Jesuiten-Flüchtlingsdienst kritisiert Bundesratsbeschluss

Gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge

Der Jeusiten-Flüchtlingsdienst kritisiert den jüngsten Bundesratsbeschluss als Kuhhandel zu Lasten Dritter. Es gebe eine Aufspaltung in z.B. erwünschte syrische Kriegsflüchtlinge und unerwünschte verfolgte Roma aus Serbien.

Roma-Siedlung in Belgrad (dpa)
Roma-Siedlung in Belgrad / ( dpa )

domradio.de: Sind Sie sehr enttäuscht über die Entscheidung?

Heiko Habbe (Jurist beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst): Ich persönlich bin sehr enttäuscht, dass gerade ein Bundesland, in dem die Grünen den Ministerpräsidenten stellen, der Union letztlich die Hand reicht, um eines der am meisten umstrittenen Elemente des schäbigen Asylkompromisses von 1993 jetzt richtig scharf zu schalten.

domradio.de: Schauen wir uns mal an, was das für die Flüchtlinge aus Serbien, Mazedonien und Montenegro heißt. Können Sie demnächst einfach so in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden können?

Habbe: Nein, das ist ja die ganz große Lüge dieses Gesetzgebungsvorhabens. Die Asylverfahren werden dadurch keinen Deut schneller und damit wird auch die Aufenthaltsbeendigung keinen Deut schneller. Es muss auch in Zukunft einzeln geprüft werden und es wird wie bisher sein, dass ein Großteil der Menschen die Ablehnung als offensichtlich unbegründet bekommt.

Ein Schuh wird erst daraus mit einem zweiten Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium, der schon bekannt ist, aber noch nicht im Bundestag ist. Da ist vorgesehen, dass jeder, der aus einem sicheren Herkunftsland kommt, deswegen als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, in Zukunft pauschal etikettiert wird als Sozialbetrüger. Mit der Folge, dass er dann auch ein Aufenthaltsverbot erhält. Erst das hat eine dramatische Wirkung. Denn wir hebeln die Visa-Freiheit mit diesen Staaten aus.

Wir tun das Gleiche, was die Serben tun. Die Serben sagen den Roma: ihr seid nicht verfolgt, wir verbieten euch die Ausreise, wir nehmen euch die Pässe weg. Wir tun spiegelbildlich etwas Ähnliches. Wir sagen: ihr seid nicht verfolgt, wir wollen euch hier nicht haben. So nehmen wir mit Serbien gemeinsam das Grundrecht, seine Heimat zu verlassen und Schutz zu suchen, in die Zange.

domradio.de: Sie haben es gerade angesprochen, die meisten Menschen, die aus den genannten Staaten nach Deutschland kommen sind Roma. Schon bisher wurden sie hier bei uns vor allem als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft. Wie schätzt denn der Jesuiten-Flüchtlingsdienst deren tatsächliche Situation in Serbien, in Mazedonien und in Montenegro ein?

Habbe: Diese Diffamierung gerade der Roma als Armuts- oder Wirtschaftsflüchtlinge ist nun wirklich beschämend. Wenn man die Berichte von Menschenrechtsorganisationen aus diesen Ländern aufmerksam nimmt, dann lesen Sie, dass gerade diese Minderheit, die die am schärfsten ausgegrenzte Minderheit eigentlich in ganz Europa ist, dass sie in diesen Ländern in besonderer Weise Risiko läuft, dass ihre Angehörigen gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt sind, dass Frauen und junge Mädchen vergewaltigt werden, dass die Kinder keine vernünftige Schulausbildung bekommen und damit später die Erwachsenen auf dem Arbeitsmarkt marginalisiert werden und dass auch kein vernünftiger Zugang zum Gesundheitssystem eingeräumt wird.

domradio.de: Die Entscheidung ist merkwürdig, wenn man bedenkt, dass seit Dezember 2013 auch Diskriminierung als Fluchtgrund anerkannt ist. Wie geht das zusammen?

Habbe: Das geht aus unserer Sicht gar nicht zusammen. Wir erkennen erstmals an, dass eine Kumulierung von Diskriminierung Verfolgung sein kann, Schutz notwendig machen kann und anstatt dass wir uns nun fragen, was heißt das, wie müssen wir unsere Asylverfahren gestalten, um eine solche Diskriminierung auch zu erkennen. Wir haben ja keine Instrumente dafür, wir haben nicht das ausgebildete Personal dafür, wir haben nicht die Kultur, in der man anerkennen würde, ja, auch die Verletzungen solcher sozialen und kulturellen Rechte sind ein Fluchtgrund.

Statt dass wir das alles angehen, ziehen wir einen Federstrich drunter und sagen, diese Leute wollen wir schon mal nicht hier haben.

domradio.de: Was bedeutet diese Entscheidung ganz allgemein für die Asylkultur im Land?

Habbe: Im Grunde heißt es, dass wir wieder einmal statt großzügig zu sein, statt menschenfreundlich zu sein, hier den Schwächsten den Stempel aufdrücken, unerwünscht zu sein. Dass wir wieder schauen, wie können wir vor allen Dingen, wie der neue EU-Migrationskommissar das ausgedrückt hat, unsere Gesellschaften vor den Flüchtlingen schützen.

Wir haben großes Mitleid mit unseren Kommunen, aber kein Mitleid mit den Menschen, die aus dem Elend und aus der Verfolgung geflohen sind an dieser Stelle.

domradio.de: Gleichzeitig sieht die Änderung des Asylrechts vor, dass die Residenzpflicht abgeschafft wird, dass sich Flüchtlinge also nicht mehr per Gesetz an einem bestimmten Ort aufhalten müssen und der Zugang zum Arbeitsmarkt soll erleichtert werden - diesen Beschluss dürften Sie begrüßen. Würden Sie sagen, dass mit dem Bundesratsbeschluss so eine Art Klasseneinteilung unter Flüchtlingen Vorschub geleistet wird - in "gute, weil berechtigte" Flüchtlinge - und "schlechte, nicht berechtigte Flüchtlinge" - auf Kosten der Roma aus den drei betroffenen Balkanstaaten?

Habbe: Zuerst muss man genau hinsehen, zumindest das, was gestern durchgesickert ist, was die Union den Grünen für ihre Zustimmung angeboten hat, ist nicht so weitgehend, wie Sie es gerade gesagt haben. Die Begrenzungen zum Arbeitsmarkt sollen nur mit Verzögerung greifen, außerdem soll die Regelung befristet sein und auf die Lockerung der Residenzpflicht soll wieder nur ganz bestimmten Gruppen zu Gute kommen. Es wird also längst nicht so vielen nutzen, wie die Grünen sich vielleicht erhoffen. Selbstverständlich wünschen wir uns Verbesserung auf diesem Feld.

Aber man muss sagen, ein Kuhhandel zu Lasten Dritter, der die Spaltung in gute, erwünschte Flüchtlinge wie zum Beispiel die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und auf der anderen Seiten eben die unerwünschten, die, die wir hier nicht so gerne haben wollen, vorantreibt - das ist ein Kuhhandel zu Lasten Dritter, den man so nicht machen sollte.

Das Interview führte Hilde Regeniter


Quelle:
DR