Mit einer großen Menschenmenge hat Papst Franziskus am Sonntag eine Messe in Madagaskar gefeiert. Mehrere hunderttausend kamen auf einem von Staubschwaden überwehten Feld nahe der Hauptstadt Antananarivo zusammen.
Aus entlegenen Teilen der Insel nahmen viele eine tagelange beschwerliche Anreise auf sich. Das Land zählt zu den ärmsten der Welt. "Allein dass so viele Menschen hier sind, zeigt, dass es Veränderung gibt", sagt die Studentin Hasina Rakotondraina.
Die 29-jährige Katholikin aus Antananarivo engagiert sich auf internationaler Ebene für Regenwaldschutz und nachhaltige Wasserwirtschaft. Sie gehört zu der jungen Generation gebildeter Madagassen, die an Entwicklungschancen unter dem neuen Präsidenten Andry Rajoelina glauben.
"Er ist jung, dynamisch, hat einen Aktionsplan", sagt Rakotondraina. Man müsse ihn nun "Schritt für Schritt" umsetzen.
Der Jugend Mut für die Zukunft machen
Zu solchem Einsatz will Franziskus ermutigen. "Durch euch kommt die Zukunft nach Madagaskar", sagte er hier am Samstagabend an die Adresse der Jugend. Konkrete Beispiele, wo sie sich engagieren sollten, nannte er nicht.
Und guter Rat ist auch teuer in einem Land, das nicht weiß, was es mit seinem Nachwuchs anfangen soll. Laut UN-Angaben sind 73 Prozent der Madagassen jünger als 25 Jahre; die Quote derer, die nicht mal die Grundschule schaffen, gehört zu den höchsten der Welt; dafür werden vier von zehn Mädchen vor der Volljährigkeit verheiratet.
Familienplanung ließ der Papst als Thema für seine Ansprachen aus. Zu früheren Gelegenheiten sprach er sich durchaus klar für verantwortete Elternschaft und Augenmaß in Moralfragen aus. Aber bei ultrakonservativen Katholiken steht er dafür in der Kritik und unter Beobachtung.
Vielleicht wollte Franziskus vermeiden, dass auf dieser Afrika-Reise eine Kondom-Debatte entbrennt, die er selbst für wenig zielführend hält. Sein Vorgänger Johannes Paul II.
rief bei seinem letzten Besuch in Madagaskar 1989 die Bischöfe noch zu Widerstand gegen einen "Verhütungsimperialismus" auf.
Armut gehöre "nicht zum Plan Gottes"
Franziskus lenkte den Blick auf die Armen - jene 75 Prozent, die nach UN-Angaben praktisch nichts zum Leben haben. "Das gehört nicht zum Plan Gottes", so der Papst.
In seiner Sonntagspredigt mit politischen Untertönen verurteilte er einen "Wettstreit im Ansammeln von Gütern" und Ausbeutung, Günstlingswirtschaft und Clan-Denken, die nach seinen Worten auch in der Kirche nicht fremd sind.
Schon zu Beginn seines zweitägigen Besuchsprogramms am Samstag hatte er am Amtssitz von Präsident Rajoelina den Politikern ins Gewissen geredet, gegen alle Formen von Korruption und Spekulation vorzugehen, die die soziale Ungleichheit erhöhen; er forderte Maßnahmen für bessere Einkommensverteilung, mehr Chancen auf Arbeit und Mitgestaltung.
Die Bischöfe hielt er zu einem selbstbewussteren Auftreten gegenüber dem Staat an. Der "Biss des Evangeliums" dürfe nicht durch "fragwürdige Übereinkünfte" verloren gehen.
Junge Generation lebt in schwierigen Verhältnissen
Seine Ermutigung an die jungen Madagassen blieb dagegen recht allgemein. Bei dem abendlichen Gebetstreffen auf dem weiten Gottesdienstgelände erinnerte er sie daran, dass sie in den Augen Gottes wertvoll seien, und forderte sie auf, gemeinsam zu träumen und sich "die Hände schmutzig zu machen".
Als Haupthindernis für einen solchen Aufschwung sieht die 24-jährige Ny Ando Sheron, dass das Potenzial der jungen Generation noch nicht wirklich erkannt werde. Mit einer halben Stelle an der Uni, Gelegenheitsjobs als Übersetzerin und einem Monatseinkommen von 200 bis 250 Euro zählt die studierte Designerin zu den Privilegierten, muss aber auch noch ihre drei jüngeren Schwestern unterhalten.
Von der neuen Regierung erhofft sie bessere Chancen für Start-Ups. Bislang scheiterten viele an bürokratischen Hürden, Ideenklau und fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten. Jene, die aufs Geratewohl vom Land in die Stadt ziehen, werden Ascione zufolge bald desillusioniert: "Entweder gehen sie zurück, landen in der Kriminalität oder auf der Straße."
Papst hofft auf mehr Gerechtigkeit
Laut der Weltmigrationsorganisation (IOM) ziehen jährlich 200.000 Menschen nach Antananarivo. In manchen Dörfern der südlichen Region Androy sei ein Fünftel der Bevölkerung abgewandert, sagt IOM-Landeschef Daniel Silvia y Poveda. Für den Gang ins Ausland sind die meisten schlicht zu arm. Zwar gilt ein Mindestlohn von umgerechnet 50 Euro, aber Jobs für 30 Euro monatlich sind laut Ascione nicht selten.
Der Perspektivlosigkeit vieler Madagassen wandte sich Franziskus am Nachmittag zu, bei einem Besuch in Akamasoa, einem Wohn- und Beschäftigungsprojekt für Menschen, die früher auf Müllhalden lebten. Die eindringlichsten Worte kleidete er in die Form eines Gebets; vielleicht, um sie nicht parteipolitisch ausnutzen zu lassen.
Den "Gott der Gerechtigkeit" rief er an, die Unternehmer zu gerechten Löhnen und menschenwürdigen Beschäftigungsverhältnissen zu bewegen. In den Herzen der Arbeiter solle es "bei aller Ungerechtigkeit keinen Raum für Hass, Rache und Bitterkeit" geben.
"Bewahre ihnen die Hoffnung auf eine bessere Welt", betete Franziskus. Manchen Madagassen wird diese Hoffnung schwerfallen. "Wenn du nur den morgigen Tag überleben musst", sagt Ascione, "denkst du nicht an die Zukunft".