DOMRADIO.DE: Der Papstbesuch war eine reine Pilgerreise, eine ungewöhnliche Form einer Papstreise. Was bedeutete sein Besuch für die Region?
Dr. Matthias Kopp (Journalist, Theologe, Archäologe und Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz): Es war eine Sensation damals. Eine Papstreise hatte bis dahin noch nicht stattgefunden, außer 1964 durch Papst Paul VI.
Johannes Paul II. hatte die Idee, zum Heiligen Jahr 2000 an die Orte zu fahren, die mit dem Glauben der Menschheit verbunden sind. Er hat 1999 einen Brief geschrieben, dass er in Ur im Irak beginnt, über das Ostjordanland nach Israel reist und von da aus über Damaskus, Athen, nach Malta und Rom zurück. Bei den Planungen war damals schnell klar, dass das nur häppchenweise möglich ist. Damit waren Israel, Palästina und Jordanien damals der Beginn einer Pilgerreise, die natürlich zugleich auch hochpolitisch aufgeladen war.
DOMRADIO.DE: Die politische Gemengelage war damals schwierig genug. Papst Franziskus war im Jahr 2014 auch noch dort. Aber könnte ein Papst heute nach Israel reisen?

Kopp: Es ist schwieriger als damals. Im Jahr 2000 war Ehud Barak Ministerpräsident. Er führte sein Amt auf eine sehr weltoffene Art den Palästinensern und den Israelis gegenüber. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass einige Monate nach dem Papstbesuch, Ende September 2000, die Al-Aqsa-Intifada begann, die ja das Land letzten Endes in die Turbulenzen geführt hat. Von diesen Turbulenzen hat es sich nie richtig erholt. Damals war es eine sehr sichere Phase.
Heute ist die Phase deutlich kritischer. Dennoch könnte auch heute ein Papst dort hinfahren, das Land würde für die Sicherheit sorgen. Aber es ist eine völlig andere politische Situation als vor 25 Jahren.
DOMRADIO.DE: Am 23. März 2000 war Papst Johannes Paul II. in Yad Vashem, einer der Schwerpunkte seiner Reise. Woran erinnern Sie sich da?
Kopp: Es war eine wirklich bewegende Zeremonie dort in der Hall of Remembrance, wie sie heißt. Dort finden alle Zeremonien von Staatsoberhäuptern, Gästen oder religiösen Führern statt. Der Papst kommt in diese Halle, wo die Erde von allen Konzentrationslagern gleichsam symbolisch beigesetzt ist. Er trifft dort auf eine Jüdin aus Polen, die er damals im Zweiten Weltkrieg gerettet hat. Sie war an Tuberkulose erkrankt, er hat sie kilometerweit zum nächsten Hospital getragen. Die beiden treffen sich dort wieder, es ist eine unglaublich bewegende Szene.
Auch die theologische Aussage, dass der Papst gekommen ist, um zu schweigen, ist bemerkenswert. Denn es gibt keine Worte, die Tragödie der Schoa anders in Worte fassen zu können, als zu schweigen. Er hat in diesem Ort Yad Vashem das Schuldbekenntnis der Katholischen Kirche gesprochen. Das hat er schon zuvor in Rom für die Vergehen der Katholischen Kirche über Jahrhunderte in verschiedenen Zusammenhängen ausgedrückt.
DOMRADIO.DE: Die Katholische Kirche im Heiligen Land ist eine Minderheit. Wie hat die Ortskirche den Besuch aufgenommen? Spielt der Besuch heute noch eine Rolle?
Kopp: Man erinnert sich schon noch an diesen historischen Besuch vor 25 Jahren. Man erinnert sich auch an den Besuch von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2009 und Papst Franziskus im Jahr 2014. Es ist lange her. Aber damals ist die Ortskirche durch einen solchen Besuch gestärkt worden – erstmal spirituell, dadurch, was der Papst der Gemeinde auf den Weg gegeben hat, aber auch in der gesellschaftspolitischen Dimension, dass im Staat Israel deutlich wurde, dass Christen ihren Beitrag zum Aufbau der Zivilgesellschaft in diesem Land leisten wollen.
Dem war vorausgegangen, dass 1994 diplomatische Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel mit einem Grundlagenvertrag aufgenommen worden waren. Dann war der Weg für die Reise frei. Heutzutage ist es wichtig für die Christen, an das politisch Gesagte zu erinnern, dass es eine Freiheit braucht, die Kirche wie eine Art Körperschaft des öffentlichen Rechtes anzuerkennen. Mittlerweile gibt es Zweifel daran. Deshalb muss man an das erinnern, was vor 25 Jahren gesagt wurde.
DOMRADIO.DE: Damals ging es auch um den Dialog zum Judentum. Die Verhältnisse sollten verbessert werden. Auch der Dialog zum Islam. Hat das Spuren hinterlassen?
Kopp: Das Bild, das gleichsam ein Narrativ oder Ikone geworden ist, ist das Foto, wo der Papst schon sehr gebrechlich an der Westmauer oder auch Klagemauer steht. Johannes Paul II. betet vor der Klagemauer, wie die Juden es auch tun. Er legt sein Gebet in die Fugen der Klagemauer.
Es ist ein großes Bild, das entstand, dass der Papst an diesem heiligen, jüdischen Ort betet. Genau so hat er den Tempelberg der Muslime besucht, mit dem Felsendom und der Al-Aqsa Moschee. Das war auch ein wichtiges Zeichen. Diese Ikone vom Papst vor der Westmauer ist das, was bis heute noch im Heiligen Land nachwirkt.
Dieses Interview führte Tobias Fricke.