Brasiliens Präsident verliert in der Corona-Krise an Macht

Militärs ziehen im Hintergrund die Strippen

In Brasilien irrlichtert Präsident Bolsonaro durch die Corona-Pandemie. Die Anzeichen mehren sich, dass hinter den Kulissen längst andere das Sagen haben - in einer Schlüsselstellung offenbar ein Ex-General.

Autor/in:
Thomas Milz
Jair Bolsonaro, Präsident von Brasilien / © Antonio Cruz (dpa)
Jair Bolsonaro, Präsident von Brasilien / © Antonio Cruz ( dpa )

Ist Brasiliens Präsident Jair Messias Bolsonaro rund fünfzehn Monate nach seinem Amtsantritt bereits am Ende? Der argentinische Investigativ-Journalist Horacio Verbitsky will erfahren haben, dass das Militär Bolsonaro entmachtet und den General Walter Souza Braga Netto als "operationalen Präsidenten" eingesetzt hat.

Dieser treffe alle wichtigen Entscheidungen "an Bolsonaro vorbei".

"Narrenfreiheit" statt Regierungsverantwortung

Anlass sei dessen wirre Amtsführung in der Corona-Krise. Verbitsky beruft sich auf ein Telefonat zwischen einem argentinischen und einem brasilianischen Militär. Das Erstaunlichste ist, dass Bolsonaro dem "institutionellen Putsch" angeblich zugestimmt hat, um einen "demokratischen Anschein" zu wahren.

Gleichzeitig habe Bolsonaro nun freie Hand, die Maßnahmen der eigenen Regierung in der Corona-Krise zu kritisieren, um seine Wählerbasis bei Laune zu halten. Also "Narrenfreiheit" statt Regierungsverantwortung.

Brasilianische Medien haben Verbitskys Theorie bisher ignoriert. Doch Beobachter sind sich einig, dass Bolsonaros Macht sinkt und der Einfluss des Militärs stärker wird. Nicht einmal während der Diktaturzeit (1964-1985) gab es derart viele Militärs an den Schaltstellen der Exekutive. Bolsonaro, der es bis zum Hauptmann brachte, hat zahlreiche Generäle zu Ministern gemacht. Auch sein Vize, Hamilton Mourao, ist ein ranghoher General.

General Braga Netto gilt als Pragmatiker. Im Jahr 2018 hatte er inmitten einer Sicherheitskrise die Regierungsmacht in Rio de Janeiro übertragen bekommen. In die neunmonatige Interventionszeit fallen sinkende Mordraten, aber auch eine Zunahme staatlicher Gewalt durch den Sicherheitsapparat. Bolsonaro hatte Braga Netto Mitte Februar zum "Chefe da Casa Civil" ernannt. Die Position ähnelt der des Kanzleramtschefs in Deutschland oder des Stabschefs im Weißen Haus.

Um den Anschein zu vermeiden, dass das brasilianische Militär nun auch diesen wichtigen Posten besetzt, hatte Braga Netto seine Pensionierung um fünf Monate vorgezogen. Deshalb trägt er nicht mehr die Armeeuniform, sondern einen Anzug. Zuletzt leitete er die Pressekonferenzen der Regierung zur Corona-Krise, wobei er Fragen, die ihm missfielen, abwürgte oder gar die Pressekonferenz kurzerhand für beendet erklärte.

Versöhnliche TV-Ansprache

Braga Netto soll auch hinter Bolsonaros erstaunlich versöhnlicher TV-Ansprache am vergangenen Dienstag stecken. Bis dahin war der Präsident eher durch seine verbalen Ausfälle gegen Bürgermeister und Gouverneure aufgefallen, die Ausnahmebeschränkungen verhängten.

Doch bereits am Mittwoch wütete Bolsonaro wieder gegen seine Gegner - und sogar die eigenen Minister. Das bekam unter anderen der Leiter des Gesundheitsressorts zu spüren. Luiz Henrique Mandetta folgt nicht Bolsonaros Wünschen, sondern den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation. Der Präsident ließ bereits mehrfach anklingen, den unbotmäßigen Minister entlassen zu wollen. Mandetta nutze die Corona-Krise, um sich "aufzuspielen".

Zuvor hatten Umfragen ergeben, dass Mandetta mehr als doppelt so beliebt ist wie Bolsonaro. Der Präsident drohte am Wochenende, alle Minister vor die Tür zu setzen, die sich zu "Stars" aufschwingen wollen.

Psychologen machen sich Gedanken

Derzeit diskutieren Psychologen offen über Bolsonaros psychische Gesundheit. Medienberichten zufolge bricht er vor seinen Mitarbeitern in Tränen aus und lässt im Präsidentengarten evangelikale Gruppen gegen das Coronavirus beten. Politische Beobachter halten den Präsidenten zunehmend für eine Marionette.

Ex-General Braga Netto soll sich unterdessen offen vor Gesundheitsminister Mandetta gestellt haben, um dessen Entlassung zu verhindern. Am Sonntag wurde eine Studie des Militärs bekannt, in der eine Beibehaltung der Ausgangsbeschränkungen empfohlen wird.

Die politische Isolierung Bolsonaros geht mittlerweile soweit, dass auch der Kongress ihn umgeht und lieber direkt die Minister konsultiert. Die Mehrheit der Brasilianer glaubt inzwischen, der Präsident störe bei der Bekämpfung des Coronavirus eher, als dass er hilft. Vergangene Woche sah sich Bolsonaro gar gezwungen, vor Journalisten klarzustellen, dass er immer noch der Präsident sei. Es klang wenig überzeugend.


Quelle:
KNA
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