DOMRADIO.DE: Sie haben einen Bericht zur Situation der Religionsfreiheit weltweit herausgegeben. Was sind die Ergebnisse Ihrer Untersuchung?
Florian Ripka (Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks "Kirche in Not"): Dieser Bericht, den wir schon seit vielen Jahren herausgeben, zeigt leider eine tendenzielle Verschlechterung der Lage. Die Hauptergebnisse sind, dass in 62 Ländern von 196 Ländern der Welt das Recht auf Religionsfreiheit verletzt wird. Wir haben 36 Länder herausgearbeitet, in denen Diskriminierung und 26 Länder, in denen tatsächlich Verfolgung herrscht.
Diskriminierung bedeutet, dass man sich nicht mehr an den Staat wenden kann, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Er hilft einem nicht. Und Verfolgung bedeutet, dass der Staat aktiv eintritt bzw. aktiv Verfolgung durch Gruppen toleriert. Das haben wir zum Beispiel in Afrika. Ganz viele Länder, nämlich 23 von 54 Ländern, die diese Verfolgung aufweisen, befinden sich in Afrika.
Afrika ist also der Problemkontinent für die Religionsfreiheit.
DOMRADIO.DE: Und diese Verfolgungen und Diskriminierungen betreffen alle Religionen. Sie haben jetzt nicht nur bei den Katholiken oder Christen geschaut.
Ripka: Nein, wir schauen auf das Menschenrecht Religionsfreiheit, das eigentlich weltweit anerkannt ist. Es geht nicht um den katholischen oder um den christlichen Glauben, sondern es geht um alle Religionen.
Seit 2018 haben wir festgestellt, dass in 30 Ländern Menschen aus Glaubensgründen ermordet wurden. Das betrifft nicht nur Christen. Blicken wir z.B. nach China. Die Uiguren sind keine Christen, aber auch dort findet eine massive Verfolgung statt. Die Uiguren und die Rohingya sind das bekannteste Beispiel für Verfolgungen, die jetzt nicht die Christen betreffen.
DOMRADIO.DE: Laut einer repräsentativen Umfrage von Ihnen halten 77 Prozent der Befragten Menschenrechte allgemein für wichtig oder sehr wichtig. Bei der Religionsfreiheit sind es sogar nur 54 Prozent. Warum ist das denn so?
Ripka: Diese Umfrage haben wir im Jahr 2018 in Vorbereitung auf die Veröffentlichung des letzten Berichts gemacht. Sie wurde in Deutschland erhoben, repräsentativ mit YouGov. Das Problem dabei ist, glaube ich, dass im öffentlichen Bewusstsein in Deutschland Religion kaum mehr eine Rolle spielt.
Das heißt, wenn man es wohlwollend interpretiert, ist es einfach Desinteresse. Wenn wir jetzt aber das mit ins Spiel nehmen, über das wir gerade gesprochen haben, nämlich dass in vielen Ländern auch Menschen ermordet werden, dass in vielen Ländern Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit bedrängt werden und es ist den Deutschen egal, dann ist das sehr, sehr dramatisch.
Ich glaube, viele Menschen in Deutschland fühlen sich in einem säkulären Staat. Aber dieses Wort "säkular" kann man natürlich auch unterschiedlich definieren. Zum einen könnte es heißen, dass jeder seine Religion ausleben darf, wie er möchte und der Staat steht ihm nicht im Weg. Das wäre die positive Auslegung.
Die negative Auslegung, die in vielen Köpfen existiert, bedeutet, dass Religion im öffentlichen Leben nichts mehr verloren hat. Über Religion darf man in Moscheen, in Kirchen, in Synagogen sprechen. Aber im öffentlichen Diskurs hat es eigentlich nichts mehr verloren, stört nur, verkompliziert die Sache nur.
Aber ich denke, wenn man das so sieht, dann lässt man erstens außer Acht, dass der Mensch einfach mal ein kompliziertes Wesen ist. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ja das Recht auf Religionsfreiheit wirklich als ein ganz, ganz wichtiges und grundlegendes Menschenrecht erst vor kurzem wieder etabliert.
Das heißt ja, wenn wir Religionsfreiheit weglassen, dann wird unsere Gesellschaft ärmer.
DOMRADIO.DE: Sie sagen sogar, man braucht Religion für das Funktionieren einer Gesellschaft.
Ripka: Das ist richtig. Blicken wir zum Beispiel einmal ins Ausland, blicken wir mal in den Irak oder in den Nahen Osten. Da funktioniert an vielen Stellen keine Kommunikation mehr auf politischer Ebene, auf gesellschaftlicher Ebene. Da sind eigentlich nur noch die Führer der Religionen imstande, sich an einen Tisch zu setzen und zumindest eine Diskussion oder ein Gespräch zu beginnen.
Wir fördern auch bei "Kirche in Not" Projekte, wo genau das unterstützt wird. Eines zum Beispiel in Mali. Da schauen wir, dass jede Diözese einen Experten für den Islam bekommt. Nicht um ein Feindbild herauszuarbeiten, sondern um sich gegenseitig zu verstehen.
Denn unser Bericht hat auch erarbeitet, dass gerade in Afrika viele Islamisten und Dschihadisten vom Ausland kommen und bereits bestehende Konflikte ausnutzen, um da Unruhe zu schüren. Wenn man aber voneinander weiß und nicht nur koexistiert, wie es über viele Jahrhunderte war, sondern voneinander weiß und sich gegenseitig kennt, ist die Gefahr der Radikalisierung und des sozialen Krieges und der sozialen Unruhen viel, viel geringer.
Das Interview führte Martin Mölder.