Am Dienstag übertraf Brasilien mit 474 neuen Corona-Toten in 24 Stunden erstmals China. Nun sind es bereits mehr als 5.000 Tote innerhalb weniger Wochen. Was er zu den Zahlen zu sagen habe, wurde Brasiliens rechtspopulistischer Präsident Jair Messias Bolsonaro am Dienstagabend (Ortszeit) gefragt. "Na und?", war seine lapidare Antwort. "Es tut mir leid. Aber was wollen Sie von mir? Ich bin Messias, vollbringe aber keine Wunder."
Man hat sich daran gewöhnt, dass Bolsonaro auf Fragen zur Corona-Pandemie mit Spott antwortet. So hatte ein Gericht am Montag angeordnet, er möge endlich seine drei Corona-Testergebnisse veröffentlichen. Zwar versichert Bolsonaro, sie seien negativ. Da aber mehr als zwei Dutzend seiner Mitarbeiter positiv getestet wurden, gibt es Zweifel daran. Seine Reaktion: "Demnächst wollen Sie wohl auch noch wissen, ob ich noch Jungfrau bin."
Bolsonaro hatte Covid-19 erst als "kleine Grippe" bezeichnet, dann betete er mit evangelikalen Gruppen im Garten seines Palastes gegen das Virus an, das seiner Meinung nach "bereits wieder abhaut". Die Idee für seinen bisher einzigen "konstruktiven" Vorschlag hatte er von US-Präsident Donald Trump: das Malaria-Mittel Chloroquin. Sofort musste das brasilianische Militär Millionen Tabletten produzieren.
Genau wie Trump machte er sich nicht die Mühe, Wissenschaftler über die zweifelhafte Wirksamkeit des Mittels zu befragen.
Missachtet Empfehlungen
Noch gravierender war jedoch sein Auftreten. Immer wieder missachtete er die Empfehlungen seines Gesundheitsministers und suchte provozierend den Kontakt zu seinen Anhängern. Mal frühstückte er in einer Bäckerei. Dann säuberte er sich vor laufenden Kameras mit der Hand die Nase, bevor er mit ihr seine Fans begrüßte. Sollte er doch mit dem Coronavirus infiziert sein, droht ihm Ärger mit der Justiz.
Kirche reagiert
Vor einigen Tagen veröffentlichten Organisationen der katholischen Kirche Brasiliens einen Aufruf. Dem Präsident müsse Einhalt geboten werden, schrieben sie. "Inmitten der schlimmsten Gesundheitskrise des Jahrhunderts agiert der Präsident auf unverantwortliche Weise, ohne die Nation zu einen oder sie im Kampf gegen die Krankheit anzuführen." Stattdessen "predigt er den Konflikt, setzt auf Falschinformationen und verneint den wissenschaftlichen Wert der Maßnahmen der Weltgesundheitsorganisation (WHO)".
Genau wie Trump hält Bolsonaro die WHO für chinesisch unterwandert.
Sein Außenminister Ernesto Araujo bezeichnete das Virus gar als Teil eines "kommunistischen Globalismus-Projekts", gemeinsam mit der Lüge vom Klimawandel, der Migrantenkrise, der Gender-Theorie und dem "politisch korrekten Diskurs". Mit Hilfe des "Kommunistenvirus" sollen nationalstaatliche Lösungen geschwächt und der Welt supranationale Institutionen aufoktroyiert werden.
Währenddessen kollabiert in mehreren Regionen das Gesundheitssystem. Da die Krankenhäuser der Amazonasmetropole Manaus, in Rio de Janeiro und in Fortaleza bereits überfüllt sind, müssen immer mehr Patienten abgewiesen werden. In Manaus werden daheim gestorbene Patienten nicht in die Corona-Statistiken aufgenommen, da es nicht genug Tests für die Leichen gibt. Die hohe Dunkelziffer lässt sich allein an den täglichen Massenbeerdigungen ablesen.
Viermal so viele Tote wie sonst
So werden derzeit viermal so viele Menschen beerdigt wie sonst. Per Flugzeug müssen neben Beatmungsgeräten auch Holzsärge eingeflogen werden. Experten raten dringend zum kompletten Lockdown in Manaus sowie in Fortaleza. Kritisch sei auch die Lage in den Millionenstädten Recife und Belem.
Vor zwei Wochen entließ Bolsonaro den Gesundheitsminister, weil dieser die Quarantäne verteidigte. Sein Nachfolger hat sich immer noch nicht geäußert, ob er für Shutdown oder Lockerungen ist. In Sao Paulo und Rio de Janeiro, den am stärksten betroffenen Städten, verpuffen trotz ansteigender Todeszahlen und voller Hospitäler die verhängten Ausgangsbeschränkungen zusehends. Weniger als die Hälfte der Menschen bleibt zuhause.
Das liegt auch an den von der Regierung versprochenen Hilfszahlungen von 100 Euro pro Person. Millionen Brasilianer stehen deshalb jeden Tag stundenlang vor Banken Schlange. Nahezu jeder vierte Brasilianer hat die "Stütze" beantragt. Besonders in den ärmsten Regionen sollen deshalb die Zustimmungswerte für Bolsonaro gestiegen sein.