Vor 18 Jahren starb der polnische Papst Johannes Paul II.

Santo subito und nun umstritten

Schon in der Osterwoche waren abends Menschen auf den Petersplatz geströmt, um für den schwerkranken Papst zu beten. Am 2. April 2005, am Abend vor dem Weißen Sonntag, starb Johannes Paul II. Heutzutage wird seine Rolle hinterfragt.

Abschied von Johannes Paul II. (KNA)
Abschied von Johannes Paul II. / ( KNA )

Mehrere zehntausend Menschen waren es zuletzt, die unterhalb der Fenster seiner Wohnung im Apostolischen Palast Gottes Segen für den Sterbenden erbaten, Stärkung im Todeskampf erflehten - oder vielleicht auf ein Wunder hofften. Am Abend des 2. April 2005, am Tag vor dem "Weißen Sonntag", der auf Wunsch des polnischen Papstes auch zum "Barmherzigkeitssonntag" erhoben worden war, trat der vatikanische Innenminister Leonardo Sandri vor die Betenden und teilte ihnen und der Welt mit: "Der Heilige Vater ist heute Abend um 21.37 Uhr in seiner Privatwohnung gestorben."

Betender am Grab von Johannes Paul II. im Petersdom (Archiv) (KNA)
Betender am Grab von Johannes Paul II. im Petersdom (Archiv) / ( KNA )

Große Trauer in Rom und der Weltkirche

Karol Wojtyla, der Papst aus Polen, der die Weltkirche fast 27 Jahre lang geleitet hatte, war tot. Die Nachricht löste große Trauer in Rom und der Weltkirche aus, auch wenn das Lebensende des 84-Jährigen längst absehbar war. Bis Mitternacht betete die ständig wachsende Menge der Gläubigen auf dem Petersplatz für den Toten und sein Seelenheil.

Unterdessen begannen im Sterbezimmer, wo der Papst während der Vorabendmesse im Kreis seiner überwiegend aus Polen stammenden engsten Vertrauten verstorben war, die beim Papsttod vorgeschriebenen Regularien: die offizielle Feststellung des Todes, die Ausfertigung der Todesurkunde, die Aufbahrung des Leichnams in der Capella Clementina, die Versieglung der Papstwohnung - und der Beginn der Sedisvakanz.

Johannes Paul II. im Juni 2004 / © Barbara Beyer (KNA)
Johannes Paul II. im Juni 2004 / © Barbara Beyer ( KNA )

Beim Ostersegen versagte ihm die Stimme

Schon seit Jahresbeginn 2005 hatte sich die Parkinson-Erkrankung des einst so sportlichen Wojtyla drastisch verschlimmert. Zweimal musste er in die Gemelli-Klinik. Mit einem Luftröhrenschnitt versuchten die Ärzte Linderung zu verschaffen. Die letzte Rückfahrt in den Vatikan erfolgte am 9. Februar im erleuchteten Papamobil. Es sollte die letzte Fahrt Johannes Pauls II. durch seine Bischofsstadt gewesen sein.

Die Karwoche verfolgte er über einen Bildschirm in seiner Privatkapelle. Beim Ostersegen "Urbi et orbi" versagte ihm die Stimme. Stumm und schmerzgezeichnet machte er das Kreuzzeichen. In den folgenden Tagen verabschiedeten sich die engsten Mitarbeiter der Kurie am Krankenbett und gaben bewegte Statements ab. Die Kranken-Bulletins des vatikanischen Presseamtes, das die Krankheit des Papstes jahrelang heruntergespielt hatte, klangen nun immer dramatischer. Am Ende versagten die Organe: Wojtyla starb an septischem Schock und Kreislaufversagen.

Aufbahrung im Petersdom

Wichtigster Mann am Tag danach war Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano. Bei der ersten Totenmesse wollte er vom Verstorbenen schon als "Johannes Paul der Große" sprechen, verzichtete dann aber überraschend auf die Verlesung dieser bereits gedruckten Textpassage. In der Capella Clementina nahmen zwei Tage lang Vatikanmitarbeiter Abschied vom toten Papst. Dann wurde Johannes Paul II. im Petersdom aufgebahrt - und Rom erlebte den wohl größten Ansturm seiner Geschichte. Vier Millionen Menschen nahmen Abschied, standen viele Stunden diszipliniert auf der breiten Via della Conciliazione an und defilierten schweigend am geöffneten Sarg unter dem Bernini-Baldachin.

Als erster Papst in der ganzen Welt auf Reisen

Auch Spitzenpolitiker und Staatsgäste kamen zum Abschied von dem Papst, der Gesprächspartner von fünf US-Präsidenten war und sechs Kreml-Chefs erlebte; der maßgeblich zum Sturz des Kommunismus und zum Fall der Berliner Mauer beitrug; der als erster Papst alle Welt bereiste, den katholischen Glauben verkündete und die Achtung der Menschenrechte forderte. Und der zuletzt, schon von der schweren Krankheit gezeichnet, mit einer intensiven Diplomatie den Krieg im Irak zu verhindern versuchte.

Es überraschte nicht, dass bei der Totenmesse Kirchenführer und Staatsmänner unterschiedlichster Lager zusammenkamen. Neben dem US-Präsidenten und seinen beiden Vorgängern nahmen Ayatollahs aus dem Iran und die Präsidenten aus Syrien und Israel Platz. Kardinaldekan Joseph Ratzinger traf die Stimmung, als er in seiner Predigt auf die Fenster im verwaisten Papstpalast deutete: "Wir können sicher sein, dass unser geliebter Papst jetzt am Fenster des Hauses des Vaters steht, uns sieht und uns segnet." Sprechchöre und Transparente auf dem riesigen Platz forderten: "Santo subito" - heilig sofort.

Seligsprechung 2011, Heiligsprechung 2014, neue Debatte 2023

Ratzinger, der zehn Tage später als Benedikt XVI. zum Nachfolger gewählt wurde, reagierte rasch. Zwar gab es keine spontane Heiligsprechung, quasi per Akklamation. Aber schon in einer seiner ersten Amtshandlungen gab er die Erlaubnis für den sofortigen und vorzeitigen Beginn des kirchlichen Verfahrens. Am 1. Mai 2011 wurde Johannes Paul II. in einer großen Feier seliggesprochen. Und bis zur Heiligsprechung dauerte es dann gerade drei Jahre. Am 27. April 2014 erhob Papst Franziskus seinen polnischen Vorgänger zusammen mit Johannes XXIII. (1958-1963) zum Heiligen.

Im Jahr 2014 wurde Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen (dpa)
Im Jahr 2014 wurde Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen / ( dpa )

Wie viele Polinnen und Polen Johannes Paul II. als Nationalheld verehren und verteidigen, zeigt sich jetzt im Heimatland des ehemaligen Papstes. Etwa im Fußballstadion von Legia Warschau, als der Tabellenzweite und Rekordmeister am Sonntag mit 2:0 gegen Stal Mielec gewann. Legia-Fans befestigten ein langes Transparent an der Zuschauertribüne: "Hände weg von Johannes Paul II."

Vorwürfe in TV-Doku

Mit besonders viel Eifer bemüht sich das Staatsfernsehen darum, an die Verdienste des Polen zu erinnern, der von 1978 bis 2005 Papst war und 2014 heiliggesprochen wurde. Seit März läuft jeden Tag um 20.00 Uhr die Sendung "Wort des heiligen Johannes Paul II." im ersten Programm TVP1. In ihr werden direkt nach den Nachrichten und vor dem Wetterbericht ein paar Minuten lang historische Aufnahmen seiner Predigten gezeigt, die er bei seinen Besuchen in Polen hielt.

Anlass dieser Sympathie-Welle: Eine Fernseh-Doku des Privatsenders TVN24 warf dem einstigen Kirchenoberhaupt vor, er habe als Erzbischof von Krakau vor seiner Papstwahl von Anschuldigungen sexuellen Kindesmissbrauchs gegen drei Priester gewusst, habe sie aber trotzdem weiter in Pfarreien arbeiten lassen. Für einen Priester schrieb Erzbischof Karol Wojtyla der Doku zufolge 1972 ein Empfehlungsschreiben an den damaligen Wiener Kardinal Franz König, um ihn in eine österreichische Gemeinde schicken zu können. Doch über die Vorwürfe gegen den Priester habe er König nicht informiert. Im Film kamen auch mehrere Missbrauchsopfer zu Wort. Einer der Betroffenen sagte, er habe Wojtyla 1973 von den sexuellen Übergriffen berichtet.

Die Polen sind gespalten

Einer ersten Umfrage zufolge sind ähnlich viele Menschen in Polen davon überzeugt, Wojtyla habe als Erzbischof Sexualstraftaten vertuscht, wie dies verneinen. 15,8 Prozent antworteten, er habe sie ganz bestimmt vertuscht; 19,4 Prozent mit "eher ja". Hingegen meinten 12,1 Prozent "eher nein" und 20,5 Prozent "entschieden nein". Ein knappes Drittel der Befragten erklärte, sie wüssten es nicht oder es sei schwer zu sagen.

Ein anderes Meinungsforschungsinstitut fragte, welche Folgen für sie die Medienberichte hätten, dass Wojtyla von Pädophiliefällen in Polens Kirche gewusst habe. 34,7 Prozent gaben an, dass sie den Papst aus Polen nun schlechter bewerten. Die Mehrheit erklärte allerdings, ihre Beurteilung von Johannes Paul II. habe sich nicht verändert (44,8 Prozent) oder verbessert (5,9 Prozent). Der Rest (14,6 Prozent) bekam nach eigenen Angaben bislang nichts von den Vorwürfen mit.

Polens Parlament verteidigt Johannes Paul II. gegen Vorwürfe

Als Reaktion auf den Vorwurf der Missbrauchsvertuschung verteidigt Polens Parlament den "guten Namen" von Papst Johannes Paul II. (1978-2005). Die Abgeordneten nahmen mit 271 gegen 43 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) einen entsprechenden Entschließungsantrag an. Die größte Oppositionsfraktion, die rechtsliberale Bürgerkoalition, boykottierte die Abstimmung.

Papst Johannes Paul II. in Polen im Jahr 1979 / © KNA-Bild (KNA)
Papst Johannes Paul II. in Polen im Jahr 1979 / © KNA-Bild ( KNA )

Politiker verteidigen Papst

Mit Inbrunst stellt sich die nationalkonservative Regierungspartei PiS vor den ehemaligen Papst. Sie sieht darin die beste Chance, von ihren eigenen Problemen abzulenken und Rückenwind für die Parlamentswahl im Herbst zu gewinnen. Schon immer gab sie sich demonstrativ kirchennah. Nun jedoch treibt sie es auf die Spitze.

Staatspräsident Andrzej Duda betonte: "Für uns Polen ist die Erinnerung an den heiligen Johannes Paul II. ein wesentlicher Bestandteil unseres nationalen Erbes und gehört zur polnischen Staatsräson, die wir mit absoluter Hingabe und Entschlossenheit bewahren sollten, ohne Rücksicht auf die Folgen. Das ist unsere bürgerliche, patriotische und historische Pflicht."

Rede vom "zweiten Attentat"

Bereits am Tag nach Ausstrahlung der TV-Doku kommentierte indes die auflagenstärkste Kirchenzeitung "Gosc Niedzielny" (Sonntagsgast) auf ihrer Website gosc.pl: "Ohne die Einsetzung einer unabhängigen Kommission und den Zugang zu den Kirchenarchiven werden wir zu einem endlosen Streit über das Wissen und das Handeln von Karol Wojtyla in Bezug auf Verbrecher in Soutanen verurteilt sein."

Auf eine unabhängige Untersuchung setzt der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski aber offensichtlich nicht. Er nennt die Vorwürfe gegen Johannes Paul II. ein "zweites Attentat" auf ihn. Jedraszewski stellt sie also auf eine Stufe mit den Schüssen auf den Papst 1981 auf dem Petersplatz.

Das Erzbistum Krakau lädt lieber zu einer Gebetswache am 2. April, dem Todestag von Johannes Paul II., vor dem legendären Papstfenster in Krakau ein. Aus dem Fenster der Bischofsresidenz hatte Karol Wojtyla während seiner Polenreisen abends zu seinen Landsleuten gesprochen und mit ihnen gesungen. Der emeritierte Krakauer Erzbischof Stanislaw Dziwisz mahnte in einer schriftlichen Erklärung: "Wir dürfen nicht schweigen, wir dürfen nicht gleichgültig zusehen, wie die Heiligkeit mit Füßen getreten wird, wie auf den Propheten unserer Zeit gespuckt wird."

Auch Bischöfe nehmen Johannes Paul II. in Schutz

Beinahe alle polnischen Ortsbischöfe schrieben eigene Stücke, um Johannes Paul II. in Schutz zu nehmen. Ex-Primas Erzbischof Henryk Muszynski wählte die Worte: "Angesichts der aktuellen antikirchlichen und lautstarken Kampagne, die sich vor allem gegen den heiligen Johannes Paul II. richtet, sehe ich das Mysterium des Bösen."

In der offiziellen Verlautbarung nach der Vollversammlung der polnischen Bischöfe war am Dienstag von "noch nie da gewesenen" Versuchen die Rede, "die Person und das Werk des heiligen Johannes Paul II. zu diskreditieren". Die Bischöfe appellieren "an alle, das Andenken an einen unserer bedeutendsten Landsleute zu achten". Sie dankten jenen, die den "guten Namen" Johannes Pauls II. verteidigten.

Spezialisten sollen Verbrechen aufklären

Laut Primas Erzbischof Wojciech Polak beschlossen die Bischöfe, "ein Team unabhängiger Spezialisten zu berufen, das die staatlichen und kirchlichen Archive untersuchen soll, um die Fälle von Sexualverbrechen einiger Geistlicher an Minderjährigen aufzuklären". Welche Fachleute das sein werden, sagte er nicht. Seine Botschaft klang nach einem Fortschritt. Was daraus wird, ist jedoch noch offen.

Polak hofft, dass die Aufarbeitung durch das Team "eine echte Hilfe für die Geschädigten sein wird". Die Betroffenen bräuchten Wahrheit. "Es ist eine Richtungsentscheidung", so der Primas. Alle Bischöfe seien dafür gewesen, niemand dagegen. Polak ist in der katholischen Kirche Polens für den Schutz von Kindern und Jugendlichen zuständig. Bislang wurden die Kirchenakten in Polen weitgehend unter Verschluss gehalten.

Dem Untersuchungsteam sollen laut dem Erzbischof Historiker, Juristen und Psychologen angehören. Namen nannte er nicht. Es gehe nicht nur um Krakau und Johannes Paul II., sondern um alle Diözesen und Ordensgemeinschaften des Landes.

Katholische Kirche in Polen

Die römisch-katholische Kirche hat in Polen traditionell großen Einfluss. Ihr gehören knapp 90 Prozent der 33 Millionen Bürger an. In den vergangenen Jahren verlor die Kirche aber besonders in der jungen Generation an Ansehen. In der Hauptstadt Warschau wählten in diesem Schuljahr nur noch 29 Prozent der Schüler in der gymnasialen Oberstufe das Fach katholische Religion. Nach Angaben der Bischofskonferenz besuchten 2021 landesweit 28,3 Prozent der Katholiken die Sonntagsmesse.

Prozession in Polen / © Dariusz Banaszuk (shutterstock)
Prozession in Polen / © Dariusz Banaszuk ( shutterstock )

 

Quelle:
KNA
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