Wie viele Polinnen und Polen Johannes Paul II. als Nationalheld verehren und verteidigen, zeigt sich jetzt im Heimatland des ehemaligen Papstes. Etwa im Fußballstadion von Legia Warschau, als der Tabellenzweite und Rekordmeister am Sonntag mit 2:0 gegen Stal Mielec gewann. Legia-Fans befestigten ein langes Transparent an der Zuschauertribüne: "Hände weg von Johannes Paul II."
Vorwürfe in TV-Doku
Mit besonders viel Eifer bemüht sich das Staatsfernsehen darum, an die Verdienste des Polen zu erinnern, der von 1978 bis 2005 Papst war und 2014 heiliggesprochen wurde. Seit einigen Tagen läuft jeden Tag um 20.00 Uhr die Sendung "Wort des heiligen Johannes Paul II." im ersten Programm TVP1. In ihr werden direkt nach den Nachrichten und vor dem Wetterbericht ein paar Minuten lang historische Aufnahmen seiner Predigten gezeigt, die er bei seinen Besuchen in Polen hielt.
Anlass dieser Sympathie-Welle: Eine Fernseh-Doku des Privatsenders TVN24 warf dem einstigen Kirchenoberhaupt vor, er habe als Erzbischof von Krakau vor seiner Papstwahl von Anschuldigungen sexuellen Kindesmissbrauchs gegen drei Priester gewusst, habe sie aber trotzdem weiter in Pfarreien arbeiten lassen. Für einen Priester schrieb Erzbischof Karol Wojtyla der Doku zufolge 1972 ein Empfehlungsschreiben an den damaligen Wiener Kardinal Franz König, um ihn in eine österreichische Gemeinde schicken zu können. Doch über die Vorwürfe gegen den Priester habe er König nicht informiert. Im Film kamen auch mehrere Missbrauchsopfer zu Wort. Einer der Betroffenen sagte, er habe Wojtyla 1973 von den sexuellen Übergriffen berichtet.
Die Polen sind gespalten
Einer ersten Umfrage zufolge sind ähnlich viele Menschen in Polen davon überzeugt, Wojtyla habe als Erzbischof Sexualstraftaten vertuscht, wie dies verneinen. 15,8 Prozent antworteten, er habe sie ganz bestimmt vertuscht; 19,4 Prozent mit "eher ja". Hingegen meinten 12,1 Prozent "eher nein" und 20,5 Prozent "entschieden nein". Ein knappes Drittel der Befragten erklärte, sie wüssten es nicht oder es sei schwer zu sagen.
Ein anderes Meinungsforschungsinstitut fragte, welche Folgen für sie die Medienberichte hätten, dass Wojtyla von Pädophiliefällen in Polens Kirche gewusst habe. 34,7 Prozent gaben an, dass sie den Papst aus Polen nun schlechter bewerten. Die Mehrheit erklärte allerdings, ihre Beurteilung von Johannes Paul II. habe sich nicht verändert (44,8 Prozent) oder verbessert (5,9 Prozent). Der Rest (14,6 Prozent) bekam nach eigenen Angaben bislang nichts von den Vorwürfen mit.
Politiker verteidigen Papst
Mit Inbrunst stellt sich die nationalkonservative Regierungspartei PiS vor den ehemaligen Papst. Sie sieht darin die beste Chance, von ihren eigenen Problemen abzulenken und Rückenwind für die Parlamentswahl im Herbst zu gewinnen. Schon immer gab sie sich demonstrativ kirchennah. Nun jedoch treibt sie es auf die Spitze.
Staatspräsident Andrzej Duda betonte: "Für uns Polen ist die Erinnerung an den heiligen Johannes Paul II. ein wesentlicher Bestandteil unseres nationalen Erbes und gehört zur polnischen Staatsräson, die wir mit absoluter Hingabe und Entschlossenheit bewahren sollten, ohne Rücksicht auf die Folgen. Das ist unsere bürgerliche, patriotische und historische Pflicht."
Rede vom "zweiten Attentat"
Bereits am Tag nach Ausstrahlung der TV-Doku kommentierte indes die auflagenstärkste Kirchenzeitung "Gosc Niedzielny" (Sonntagsgast) auf ihrer Website gosc.pl: "Ohne die Einsetzung einer unabhängigen Kommission und den Zugang zu den Kirchenarchiven werden wir zu einem endlosen Streit über das Wissen und das Handeln von Karol Wojtyla in Bezug auf Verbrecher in Soutanen verurteilt sein."
Auf eine unabhängige Untersuchung setzt der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski aber offensichtlich nicht. Er nennt die Vorwürfe gegen Johannes Paul II. ein "zweites Attentat" auf ihn. Jedraszewski stellt sie also auf eine Stufe mit den Schüssen auf den Papst 1981 auf dem Petersplatz.
Das Erzbistum Krakau lädt lieber zu einer Gebetswache am 2. April, dem Todestag von Johannes Paul II., vor dem legendären Papstfenster in Krakau ein. Aus dem Fenster der Bischofsresidenz hatte Karol Wojtyla während seiner Polenreisen abends zu seinen Landsleuten gesprochen und mit ihnen gesungen. Der emeritierte Krakauer Erzbischof Stanislaw Dziwisz mahnte in einer schriftlichen Erklärung: "Wir dürfen nicht schweigen, wir dürfen nicht gleichgültig zusehen, wie die Heiligkeit mit Füßen getreten wird, wie auf den Propheten unserer Zeit gespuckt wird."
Auch Bischöfe nehmen Johannes Paul II. in Schutz
Beinahe alle polnischen Ortsbischöfe schrieben eigene Stücke, um Johannes Paul II. in Schutz zu nehmen. Ex-Primas Erzbischof Henryk Muszynski wählte die Worte: "Angesichts der aktuellen antikirchlichen und lautstarken Kampagne, die sich vor allem gegen den heiligen Johannes Paul II. richtet, sehe ich das Mysterium des Bösen."
In der offiziellen Verlautbarung nach der Vollversammlung der polnischen Bischöfe war am Dienstag von "noch nie da gewesenen" Versuchen die Rede, "die Person und das Werk des heiligen Johannes Paul II. zu diskreditieren". Die Bischöfe appellieren "an alle, das Andenken an einen unserer bedeutendsten Landsleute zu achten". Sie dankten jenen, die den "guten Namen" Johannes Pauls II. verteidigten.
Spezialisten sollen Verbrechen aufklären
Laut Primas Erzbischof Wojciech Polak beschlossen die Bischöfe, "ein Team unabhängiger Spezialisten zu berufen, das die staatlichen und kirchlichen Archive untersuchen soll, um die Fälle von Sexualverbrechen einiger Geistlicher an Minderjährigen aufzuklären". Welche Fachleute das sein werden, sagte er nicht. Seine Botschaft klang nach einem Fortschritt. Was daraus wird, ist jedoch noch offen.
Polak hofft, dass die Aufarbeitung durch das Team "eine echte Hilfe für die Geschädigten sein wird". Die Betroffenen bräuchten Wahrheit. "Es ist eine Richtungsentscheidung", so der Primas. Alle Bischöfe seien dafür gewesen, niemand dagegen. Polak ist in der katholischen Kirche Polens für den Schutz von Kindern und Jugendlichen zuständig. Bislang wurden die Kirchenakten in Polen weitgehend unter Verschluss gehalten.
Dem Untersuchungsteam sollen laut dem Erzbischof Historiker, Juristen und Psychologen angehören. Namen nannte er nicht. Es gehe nicht nur um Krakau und Johannes Paul II., sondern um alle Diözesen und Ordensgemeinschaften des Landes.