche Lehre halten und die Kampagne kritisch sehen?

Pfeffer: Die kirchliche Lehre ist zum einen seit vielen Jahren im Fluss, in der Diskussion. Die kirchliche Lehre, auch in vielen anderen Fragen, hat sich über Jahrhunderte stets entwickelt. Sie ist nicht fest zementiert und fest gemauert. Vor allem dann, wenn wir Erkenntnisgewinne aus den Humanwissenschaften haben. Das gilt nun einmal auch für die sexuelle Orientierung.

Auch die sexuellen Orientierungen, um die es hier geht, sind Teil der Schöpfung Gottes. Die Menschen, so wie sie sind, sind so von Gott geschaffen und geworden. Darum bin ich da sehr engagiert und sehr überzeugt und halte das für nicht hinnehmbar, wenn ich solche Kommentare in den sozialen Medien, auf katholischen Plattformen sehe.

Ich finde das nicht hinnehmbar, in welcher Art und Weise da teilweise gehetzt wird und in welch einer verachtenden Weise da über Menschen gesprochen wird. Dem müssen wir uns in der katholischen Kirche entschieden widersetzen.

Klaus Pfeffer

"Da werden plötzlich Lebensgeschichten von Menschen spürbar, die sind so tief berührend."

DOMRADIO.DE: Im Mai erscheint ein Buch zur Initiative "Out in Church". Sie haben dafür einen Beitrag geschrieben. Das ist erstens mutig und zweitens unbequem für die anderen Bistümer in Deutschland. Die anderen Generalvikare und Bischöfe werden an Ihnen gemessen werden. Sehen Sie sich als Revolutionär?

Pfeffer: Nein, überhaupt nicht. Ich bin angefragt worden, ob ich einen Zugang zu diesem Buch, einen Beitrag verfassen möchte, auch um die Initiative zu unterstützen, weil, glaube ich, meine Überzeugung bekannt ist. Und ich habe einfach von mir erzählt, von meinem Erfahrungswert.

Ich kann verstehen, dass sich Katholiken schwer tun mit diesem Wandel, der sich da vollzieht. Ich habe den selbst auch durchlaufen, wie ich vorhin angedeutet habe. Aber die Begegnung mit den Menschen, die unterschiedliche sexuelle Orientierungen haben, die hat mich sehr berührt und überzeugt. Und das würde ich allen empfehlen die sich schwertun. Innerhalb der katholischen Kirche mit diesem Haltungs- und Einstellungswechsel sich mal wirklich den Menschen zuzuwenden, ihnen zuzuhören, ihre Lebens- und Leidensgeschichten zu hören und zu verstehen - bis in Familien hinein.

Ich fand die Dokumentation gestern Abend so bewegend, so beeindruckend. Da werden plötzlich Lebensgeschichten von Menschen spürbar, die sind so tief berührend. Und es sind wunderbare Menschen, die von ihrem Leben, Lieben und Leiden erzählen, das lange Zeit unter der Oberfläche bleiben musste. Das hat mich sehr erschüttert.

Ich finde, wir dürfen es in der katholischen Kirche nicht länger zulassen, dass wir Menschen dazu zwingen, sich selbst zu verbergen, sich selbst nicht geben zu können, wie sie sind. Das macht Menschen krank.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR