Jesuitenpater Alt verteidigt Proteste von Klimaaktivisten

Missstände nicht mehr hinnehmen

Ist ziviler Ungehorsam bei den Klimaprotesten erlaubt und wenn ja, wie weit darf dieser gehen? Klimaaktivist Jörg Alt ist überzeugt, dass dies angesichts der momentanen Lage das angemessene Protestmittel ist. Ein Gastkommentar.

Autor/in:
Jörg Alt
Aktivisten der Gruppe Die letzte Generation haben sich mit ihren Händen auf einen Zebrastreifen auf der Südallee, einer Zufahrt zum Frachtbereich vom Münchner Flughafen, geklebt / © Matthias Balk (dpa)
Aktivisten der Gruppe Die letzte Generation haben sich mit ihren Händen auf einen Zebrastreifen auf der Südallee, einer Zufahrt zum Frachtbereich vom Münchner Flughafen, geklebt / © Matthias Balk ( dpa )

Wenn ich meine Vorträge im Land halte, erschrecke ich oft: Nur wenige verstehen, mit welch hoher wissenschaftlicher Gewissheit wir in eine Katastrophe rasen. Dabei gibt es schon jetzt, bei 1,2 Grad Erderwärmung über dem vorindustriellen Zeitalter, Dürren, Fluten und Stürme mit zahlreichen Toten und Milliarden Schäden.

Der Weltklimarat sagte uns, dass die Treibhausgasemissionen spätestens ab 2025 zu sinken beginnen und bis 2030 nahezu halbiert werden müssen, wenn wir die Klimakatastrophe im beherrschbaren Rahmen halten wollen. Aktuell steigen die Emissionen weiter und wir steuern auf ca. 3 Grad globale Erwärmung zu. Das bedeutet: Hunger für und Vertreibung von Milliarden.

Das ist seit Jahrzehnten bekannt, Publikationen, Demonstrationen, Petitionen und anderes haben daran nichts geändert. Wir können aber so nicht weitermachen: Denn hier geht es um Naturgesetze, denen es herzlich egal ist, wenn unsere Politiker 2045 als Ziel für ein klimaneutrales Deutschland erachten. Schon jetzt zeigt das Weltklimasystem Instabilität, jede weitere Destabilisierung könnte unumkehrbare Folgen für tausende von Jahren haben. Keine Maschine der Welt könnte das "reparieren". Oder wie will man den grönländischen, arktischen oder antarktischen Eispanzer "zurückbauen", wenn die Temperaturen dort immer öfters über Null liegen? Stattdessen müssten wir uns auf meterhoch ansteigende Meeresspiegel einstellen.

Erstes Klimapaket der Bundesregierung unzureichend

Ich schreibe dies so ausführlich, weil man dies verstehen muss, um zu verstehen, warum die Letzte Generation Straßen blockiert, denn vor diesem Hintergrund ist ziviler Ungehorsam und ziviler Widerstand das angemessene Protestmittel.

Die Fridays begannen damit, indem sie den Unterricht schwänzten und stattdessen demonstrierten. Ergebnis: das erste Klimapäckchen der Bundesregierung, das das Bundesverfassungsgericht prompt als unzureichend zerriss. Es kam zur Nachbesserung mit Reduktionsverpflichtungen für die Ministerien, an die sich einige aber nicht halten, allen voran das Bundesverkehrsministerium. Dabei würde ein Tempolimit bis zu 8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags bescheinigt Minister Wissing Gesetzesbruch. Aber statt Wissing zu zwingen, seinen Job zu machen, will die Bundesregierung die Sektorvorgaben des Klimagesetzes aufweichen, damit Minister Wissing auf diese Weise auf den Boden des Gesetzes zurückkehren kann.

Nichts erzeugt mehr Aufmerksamkeit

Das ist der Kontext, innerhalb dessen sich die Letzte Generation dem fossilen Weiter-So in den Weg stellt und die Bundesregierung bewegen möchte, auf den Boden des Pariser Klimavertrags, des Grund- und Klimagesetzes zurückzukehren. Sie hat viele Protestmethoden: Feueralarm im Bundestag, Farbattacken und Kunstöl vor Ministerien, Konzernzentralen und Banken, Essen stehlen, Pipelines abdrehen, Aktionen vor Kunstwerken (bei denen noch nie ein Kunstwerk beschädigt wurde!) usw. Aber nichts erzeugt mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Diskussion als Straßenblockaden.

Der Nürnberger Jesuitenpater Jörg Alt blockiert eine Straße / © Theo Klein (epd)
Der Nürnberger Jesuitenpater Jörg Alt blockiert eine Straße / © Theo Klein ( epd )

Die sind nicht nur eine symbolisch ausdrucksstarke, sondern auch eine sachangemessene Protestform gegen das fossile Weiter-So: Der Mobile Individualverkehr ist ein zentraler Baustein der erforderlichen Mobilitätswende, während öffentlicher Personennahverkehr von den Blockaden in aller Regel nicht tangiert wird – der Protest verweist also zugleich auf vorhandene und zumutbare Alternativen. Würden die blockierten Autos den Motor ausschalten, wäre zudem ein Beitrag zur CO2-Reduktion geleistet. Die Blockaden sind angekündigt und stets gibt es eine Stelle, die Rettungswägen passieren können. Wenn wir heute die Klimakatastrophe, trotz Corona, Inflation, Energiekrise und Ukrainekrieg, als Top-Thema haben, dann verdanken wir es den Straßenblockaden.

Dabei ist Gewaltfreiheit das Herzstück des Protests der Letzten Generation. Der Ausdruck "Gewalt" ist rechtlich jenen Aktionen vorbehalten, die Leib und Leben von Menschen gefährden. Mir ist kein Fall bekannt, wo ein Mensch durch Aktionen der Letzten Generation ums Leben gekommen wäre. Behauptungen dazu gibt es zwar oft, konnten aber bislang nicht belegt werden. Manchmal sind Aufklärungen langwierig, wie der Berliner Fall einer Fahrradfahrerin, die von einem Betonmischer überfahren wurde. Sind sie aber abgeschlossen, erhält ihr Ergebnis nie eine vergleichbar öffentliche Berichterstattung wie die vorangegangene Hetzjagd.

Globaler Süden leidet unter Verhalten von Globalem Norden

Umgekehrt könnte man ja auch einmal fragen, wie viele Menschen durch Autoverkehr, "normale Staus" oder das alltägliche Fehlverhalten von Autofahrern schon ums Leben gekommen sind. Oder, noch deutlich gravierender, welch katastrophale Auswirkungen die Klimakatastrophe im Globalen Süden schon heute hat, die durch unsere Weigerung, Treibhausgase sofort und wo möglich einzusparen, immer weiter befeuert wird.

Hier war im Übrigen mein persönlicher Kipppunkt: Als ich Jesuiten und Projektpartnern im Globalen Süden von Straßenblockaden berichtete, waren die sofort begeistert: Endlich, so sagte etwa P. Charles Chilufya, der Direktor des Büros für soziale und ökologische Fragen bei der Jesuitenkonferenz für Afrika und Madagaskar, spüren Menschen im Globalen Norden wenigstens kurz und symbolisch eine Disruption ihres Alltags. Dabei ist ein wenig Stau kein Vergleich mit den Disruptionen, die die Klimakatastrophe im Globalen Süden bereits darstellt. Jedenfalls dankten Charles und andere der Letzten Generation, dass sie mit diesen Mitteln auf die bereits bestehende Katastrophe im Globalen Süden hinweisen.

Ich denke, jede und jeder hat seine eigene Rechtfertigung, wenn er sich an Aktionen zivilen Widerstands beteiligt. Keiner macht das gerne, die Strafen sind empfindlich und ich habe nicht wirklich Lust auf Ersatzfreiheitsstrafe, weil ich kein Einkommen habe. Aber auch hier meinten meine Gesprächspartner im Globalen Süden: Ihr im Globalen Norden habt das Problem verursacht, ihr habt davon profitiert, wir erleiden nur den Schaden. Bringt das gefälligst in Ordnung. Und denk dran: Wenn Du ins Gefängnis musst, um wieviel besser selbst das ist als das Leben in einem Flüchtlingslager.

Missstände durch zivilen Ungehorsam abgewendet

Zu allen Zeiten gab es Menschen, die irgendwann Missstände nicht mehr hinnehmen wollten und deren halsstarrige Bockigkeit unübersehbar deutlich machten, dass das, was eine Gesellschaft für normal hält, nicht unbedingt gut ist. So kam es zu "moralischen Revolutionen", auf einmal galten neue Leitwerte: So wurden Sklaven befreit, Demokratie mit Frauenwahl-, Sozial- und Bürgerrechten erkämpft und vieles mehr.

Auch heute geht es nicht nur darum, Katastrophen abzuwenden, sondern zugleich eine bessere, sozial gerechtere und ökologisch nachhaltigere Gesellschaft zu bauen, in der alle Menschen in Glück und Zufriedenheit leben können. Wir haben die Ressourcen, die Technik und das Geld. Und die Bevölkerung ist bereit, den Wandel mitzutragen. Das hat der Bürgerrat Klima bewiesen – weshalb die aktuellste Forderung der Letzten Generation die nach einem solchen Gesellschaftsrat ist, dieses Mal mit der Fragestellung, wie Deutschland bis 2030 von fossilen Energieträgern frei werden kann. Das ist nicht überzogen, das ist nicht undemokratisch, das ist machbar.

Was ich mir nicht verkneifen kann: Wenn alle, die für "mehr Klimaschutz" sind, sich genauso energisch für die Umsetzung machbarer Forderungen durch die Politik einsetzen würden, wie sie die Blockaden der Letzten Generation kritisieren, dann würde die sozial-ökologische Transformation vorankommen, dann könnte sich die Letzte Generation auflösen und ihre Mitglieder zurückkehren zu ihren Familien, ihren Studien und ihren Jobs.

Quelle:
DR