Im Dialog zwischen Deutschland und Namibia zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit gab es zuletzt widersprüchliche Signale. Während die Verhandlungen auf Regierungsebene laut Auswärtigem Amt "konstruktiv" verlaufen, zogen Vertreter von Herero und Nama in New York vor Gericht. Beide Volksgruppen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von den deutschen Kolonialherren brutal verfolgt. Historiker sprechen von Völkermord.
Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) ordnet Jürgen Zimmerer (51) die Entwicklungen vor dem Hintergrund der Geschehnisse im damaligen Deutsch-Südwestafrika ein. Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg und Präsident des Weltverbandes der Genozidforschenden. Er leitet die Forschungsstelle "Hamburgs (post-)koloniales Erbe".
KNA: Herr Zimmerer, warum klagen Herero und Nama in New York - wo doch Deutschland und Namibia auf Regierungsebene schon über eine Aufarbeitung verhandeln?
Zimmerer: Maßgebliche Vertreter der Herero und Nama beklagen sich schon seit Verhandlungsbeginn, dass sie nicht angemessen beteiligt seien. Denn die Gespräche finden nur zwischen den Regierungen Namibias und Deutschlands statt. Die Klageführer lehnen auch ab, dass jegliche Reparationszahlungen ausgeschlossen sein sollen. Die deutsche Delegation hat diesen Ausschluss von Anfang an als unverhandelbar bezeichnet.
KNA: Was konkret wollen die Herero und Nama in New York erreichen?
Zimmerer: Sie klagen sowohl auf Wiedergutmachung als auch auf Beteiligung an den Verhandlungen. Dabei stützen sie sich auf die UN-Konvention zum Schutz indigener Völker von 2007, die sowohl Deutschland als auch Namibia unterzeichnet haben. Sie räumt indigenen Gruppen ein besonderes Mitspracherecht ein.
KNA: Tansania hat bereits angekündigt, ebenfalls gegen Kolonialverbrechen zu klagen. Könnte das der Beginn einer Prozesswelle sein?
Zimmerer: Da scheint noch nichts entschieden. Die tansanische Regierung oder vielmehr einer ihrer Vertreter hat erklärt, man werde prüfen, ob man ebenfalls eine Klage anstrengt. Wenn aber die Herero und Nama vor Gericht Erfolg haben, könnten sich andere Länder dies zum Vorbild nehmen. Massaker und Menschenrechtsverletzungen gab es in vielen Kolonien. Das ist übrigens auch nicht nur ein deutsches "Problem", sondern betrifft auch die anderen europäischen Kolonialmächte. Jüngst wurden etwa erneut Reparationsforderungen aus Indien gegenüber Großbritannien laut.
KNA: Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.
Zimmerer: Der Fall der Herero und Nama wird international genau beobachtet. Es könnte ein Präzedenzfall mit weitgehenden Folgen werden. Umso ärgerlicher finde ich, dass es der deutschen Delegation nicht gelungen ist, diesen unter Einbeziehung aller Beteiligten und Betroffenen frühzeitig aus der Welt zu schaffen. Hier ist aus meiner Sicht die deutsche Verhandlungsstrategie gescheitert; ein internationaler Ansehensverlust droht.
KNA: Wie ordnen Sie als Historiker die Debatte über die koloniale Vergangenheit in Deutschland ein: Stehen wir am Anfang oder mittendrin?
Zimmerer: Deutschland steht bei der Aufarbeitung noch ziemlich am Anfang. Die koloniale Vergangenheit beschränkt sich ja nicht auf die gut 30 Jahre, in denen Deutschland Kolonien hatte. Auch vorher, praktisch von Anfang an, waren Deutsche an der "Europäischen Expansion" beteiligt. Und das endete nicht mit dem Verlust der deutschen Kolonien im Ersten Weltkrieg. Hier ist also auf allen Ebenen, der Wirtschaft, der Politik und der Kultur sehr viel aufzuarbeiten. Ich denke nur an Museen, Theater, Völkerschauen...
KNA: Stößt das denn auch auf die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit?
Zimmerer: Das Interesse an der Kolonialzeit als Vorgeschichte der Globalisierung ist enorm gestiegen. An vielen Orten gibt es Initiativen, die die Aufarbeitung des Kolonialismus vorantreiben.
KNA: Sie selbst lehren und forschen in Hamburg - "Deutschlands Tor zur Welt". Wie steht es dort um die Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit?
Zimmerer: Hamburg ist bereits vor drei Jahren einen wichtigen Schritt gegangen. Als erste deutsche und europäische Stadt hat sie sich verpflichtet, ein postkoloniales Erinnerungskonzept zu erarbeiten.
Zur wissenschaftlichen Unterstützung dieser Aufgabe ist eine Forschungsstelle «Hamburgs (post-)koloniales Erbe» eingerichtet, in der wir gezielt diesen Aspekt der Geschichte in den Blick nehmen. Das hat eine Art Leuchtturmfunktion für ganz Deutschland und für Europa. Denn Hamburg als Hafenstadt ist eine der europäischen Kolonialmetropolen schlechthin.