DOMRADIO.DE: Auf ihrem Parteitag wollten die Grünen vor allem Antworten finden auf die Probleme und Krisen, von denen wir ja alle betroffen sind. Wie solide sind diese Antworten Ihrer Meinung nach, wenn welche gefunden worden sind?
Ulrich Hemel (Bundesvorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU)): Die Grünen sprechen ja sehr viel von Verantwortung. Das ist durchaus auch glaubwürdig, weil sie viele Wege mitgegangen sind. Aber sie legen ihren Spitzenpolitikern jetzt ein ganz enges Korsett an, sodass sie kaum Raum haben für weitere Verhandlungen und legen damit den Keim einer kommenden Regierungskrise mit an.
DOMRADIO.DE: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat den Rücken gestärkt bekommen bei seinem Vorhaben, zwei Atomkraftwerke bis April 2023 sozusagen in Reserve weiterlaufen zu lassen. Das ist für den Wirtschaftsminister jetzt bindend. Wie wichtig ist diese Entscheidung für die Grünen-Führung? Was meinen Sie?
Hemel: Sie ist sehr wichtig, weil sie Handlungsfähigkeit im politischen Raum zeigt. Denn niemand in Deutschland würde verstehen, dass wir auf verfügbare Atomkraftwerke verzichten und stattdessen sehr, sehr teures Gas einkaufen, das durch den Staat subventioniert wird, teilweise mit Mechanismen, die gar nicht bekannt sind und auch nicht sonderlich gerecht wirken. Das hätte niemand verstanden. Deswegen war das das Mindeste, was zu erwarten war, wenn man die Verantwortung ernst nimmt.
DOMRADIO.DE: Gerade über die Frage nach der Laufzeitverlängerung gibt es ja Streit in der Ampelkoalition. Die FDP ist für eine längere Laufzeit der AKWs. Denken Sie, die Grünen sind dabei jetzt gebunden und lassen da auch nicht mehr mit sich diskutieren?
Hemel: So zumindest will es der Parteitag. Die tatsächliche Politik reicht ja von Parteitagsbeschlüssen immer wieder ab, auch aus guten Gründen. Trotzdem ist es eine schwierige Situation, gerade für die beiden Protagonisten Habeck und Baerbock. Denn ihr Verhandlungsspielraum ist stark eingeengt. Und eine FDP, die in Nöten ist, wird ihrerseits Erfolge suchen. Das ist auch verständlich. Aber es bringt offenen Streit auf der politischen Bühne. Und wie da ein Kompromiss zu finden ist, das ist offen.
DOMRADIO.DE: Über Klimaschutz wurde natürlich auch gesprochen. Dabei wurde der Deal mit dem Stromkonzern RWE gelobt, schon bis 2030 aus der Kohle auszusteigen. Bisher war ja 2038 geplant. Ist das jetzt ein wichtiger Schritt für den Klimaschutz oder eher Zukunftsmusik, während wir jetzt wieder mehr Kohle für den Stromgewinn verbrennen?
Hemel: Es ist beides. Ich denke schon, das ist ein wichtiger Schritt, denn acht Jahre sind acht Jahre. Das ist ein Erfolg, den man tatsächlich auch unterstreichen sollte, finde ich. Auf der anderen Seite: Wenn selbst eine Greta Thunberg als weltweit bekannteste Klimaaktivisten sagt: Im Zweifelsfall ist es besser, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, statt Kohle zu verfeuern, dann macht es schon nachdenklich, warum die deutschen Grünen hier einen solchen Sonderweg gehen möchten.
DOMRADIO.DE: Mehr Kohle wird verfeuert. Waffenlieferungen an Saudi-Arabien sind okay und dann auch noch Atomkraft-Weiterbetrieb für ein paar Monate. Viele sagen, da erkennt man die Grünen ja gar nicht mehr wieder. Was sagen Sie dazu?
Hemel: Das ist für die grüne Basis eine bittere Pille, überhaupt keine Frage. Und bei den Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien ist es sicherlich gut, wenn wir eine noch breitere gesellschaftliche Debatte führen. Denn Saudi-Arabien ist Kriegspartei im Jemen. Und die größte Hungersnot, die wir derzeit auf diesem Planeten haben, die ist eben im Jemen und die ist nicht in der Ukraine. Das wird aber vergessen und kaum gesehen. Deswegen hätte ich mir hier eine noch intensivere Diskussion gewünscht.
Das Interview führte Michelle Olion.