Eine stärkere Rolle von Frauen auch in den Religionen fordert die frühere Bundesbildungsministerin und Vatikanbotschafterin Annette Schavan.
Der Veränderungswille von Frauen sei häufig besonders ausgeprägt, weil sie nicht an Institutionen hingen, sagte Schavan im Interview den Zeitungen der Verlagsgruppe Bistumspresse (Sonntag) in Osnabrück. "Frauen sind nicht schon seit Generationen in Institutionen verankert, deshalb haben sie eher die Vorstellung, dass etwas anders werden kann."
Geschlechtergerechtigkeit ernst nehmen
Sie bewundere etwa die Generalsekretärin der Organisation Religions for Peace, Azza Karam, sagte Schavan. Die Muslimin aus Ägypten wirke in Religion und Politik und habe eine beeindruckende spirituelle Ausstrahlung. "Wir brauchen religiöse Führungspersönlichkeiten wie sie, die deutlich machen, welche geistige und geistliche Kraft hinter ihrem Einsatz steckt."
Die Religionsgemeinschaften müssten die Geschlechtergerechtigkeit ernst nehmen, mahnte Schavan. Andernfalls verlören sie ihre Relevanz.
"Auseinandersetzung muss geführt werden"
Wenn Papst Franziskus in seiner neuen Sozialenzyklika "Fratelli tutti" beklage, dass Gesellschaften die Geschlechtergerechtigkeit nicht umsetzen, müsse er damit rechnen, dass die Frage auch mit Blick auf die Kirche gestellt werde.
Schavan rät in diesem Punkt zu Geduld. "Je stärker ein Thema gesetzt ist, je häufiger darüber gesprochen wird, umso mehr werden immer und überall die Gegenkräfte mobilisiert. Diese Auseinandersetzung muss geführt werden und sie wird geführt."
Nicht nach wenigen Jahren aufgeben
Bis zum Fall der Mauer habe es auch eine zehn Jahre lange friedliche Revolution gebraucht. Man sollte also nicht schon nach zwei oder drei Jahren aufgeben, sagte sie mit Blick auf die Frauenbewegung Maria 2.0 in der katholischen Kirche.
Es sei jedoch ein falscher Ansatz, Geschlechtergerechtigkeit zu wollen, weil Frauen etwas anders machten als Männer, so Schavan.
Frauen seien praxisbestimmter
Wichtiger sei es festzustellen, "dass die politische Sozialisation von Frauen bereits dazu geführt hat, dass Dinge in Bewegung geraten sind". Dafür müsse man sich nur die Politik in Deutschland ansehen.
Frauen wollten etwas bewirken, sie seien praxisbestimmter und ihr Führungsverständnis sei nicht von abstrakten Vorstellungen geprägt, sondern von ihren Erfahrungen.