DOMRADIO.DE: Sie sind am Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Universität Regensburg. Für Ihre Habilitation untersuchen Sie Rosenkränze in einem umfassenden Kontext. Warum denn eigentlich? Für wen forschen Sie?
Anne Mariss (Historikerin): Ich bin Frühe Neuzeit-Historikerin. Von daher richtet sich mein Forschungsprojekt erstmal an ein historisch-forschendes Publikum. Aber das Thema ist natürlich auch für Laien interessant. Von daher versuche ich primär mein Buch für die Forschung interessant zu machen, aber durchaus auch für Menschen rezipierbar zu machen, die sich für bestimmte historische Phänomene interessieren.
DOMRADIO.DE: Sie interessieren sich vor allem für die Rosenkränze vor unserer Zeit. Was erzählen die für eine Geschichte im Vergleich zu heute?
Mariss: Also im Vergleich zu heute muss man sagen, dass vormoderne Rosenkränze eine unglaubliche Vielfalt an unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen, Glaubensvorstellungen, aber auch an Materialitäten aufweisen.
Wenn man sich heute Rosenkränze anschaut, sind die meist relativ schlicht gefertigt. Das ist meistens Massenware, mal abgesehen von vielleicht ein paar besonderen Einzelstücken. In der Frühen Neuzeit haben wir aber eine ganze Palette an unterschiedlichen Materialien, an Anhängern, die an den Rosenkranz befestigt werden.
DOMRADIO.DE: Rosenkränze gibt es nicht nur bei Katholiken, sie haben auch eine protestantische Vergangenheit, oder?
Mariss: Ja, durchaus. Man muss sich das so vorstellen, dass durch die Reformation im 16. Jahrhundert und vor allem durch Luther das Rosenkranzgebet ganz massiv in die Kritik geraten ist. Viele Reformatoren schlossen sich dieser Kritik Luthers an und sagten, das sei ein bloßes Plappern. Dieses Reingebet ist eigentlich überhaupt nichts für Protestanten.
Auch die Gebetsschnur an sich, die Materialität, liegt den Protestanten erstmal relativ fern, zumindest den Theologen. Es ist nun aber so, dass sich der Wandel materieller Kultur sehr viel langsamer vollzieht, als dies radikale Brüche wie das Reformationsjahr 1517 nahelegen.
Das heißt also, dass die Gebetschnüre an sich noch weiter existiert haben, vielleicht nicht in diesem spirituellen Sinne, aber als Stücke, die aufgrund ihres materiellen Wertes verehrt wurden, die bestimmte familiäre Traditionen in sich gespeichert haben und weitervererbt wurden. Von daher hatten die Rosenkränze ein protestantisches Nachleben, könnte man sagen.
DOMRADIO.DE: Köln war mal das Zentrum des Rosenkranzgebets. Woran kann man das festmachen?
Mariss: Das lässt sich an dem Jahr 1475 festmachen, wo die erste Rosenkranzbruderschaft im deutschsprachigen Raum, also im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, gegründet wurde. Das ist ein ganz besonderes Zeichen dafür, dass sich diese Frömmigkeit in dieser Zeit verankert. Wir haben spätmittelalterliche Frömmigkeitsformen, wie das Wallfahren oder die Rosenkranzfrömmigkeit, die in dieser Zeit aufblühen.
Köln ist ein frühes Zentrum des Rosenkranzgebetes und der ganzen Frömmigkeit, die sich darum entwickelt. Das Besondere ist, dass diese Rosenkranzbruderschaften sehr populär waren. Die haben sehr früh sehr viele Mitglieder gehabt. Ende des 15. Jahrhunderts spricht man von rund 100.000 lebenden und toten Mitgliedern.
Diese Rosenkranzbruderschaften standen erst mal jedem offen. Ob Frau, Mann, für lebende Personen oder auch für Tote konnte gebetet werden. Es war eine Form der sozialen religiösen Gemeinschaft, die sehr früh sehr viele Anhänger gefunden hat, weil es diesen Raum für Frömmigkeitspraktiken geboten hat.
DOMRADIO.DE: Ist deswegen auch der Rosenkranz vom Heiligen Franz Xaver in Köln zu finden? Er ist ja der Mitbegründer der Jesuiten, oder wie kam der nach Köln?
Mariss: Genau. Das Interessante an diesem Objekt ist, dass es Mitte des 17. Jahrhunderts von der französischen Königin Marie de Medici als eine Schenkung nach Köln kam. Das allein ist schon interessant. Marie de Medici war ins Exil geschasst worden, hat sich dann an ihrem Lebensende in Köln aufgehalten und hat dann den Jesuiten den Rosenkranz des Heiligen Xaver vermacht.
Dieser Rosenkranz hat aber eine ganz besondere Biografie. Denn der Heilige Franz Xaver war ein Missionsheiliger, das heißt, er ist Mitte des 16. Jahrhunderts durch Asien gereist und hat dort versucht, die sogenannten "Heiden" vom katholischen Glauben zu überzeugen. Er hat wohl auf seiner Missionsreise einen Rosenkranz aus einem asiatischen Duftholz geschenkt bekommen. Diese Dufthölzer waren später in Europa auch sehr beliebt. Sie laufen dann unter dem Namen Adlerholz.
Und diesen Rosenkranz hat er auf seinen Reisen als Missionsobjekt schon benutzt. Der Rosenkranz ist dann auf recht abenteuerlichen Weg nach Köln gekommen. Er ist über Goa in Indien, über Brasilien, wo die Jesuiten ja auch sehr aktiv waren, bis nach Amsterdam gekommen und dort erst mal in Händen eines calvinistischen Stadtrates gelangt, der ihn dann nur sehr ungern - wenn man den katholischen Quellen glauben möchte - an Maria de Medici verschenkt hat.
Es ist eine ganz abenteuerliche Geschichte, die dieser Rosenkranz, der jetzt schon seit seit Mitte des 17. Jahrhunderts in Sankt Maria Himmelfahrt in Köln liegt, aufzuweisen hat.
Das Interview führte Tobias Fricke.