Himmelklar: Das Klima gegenüber Geflüchteten hat sich stark verändert: 2015 haben noch klatschende Menschen Geflüchtete begrüßt. Heute erleben wir einen großen Rechtsruck. Wie erleben Sie das?
Pater Claus Pfuff SJ (von 2018 bis Ende Juni 2024 Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Deutschland): Zum einen stimmt es mich traurig, dass diese Entwicklung bei uns im Land stattgefunden hat. Auf der anderen Seite verstehe ich, dass diese Entwicklung so stattfindet, weil es uns nicht gelungen ist, die Strukturen zu schaffen, um die Menschen einzubinden und die Chancen und Fähigkeiten, die diese Menschen mitbringen, zu nutzen.
Ich erlebe das immer wieder bei uns. Je nachdem, wo jemand landet, sei es hier in Berlin oder sei es draußen auf dem Land in Brandenburg, haben sie so unterschiedliche Chancen: Da ist ein Azubi aus Brandenburg, der letztendlich keine Ausbildung anfangen kann. Er hat die C1-Prüfung (Sprachprüfung, d. Red.) gemacht und sagt, er wisse nicht mehr, was er tun soll.
Die Leute erleben aber nur, der kriegt Sozialhilfe oder kriegt Bürgergeld oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dann finden sie es natürlich ärgerlich – junge Menschen, die herumsitzen und nicht arbeiten.
Das ist sehr schade, weil die Leute sich nicht dafür interessieren, was die Hintergründe dafür sind, warum die Situation so ist. Von daher kann ich zum Teil verstehen, wenn ich nur diese vordergründigen Sachen sehe, dass ich sage, das will ich in meinem Land nicht haben und das will ich nicht unterstützen.
Himmelklar: Das heißt, der Grund, der dahintersteht, ist Desinformation?
Pfuff: Ja, zum einen Desinformation, aber auch Versagen von Behörden. Wenn zum Beispiel eine Zeugnisanerkennung zwei Jahre dauert, dann frage ich mich: Was macht der da?
Das ist ja etwas, was nicht vorstellbar ist. Es verhindert natürlich, dass Menschen, die zu uns kommen, arbeiten können, dass sie Ausbildungen anfangen können und dass sie sich zeigen können. Das macht mich traurig, weil ich denke, da kommen tolle Leute – und es klappt nicht, diesen Menschen eine Zukunft zu geben und die Kapazitäten, die sie mitbringen, auch zu nutzen.
Himmelklar: Kommt da manchmal Zweifel auf? Dass Sie denken: Bringt das überhaupt was?
Pfuff: Das ist ein Zweifel, den ich nicht zulasse, weil ich glaube, wenn ich an dieser Arbeit zweifle, dann kann ich sie nicht tun. Ich bin davon überzeugt, dass wir durch das, was wir machen, die Gesellschaft verändern und einen positiven Beitrag nicht nur für die Geflüchteten, sondern auch für die Gesellschaft leisten. Wenn ich dann sehe, da steht ein junger Mann aus Tschetschenien vor mir, den wir vor zwei Jahren ermutigt haben und er kommt plötzlich freudestrahlend, weil er der Beste in seiner Klasse als Parkettleger-Azubi ist, dann ist es ein tolles Erlebnis.
Ich denke mir: Schade, warum geben wir diese Chancen nicht vielen Menschen? Warum fahren Politiker in alle Welt und holen dort Kräfte zusammen, die dann hier eine Ausbildung machen, und wir haben sie vor der Türe und die dürfen es nicht machen? Das ist das, was so ein bisschen frustrierend ist – und wo wir versuchen, auch dagegen zu arbeiten.
Himmelklar: Unsere politischen Parteien sind auf jeden Fall unter Druck. Sie rutschen gerade merkbar nach rechts – und zwar alle. Die Ampelkoalition, aktuell also eine SPD-geführte Regierung, will das Asylrecht verschärfen.
Pfuff: Das, was ich auch so wahrnehme, ist, dass sie getrieben sind von rechts. Natürlich verunsichern sie dabei auch die Leute, die letztendlich einen anderen Kurs unterstützen möchten, weil ich gar nicht mehr weiß, was ich jetzt eigentlich wählen soll. Was soll ich von diesen Parteien halten, wenn sie plötzlich ganz anders reagieren und plötzlich diesem Rechtsruck nachgeben?
Himmelklar: Parteigrundsätze werden scheinbar gerade ausgehebelt. Was haben Sie denn gewählt?
Pfuff: Wir haben uns mit dem ganzen Team zusammengesetzt, weil auch unsere Azubis und unsere Mitarbeiter aus anderen Ländern mit dabei waren, und haben mal zusammen den Wahl-O-mat (Informationshilfe der Bundeszentrale für politische Bildung, d. Red.) gemacht. Es war dann schon interessant, bei uns kam "ÖDP" heraus. Ich habe die nie so im Blick gehabt, aber das fand ich interessant.
Wir haben uns dann mit dem Programm beschäftigt, und da ist noch einmal ein anderer Blick auf dieses Themengebiet Geflüchtete und auf Themengebiete, die wir für wichtig halten, dann gerichtet worden.
Ich fand interessant, dass die großen Parteien ziemlich schlecht abgeschnitten haben in den Fragen, die unser Team beschäftigen und bewegen.
Himmelklar: Die CDU, also die Partei, die das Christliche im Namen trägt, will ausnahmslos alle Schutzsuchenden in sichere Drittstaaten abschieben und ihnen nur noch dort Zugang zu Asylverfahren und Schutz zu bieten.
Bekommen Geflüchtete etwas mit von dieser Abschiebungsdebatte, die gerade geführt wird?
Pfuff: Ich merke, dass viele Angst haben. Sie kommen, weil sie Angst haben und nicht wissen, was sie noch tun können. Sie merken einfach, da sind so unterschiedliche Signale und keine Klarheit.
Bei einem Podiumsgespräch mit einem Politiker stand ein junger Mann auf, der in Brandenburg eine Ausbildungsstelle als LKW-Mechatroniker bei der Stadtreinigung in Berlin hätte. Der hat versucht, Deutsch zu lernen und hat auch wirklich ein Deutsch-Niveau. Dann fragte er, was er noch tun solle. Dort werde gesagt, sie könnten und kriegen alles. Er darf aber nicht, weil die Ausländerbehörde ihm die ganzen Papiere weggenommen hat. Er darf also seine Ausbildung nicht anfangen. Dann finde ich, warum sollte er nicht anfangen dürfen? Die suchen LKW-Mechatroniker. Warum darf der junge Mann das nicht machen?
Da merke ich schon, dass dieser Umgang so gespalten ist. Die Menschen sind natürlich verunsichert, weil er jederzeit abgeschoben werden kann, aber hier auch etwas leisten könnte. Diese Debatte hilft nicht weiter. Und ob das möglich ist, in sicheren Drittstaaten ein Asylverfahren durchzuführen? Ich weiß nicht, ob das möglich ist.
Himmelklar: Ihre Arbeit beim Jesuitenflüchtlingsdienst läuft auf zwei Ebenen. Sie führen Gespräche mit der Politik und Sie beraten Geflüchtete direkt. Wenn Sie diese konkreten Beispiele in die Politik tragen, hört man das noch?
Pfuff: Ich denke, dass es verschiedene Politiker gibt, die das hören. Ich glaube aber, dass das jetzt Angriffe oder Beleidigungen, die gegenüber Politikern von verschiedenen Gruppierungen in Deutschland passieren, es ihnen natürlich gerade schwer machen, die Stimme zu erheben und in der Öffentlichkeit sich zu etwas anderem zu bekennen.
Das finde ich schade, weil letztlich bräuchten wir Stimmen, die dastehen und sagen: Moment mal, Leute, was da gerade geht, kann so nicht sein. Das verletzt unsere Rechtsstaatlichkeit. Das verletzt das, was wir im Grundgesetz haben, dass jeder Mensch immer auch eine Würde hat und dass diese Würde zu achten ist und dass wir würdevoll, respektvoll mit den Menschen umgehen.
Ich glaube, es gibt mehr Politiker, die das schon hören. Aber wer traut sich, sich hinzustellen und dazu Farbe zu bekennen? Das vermisse ich ein bisschen.
Himmelklar: Was gibt Ihnen Hoffnung?
Pfuff: Mit ganz viel Hoffnung erfüllt mich, dass kleine Dinge Großes bewirken können. Da vertraue ich darauf, dass das, was wir hier machen, wächst und sich irgendwann mal zeigt. Ich bin da ganz großer Fan von den Sämann-Gleichnissen im Evangelium, wo einfach der Samen ausgesät wird und man weiß nicht, wie es wächst, wann es wächst und wann es zur Ernte kommt.
Ich glaube, das ist etwas, was mir Kraft gegeben hat in dieser Arbeit: Die Hoffnung, dass das Kleine, was ich tue, Großes bewirkt. Das sage ich immer auch meinen Mitarbeitern. Es ist manchmal wichtiger, mit jemandem eine halbe Stunde einen Kaffee zu trinken und zuzuhören, als einen Antrag auszufüllen. Wenn letztendlich die Person nicht wirklich den Eindruck hat, sie wird wahrgenommen und gesehen, sie wird hier gut behandelt und kriegt hier die richtigen Informationen, dann laufen die anderen Sachen oftmals ins Leere.
Ich glaube, das ist etwas, was auch meine Mitarbeiter mitbekommen haben, dass diese Zeit, von der man vielleicht sagt, es sei "vergeudete Zeit", letztendlich fruchtbare Zeit ist. Das gibt mir Hoffnung, dass wirklich so dieser Kontakt- und dieser Beziehungsaufbau wächst und letztlich auch unser Land verändert.
Das Interview führte Verena Tröster.