Kristina Hänel reckt die Fäuste in die Höhe. Zwar ist sie gerade vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden, weil sie auf ihrer Homepage unerlaubte Werbung für Abtreibungen gemacht habe. Doch vor dem Gerichtsgebäude wird sie am Freitag von mehr als 100 Demonstranten gefeiert. "Kein Gott. Kein Staat. Kein Patriarchat", heißt es auf Transparenten. Und: "Recht auf Abtreibung - hier und überall". Auch einige Abtreibungsgegner sind vor Ort: Ein Mann hält ein Plakat mit Babybild und der Aufschrift "Eine Stimme für die Ungefragten" hoch. Er wird ausgebuht.
Reizthema Abtreibung
Über Jahrzehnte war das Thema Abtreibung ein Reizthema. Doch in den vergangenen Jahren ist es ruhig geworden um die Paragraphen 218 und 219. Durch den Prozess gegen Hänel allerdings lässt ein Nebenthema die Emotionen wieder hochkochen: Es geht um die Frage, wie weit Ärzte darüber informieren oder damit werben dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Mit dem Urteil rückt der weithin vergessene Paragraph 219a des Strafgesetzbuchs ins Interesse der Öffentlichkeit. Er verbietet das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen aus einem finanziellen Vorteil heraus oder wenn dies in "grob anstößiger Weise" geschieht. Hänel hält diesen seit 1933 gültigen Paragraphen für veraltet. Sie kündigte Berufung an - und will notfalls auch bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Sie hat zudem eine Online-Petition an den Bundestag gestartet. Darin fordert sie ein "Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch". Die Petition hat inzwischen mehr als 115.000 Unterschriften.
Hänel war schon zweimal von christlich orientierten Lebensschützern angezeigt worden - bislang ohne Erfolg, weil die Behörden ihr zubilligten, sie habe nicht gewusst, dass der bloße Hinweis auf die ärztliche Leistung eines Schwangerschaftsabbruches schon strafbar sei. Dass es jetzt zum Verfahren kam, liegt wohl auch daran, dass sie ihr Angebot nicht vollständig von der Webseite entfernt hat.
Onlineauftritt das Problem
Konkret bemängelt die Staatsanwaltschaft Gießen ihren Internetauftritt aus dem Jahr 2015. Die Ärztin habe "öffentlich ihres Vorteils wegen" Dienste zur Durchführung von Abtreibungen angeboten, so die Anklage. Auf ihrer Homepage informiert Hänel unter anderem darüber, dass sie in ihrer Praxis auch Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Über einen Link auf ihrer Website ließ sie Frauen Informationen zu einem Schwangerschaftsabbruch zukommen. In einer für jeden zugänglichen pdf-Datei erhielten Interessierte vor allem gesetzliche und medizinische Informationen. Inzwischen bietet die Ärztin nur noch an, dass weitere Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch per E-Mail zugesendet werden.
Wirbel um Paragraphen 219a
Der Fall hat auch eine neue politische Debatte über das Abtreibungsrecht ausgelöst. Der Deutsche Ärztinnenbund und der Deutsche Juristinnenbund forderten die Abschaffung des Paragraphen 219a. Auch Politiker von SPD, FDP, Grünen und Linken erhoben entsprechende Forderungen. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Eva Högl, kündigte eine entsprechende Initiative an.
Die Unterstützer Hänels argumentieren, das Gesetz erlaube straffreie Schwangerschaftsabbrüche. "Darum müssen Ärzte auch darauf hinweisen können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten, ohne sich strafbar zu machen", erklärten die Grünen.
CDU-Politiker argumentierten dagegen, das Werbeverbot solle Geschäftsmodelle mit Abtreibungen verhindern. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), befürchtet bei einer Abschaffung des Werbeverbots eine Verharmlosung von Abtreibungen. Zugleich meinte sie: "Man kann aber sicherlich darüber streiten, ob schon die sachliche Information auf der Homepage eines Arztes den Tatbestand erfüllt".
Die Deutsche Bischofskonferenz erklärte am Freitag, die Kirche setze sich für einen umfassenden Lebensschutz ein. "Das Verbot für die Werbung von Abtreibung ist deshalb folgerichtig." Der Verein "Ärzte für das Leben" erklärte, Abtreibung sei keine normale medizinische Leistung, sondern die Tötung eines Menschen. In einer humanen Gesellschaft habe eine Werbung für Abtreibung deshalb keinen Platz.