Justiz enttäuscht bei Aufarbeitung von Dillinger-Fall

Viele Fragezeichen

Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat Dokumente aus dem Besitz des Priesters Edmund Dillinger vernichten lassen. Der Vorgang wirft Fragen auf. Versagt die Justiz bei der Aufarbeitung von Missbrauch im Umfeld der Kirche?

Autor/in:
Anna Fries
Akten auf einem Tisch / © Julia Steinbrecht (KNA)
Akten auf einem Tisch / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der Vorwurf klingt so ungewöhnlich wie brisant: Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat Material aus dem Besitz von Edmund Dillinger vernichten lassen. Handelt es sich um Beweismaterial für Missbrauchstaten? Oder um unbedeutende Unterlagen? Der zuletzt im Saarland lebende Priester aus dem Bistum Trier steht im Verdacht, jahrzehntelang Jugendliche und junge Erwachsene nackt fotografiert und missbraucht zu haben. Die Fotos und Dokumente hätten zumindest Hinweise für Betroffene und die kirchliche Aufarbeitung enthalten können.

So steht die Frage im Raum, ob das Vorgehen der Staatsanwaltschaft unbedacht war, von Unfähigkeit zeugt oder möglicherweise kriminell war. Inzwischen liegt eine Anzeige gegen die Staatsanwaltschaft vor.

Aufarbeitung von Missbrauch im kirchlichen Umfeld nicht gewachsen?

Der Neffe des Priesters prüft dienstrechtliche Schritte gegen die Behörde. Der Betroffenenverein Missbit vermutet, dass die saarländischen Ermittlungsbehörden der Aufarbeitung von Missbrauch im kirchlichen Umfeld nicht gewachsen sind.

Seit Wochen und Monaten beschäftigt der Fall Kirche und Staat. 2022 starb der Priester. Sein Neffe fand im Nachlass tausende Fotos, wandte sich damit zunächst ans Bistum Trier und im April an die Medien. Vermutet werden Taten des Priesters auch im Ausland, denn Dillinger war international vernetzt und Mitgründer einer Afrika-Hilfsorganisation. Wenig später stand bei dem Neffen selbst die Polizei vor der Tür. Der Vorwurf: Er habe kinderpornografisches Material nicht der Polizei übergeben oder vernichtet.

Ermittlungen gegen Neffen eingestellt

Befasst mit dem Fall sind die Staatsanwaltschaften Mainz und Saarbrücken. Die Mainzer ermittelten gegen den Neffen, stellten das Verfahren in der vergangenen Woche aber wegen geringer Schuld ein. In der Begründung heißt es, der Neffe habe die Bilder ohne erkennbare sexuelle Motivation besessen, um sie für eine Aufarbeitung des vermuteten Missbrauchs zur Verfügung stellen zu können.

Die Mainzer Behörde verfügt über die Bilder, die der Neffe aus dem Haus des Priesters mitnahm. 4.385 Fotos wertete die Staatsanwaltschaft eigenen Angaben zufolge aus, darunter Dias und Papierfotos. Kein Bild enthält laut Staatsanwaltschaft kinderpornografische Darstellungen. Zehn Aufnahmen zeigten aber strafrechtlich relevante jugendpornografische Inhalte. Weitere zwölf Fotos seien im Grenzbereich zu Jugendpornografie einzuordnen. Was mit dem Material passiert, sei noch nicht entschieden. Zuvor werde über einen Antrag auf Akteneinsicht der kirchlichen Sonderermittler entschieden, so die Mainzer Behörde.

Im Vergleich dazu fällt das vollkommen andere Vorgehen der Saarbrücker Kollegen auf. Dort wurden Fakten geschaffen und das Material in weiten Teilen verbrannt. Ermittler hatten im April das Privathaus des Priesters nach Hinweisen "auf etwaige konkrete noch lebende Tatbeteiligte an etwaigen konkreten verfolgbaren Missbrauchstaten" durchsucht und vieles mitgenommen. Sie teilten Ende Juni mit, dass sich nach der Auswertung "kein Anfangsverdacht auf noch lebende Beteiligte an konkreten verfolgbaren Straftaten ergeben" habe. Ein Ermittlungsverfahren werde daher nicht eingeleitet.

Antrag des Bistums auf Akteneinsicht unbeantwortet.

Für die Behörde hatte das Material, darunter Fotos von Reisen sowie Terminkalender, keine Bedeutung mehr. Sie betonte, dass es sich nur um Terminkalender handele, nicht um Tagebücher. Für Betroffene oder die kirchliche Aufarbeitung hätten diese Unterlagen aber nützlich sein können. Der Neffe sagt, sein Onkel habe in Terminkalendern penibel über alle möglichen Erlebnisse Buch geführt. Und Missbit weist darauf hin, dass die Terminkalender Betroffenen hätten helfen können, Begegnungen mit Dillinger zu belegen - was für Geldzahlungen der Kirche oder Zivilverfahren hätte Sinn ergeben können.

Ob die Staatsanwaltschaft dafür keinen Blick hatte? Interessant ist der Zeitpunkt, zu dem das Material in der Müllverbrennungsanlage landete: Es wurde am 5. Juli vernichtet - zwei Tage, bevor der Neffe Dokumente abholen wollte - und obwohl ein Antrag auf Akteneinsicht vorlag. Der kirchliche Sonderermittler Jürgen Brauer sagt, er habe sich am 20. Juni an die Staatsanwaltschaft in Saarbrücken gewandt, aber nie eine Antwort bekommen. Brauer äußert sich überrascht über das Vorgehen und spricht von einer bitteren Situation für die Aufarbeitung. Auch ein Antrag des Bistums auf Akteneinsicht vom 6. Juli ist unbeantwortet.

Zu den Hintergründen der Vernichtung steht Aussage gegen Aussage. Die Staatsanwaltschaft gibt an, das Vorgehen sei mit Dillingers Neffen besprochen gewesen und dieser habe zugestimmt. Der Verwandte widerspricht mit Nachdruck und sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Ich gebe nichts frei, was ich nicht kenne." Er arbeitet als Biologe für das Bundeskriminalamt - mit dem Umgang mit Asservaten dürfte er vertraut sein und kein Interesse daran haben, grundlos die Arbeit einer anderen staatlichen Behörde in Zweifel zu ziehen.

Dienstrechtliche Schritte werden geprüft

Trotzdem prüft er nach eigenen Angaben mit seinem Anwalt dienstrechtliche Schritte gegen die zuständige Fachstelle. Er habe keine Liste mit den im Haus seines Onkels sichergestellten Fotos und Unterlagen aus Saarbrücken erhalten. Und der saarländischen Polizei deutlich gesagt, dass er Unterlagen und Fotos in Empfang nehme, um sie anderen Stellen für eine weitere Aufarbeitung zu überlassen; etwa dem Betroffenenverein Missbit.

Die Erklärung des Generalstaatsanwalts Manfred Kost, der inzwischen die Ermittlungen übernommen hat, wirkt unklar. Er entschuldigte sich zwar für die Vernichtung der Unterlagen und sagte, dies sei nicht die richtige Maßnahme gewesen. Die Behörden hätten prüfen müssen, "ob die Unterlagen noch für Vorgänge außerhalb der Strafverfolgung mit Blick auf Opferschutzinteressen und kircheninterne Aufklärungen oder gar bei neuen Ermittlungsansätzen zur Verfügung stehen sollten, auch wenn sich aktuell keine Verdachtsmomente ableiten ließen". Zugleich ist in der Mitteilung von grundsätzlich üblichem Vorgehen die Rede. Die Verantwortung für die Vernichtung wird dem Neffen zugeschoben.

Auf Nachfrage teilte die Staatsanwaltschaft mit, wegen des Verbrennens der Unterlagen keinen "Anfangsverdacht eines strafbaren Verhaltens" zu sehen. Anders sieht das ein Saarländer, der die Staatsanwaltschaft angezeigt hat. Er wirft ihr Rechtsbeugung und illegale Vernichtung von Eigentum vor. Er beantragte außerdem, den zuständigen Staatsanwalt vorläufig zu suspendieren.

Auch Politik involviert

Die Vorgänge ziehen mittlerweile Kreise bis in die Politik. Innenminister Reinhold Jost (SPD) lässt die Vorwürfe der Beweisvernichtung untersuchen. Diese Untersuchung leite der Chef der Polizeiabteilung im Innenministerium. Es handele sich zunächst um eine interne Befassung. Über das Ergebnis werde informiert.

Weitere Antworten soll eine Sondersitzung des Justizausschusses des Landtags am Freitag geben. Dort steht ein "Bericht der Landesregierung hinsichtlich möglicher Beweismittelvernichtungen im Fall Dillinger durch die Ermittlungsbehörden" auf dem Programm. Ziel sei, die Hintergründe und Verantwortlichkeiten für die Vernichtung von Asservaten aufzuklären.

Interessant auch: Mit der Erklärung zur Vernichtung des Materials teilte die Staatsanwaltschaft mit, Ermittlungen gegen eine unbekannte Person im Zusammenhang mit dem Fall Dillinger eingeleitet zu haben.

Das beruhe aber nicht auf dem Material aus dem Dillinger-Haus, sondern gehe auf Medienberichte der "Rhein-Zeitung" zurück, hieß es auf Nachfrage.

 

Quelle:
KNA