Justitia et Pax bewertet Waffenstationierung in Deutschland

"Wir werden politische Phantasie brauchen"

"Das Prinzip Hoffnung wird uns vor Putins Russland nicht schützen": So rechtfertigt Außenministerin Baerbock Waffenstationierungen in Deutschland. Jörg Lüer, Geschäftsführer von Justitia et Pax, sieht das differenzierter.

Autor/in:
Carsten Döpp
Die USA wollen erstmals seit dem Kalten Krieg wieder Waffensysteme in Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen.  / © Petty Off 2. Cl Zachary Grooman/U.S. Navy via DVIDS (dpa)
Die USA wollen erstmals seit dem Kalten Krieg wieder Waffensysteme in Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen. / © Petty Off 2. Cl Zachary Grooman/U.S. Navy via DVIDS ( dpa )

DOMRADIO.DE: Hoffnung ist ja eigentlich ein Grundprinzip des Christentums. Was sagt das über unsere gesellschaftliche Lage aus, wenn wir uns im Konflikt mit Russland erst mal davon verabschieden?

Außenministerin Baerbock verteidigt Waffenstationierung

Außenministerin Annalena Baerbock hat die Vereinbarung mit den USA zur Stationierung weitreichender amerikanischer Waffen in Deutschland verteidigt. "Heute Außenpolitik zu machen, bedeutet, zu erkennen: Das Prinzip Hoffnung wird uns vor Putins Russland nicht schützen", schreibt die Grünen-Politikerin in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag". 

Annalena Baerbock Bundesministerin des Auswärtigen / © Britta Pedersen (dpa)
Annalena Baerbock Bundesministerin des Auswärtigen / © Britta Pedersen ( dpa )

Jörg Lüer (Geschäftsführer Justitia et Pax): Sagen wir so: Das, was Frau Baerbock meint, ist sicherlich verständlich. Die Formulierung selber ist letztlich auch ein vulgäres Verständnis von Hoffnung. Es darf natürlich nicht sein, dass man Hoffnung nur nutzt, um sich über die harte Realität der Gewalt hinwegzuträumen. 

Aber wir nehmen im Moment wahr, dass sich die Herzen, um es mit Heine zu sagen, ein wenig zusammenziehen wie Leder in der Kälte. Hoffnung schwindet. Und das ist gefährlich, weil das unsere Horizonte, auch unsere politische Phantasie, die wir brauchen werden in dieser voraussichtlich sehr langen Auseinandersetzung, mindert. Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn die Hoffnung schwindet.

DOMRADIO.DE: Auch der Frieden ist ja eine Grundidee des Christentums. Jetzt gibt es Menschen, auch Christen, die auf eine Kapitulation der Ukraine pochen und damit Frieden schaffen wollen. Ich vermute, so einfach ist das auch nicht für Christen, oder?

Jörg Lüer

"Ich halte das für einen Selbstbetrug."

Lüer: Ich halte das für einen Selbstbetrug - einen nachvollziehbaren, aber am Ende ein Selbstbetrug, bei dem die anderen den Preis dafür zahlen sollen, dass wir es nicht mehr aushalten uns der Realität der Gewalt zu stellen, die im wörtlichen Sinne gar nicht direkt vor unserer Haustür steht. Ich halte das nicht für wirklich friedfertige Haltung, sondern ich halte das für ein Vermeidungsverhalten, was dazu führt, dass das Problem am Ende des Tages größer wird.

DOMRADIO.DE: Ist es denn aus christlicher Sicht zu rechtfertigen, Tötungswaffen zum eigenen Schutz oder zur Abschreckung bereitzustellen? Also auf lange Sicht wird das ja nicht zum Frieden führen, sondern erhöht womöglich eher noch das Risiko einer Eskalation.

Jörg Lüer

"Natürlich werden Waffen keinen Frieden schaffen, aber der Realität der Gewalt muss auch entgegengetreten werden."

Lüer: Die christliche Friedenslehre ist da ziemlich klar. Sie weiß immer um die Ambivalenz auch menschlicher Existenz in dem Ganzen. Natürlich werden Waffen keinen Frieden schaffen, aber der Realität der Gewalt muss auch entgegengetreten werden. Und paradoxerweise ist es oft so, dass Abschreckung dazu dienen kann, ein Weniger an Gewalt möglich zu machen. Wir müssen die Kernperspektive entwickeln, die auf eine Überwindung von Gewalt hinzielt. Und das ist eine zutiefst christliche Perspektive. 

Das kann bisweilen in einer tragischen Form Gewalthandeln mit einschließen. Da ist, glaube ich, die christliche Lehre sehr stark. Wir dürfen uns dabei nichts vormachen, dass dieses Gewalthandeln dann etwas Ritterliches, Schönes wäre. Gewalt ist toxisch, egal zu welchem Zweck. Aber manchmal ist es wie die Chemotherapie: das bessere Mittel, um ein geringeres Level an Gewalt zu ermöglichen.

Russische Soldaten marschieren zum Roten Platz, um an einer Militärparade zum Tag des Sieges in Moskau, Russland, am Dienstag, den 9. Mai 2023 / © Alexander Zemlianichenko/AP +++ dpa-Bildfunk +++ (dpa)
Russische Soldaten marschieren zum Roten Platz, um an einer Militärparade zum Tag des Sieges in Moskau, Russland, am Dienstag, den 9. Mai 2023 / © Alexander Zemlianichenko/AP +++ dpa-Bildfunk +++ ( dpa )

DOMRADIO.DE: Seit Jahrzehnten sind amerikanische Atomwaffen in Büchel etwa 100 Kilometer von Köln stationiert. Warum gibt es gerade jetzt diese große Debatte?

Lüer: Ich glaube, es gibt verschiedene Ebenen bei dem Ganzen. Meine Generation ist mit dem NATO-Doppelbeschluss und diesen Dingen großgeworden. Das war unsere politische Sozialisierungsbedingung. Da läuft es einem schon kalt den Rücken runter, wenn Waffen stationiert werden. 

Jörg Lüer

"Es ist ein beunruhigendes Zeichen der Entwicklung."

Aber die Stationierungsankündigung zum jetzigen Zeitpunkt ist auch politische Kommunikation auf Russland hin und die ergibt durchaus Sinn. Natürlich wäre viel schöner für uns, wenn wir so weitermachen könnten wie bisher. Aber wir müssen uns dieser Realität stellen, dass wir es mit einem ausgesprochen aggressiven Nachbarn zu tun haben, der Russischen Föderation, dem von vornherein die Grenzen im Sinne von Abschreckung aufgezeigt werden müssen. Es ist ein beunruhigendes Zeichen der Entwicklung.

Das Interview führte Carsten Döpp. 

Deutsche Kommission Justitia et Pax

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax (Gerechtigkeit und Frieden) wurde 1967 gegründet und versteht sich als Forum der katholischen Einrichtungen und Organisationen, die im Bereich der internationalen Verantwortung der Kirche in Deutschland tätig sind. Justitia et Pax ist deren gemeinsame Stimme in Gesellschaft und Politik und damit Akteurin des politischen Dialogs. Darüber hinaus ist die Deutsche Kommission Bestandteil eines weltweiten Netzwerkes nationaler und regionaler Justitia-et-Pax-Kommissionen.. (Justitia et Pax)

Justitia steht für Gerechtigkeit  / © Daniel Reinhardt (dpa)
Justitia steht für Gerechtigkeit / © Daniel Reinhardt ( dpa )
Quelle:
DR