"Jugend rettet" verweigert Verhaltenskodex der italienischen Regierung

"Kodex zur Behinderung von Lebensrettung"

Die italienische Regierung möchte jetzt, dass Hilfsorganisationen im Mittelmeer einen Verhaltenskodex für zivile Seenotrettung unterzeichnen. "Jugend rettet" weigert sich, berichtet ihr Sprecher Julian Pahlke im domradio.de-Interview.

Pauline Schmidt (li.) vom Verein "Jugend rettet" (Archiv) / © Hans-Christian Wöste (dpa)
Pauline Schmidt (li.) vom Verein "Jugend rettet" (Archiv) / © Hans-Christian Wöste ( dpa )

domradio.de: Warum haben sie diesen Verhaltenskodex nicht unterzeichnet?

Julian Pahlke (Pressesprecher von Jugend rettet): Es ging uns vor allem um zwei Punkte. Einmal ging es natürlich um die Polizeipräsenz bei uns an Bord – auch außerhalb der Hoheitsgewässer Italiens, also in internationalen Gewässern – das ist für uns so nicht machbar. Wir sind eine humanitäre Organisation, die ganz klar unabhängig ist und wir möchten weder die Crew, noch den Verein und auf gar keinen Fall die Geretteten nach der Rettung der Strafverfolgung aussetzen.

domradio.de: Würde Polizeipräsenz an Bord bedeuten, dass die Menschen, die an Bord kommen, sofort unter Polizeischutz sind?

Pahlke: Die sind nicht unter Polizeischutz, die sind sofort unter Beobachtung der Polizei, denn es geht bei diesem Paragraphen um Untersuchungen, die in Richtung der Schlepper zielen sollen. Das hinterfragen wir. Die Operation "Sophia" der Europäischen Union hat das gleiche Ziel und da nur sehr mäßigen Erfolg auf dem Gebiet. Der zweite Punkt warum wir nicht unterschrieben haben ist, dass die Schiffe die Menschen nach Italien bringen dürfen, aber nicht auf See an andere übergeben dürfen. Das ist für uns, mit einem der kleinsten Schiffe in der Flotte, einfach nicht machbar. Zudem werden wir in dem Einsatzgebiet immer abgezogen. Wir sind eine der Organisationen, die immer dort ist und wirklich Erste Hilfe leisten kann und genau als solche verstehen wir uns auch.

domradio.de: Das heißt, wer diesen Verhaltenskodex unterzeichnet, verpflichtet sich auch die Flüchtlinge an Land zu bringen und nicht an größere Seenotrettungsschiffe auf offenem Meer zu übergeben. Wäre die Konsequenz dann, dass Sie mehr damit beschäftigt sind an Land und wieder raus zu fahren, als Menschen, die noch draußen sind, an Bord holen zu können?

Pahlke: Genau das wäre die Konsequenz. Die Kapazitäten wären dann also um ein vielfaches minimiert und das führt nicht zu mehr Überlebenden oder einer besser koordinierten Rettung, sondern schlichtweg zu mehr Toten.

domradio.de: Es gibt mehr Organisationen, die diesen Verhaltenskodex der italienischen Regierung nicht unterschrieben haben. Was bedeutet das für Sie, dass Sie nicht unterschrieben haben? Heißt das, dass Ihnen jetzt der Zugang zu italienischen Häfen verwehrt werden kann?

Pahlke: Ja, ganz so einfach ist das nicht. Da gibt es noch größere rechtliche Hürden. Was es für Konsequenzen aus Italien gibt, wissen wir nicht. Wir haben den Italienern aber angeboten, auch wenn wir diesen "Code of Conduct" nicht unterschreiben, auch weiterhin zu verhandeln. Allerdings werden wir das jetzt mit Hilfe eines neutralen Mediators tun. Da haben wir zum Beispiel die International Maritim Organisation vorgeschlagen. Die kann man als Dachverband der internationalen Seeschifffahrt verstehen.

domradio.de: Eine gute Zusammenarbeit ist wichtig für Ihre Arbeit oder?

Pahlke: Auf jeden Fall. Die haben wir auch sehr geschätzt. Das haben wir auch dem Innenministerium gestern beim Treffen gesagt. Wir haben Ihm das auch noch einmal schriftlich bestätigt. Die Zusammenarbeit, vor allem mit der Seenotleitung in Rom, ist ganz großartig. Es gibt eine sehr gute Kommunikation und natürlich sind wir darauf angewiesen, aber am Ende des Tages sind es die Menschen in Seenot, die darauf angewiesen sind.

domradio.de: Italien braucht Hilfe bei der Bewältigung dieses Problems und legt deshalb diesen Seenot-Kodex vor. Es gibt Organisationen, die nennen den Kodex, den "Kodex zur Behinderung von Lebensrettung". Würden Sie den auch so nennen?

Pahlke: Das ist schon eine ziemlich provokante Äußerung. Wir glauben nicht, dass der Kodex das Leben oder das Überleben auch nur eines Menschen irgendwie bessert oder sichert, insofern kann man sich dem mit geringem Vorbehalt mit Sicherheit anschließen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR