Katholischer Journalist kritisiert Überhöhung des Fußballs

Weniger säkular-religiöse Komponente

Vergleiche zwischen Fußball und Kirche werden gerne gezogen. In den Stadiongesang wird oft mal ein religiöser Hymnus interpretiert. Wird der Fußball nicht oft arg überhöht, fragt sich Matthias Drobinski, Journalist und Amateurkicker.

Deutsche Fans / © Christian Charisius (dpa)
Deutsche Fans / © Christian Charisius ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie sagen, der Fußball werde überhöht. Inwiefern?

Matthias Drobinski  (KNA)
Matthias Drobinski / ( KNA )

Matthias Drobinski (Chefredakteur Publik Forum): Interessanterweise hat sich über die Jahre ein Wechsel vollzogen. Als Borussia Dortmund gegründet wurde, war der Kaplan, der damals die Jugend betreute, total dagegen.

Heute ist es mir manchmal fast schon zu anbiedernd. Nichts gegen das Public Viewing in Kirchengemeinden, das ist ja alles schön. Aber wenn man dann anfängt, Vergleiche zu bemühen, das Stadion sei quasi der Gottesdienst, die Fangesänge seien Kirchengesänge und am Ende ist Gott rund, da denke ich mir auch manchmal, dass man das ein bisschen säkularisieren könnte. 

DOMRADIO.DE: Sie fordern eine Säkularisierung des Fußballs. Warum ist der Fußball denn überhaupt religiös angehaucht? 

Drobinski: Tatsächlich eignet sich Fußball als Spiel in dieser Schwebe zwischen Spielerischem und Ernstem, als Projektionsfläche für alles Mögliche, fürs Politische bis hin zum Wolfsgruß des türkischen Spielers, wie wir gesehen haben. Diese Prjektionsfläche hält auch für die Frage her, wie der Zustand der Republik und der Zustand der Nationalmannschaft ist. 

Matthias Drobinski

"Man darf es dann irgendwann nicht zu ernst nehmen."

Das gleiche passiert im Religiösen auch sehr gut. Man hat natürlich so transzendente Momente, wo man Dinge erlebt, die man überhaupt nicht vorausgesehen hat. Ich denke an Fußballwunder, wo der Kleine den Großen schlägt. Es gibt unglaubliche Spieler, es gibt natürlich auch viel Mittelmaß. Das wird dann schnell ausgeblendet. Aber da eignet sich der Fußball als Massenphänomen. 

Deutsche Fans / © Tom Weller (dpa)
Deutsche Fans / © Tom Weller ( dpa )

Es eignet sich dieses Spiel in dieser Schwebe zwischen dem Gedanken, dass es nicht der Ernst des Lebens ist, aber doch ein Bild für den Ernst des Lebens ist, sehr gut auch für religiöse Metaphern.

Und bis zu einem gewissen Grad kann man das ja auch mitmachen. Man darf es dann irgendwann nicht zu ernst nehmen. Das ist das, wo ich dann die Augenbrauen hoch ziehe. 

DOMRADIO.DE: Inwiefern ist ein religiös aufgeladener Fußball denn problematisch? 

Drobinski: Man könnte sagen, das entwerte das Religiöse. Das würde ich gar nicht sagen. Man kann das ja spielerisch mitmachen. Ich glaube eher andersherum, dass sich da eine Sportindustrie sakrosankt macht. Das ist das, was ich eher kritisiere. 

Das heißt, dass derjenige, der eine quasireligiöse Überhöhung bietet, sich ja auch mal einer demokratischen Kontrolle, der Kontrolle durch Finanzämter entzieht oder der gesellschaftlichen Kontrolle. Hart gesagt ist das, was die Kirchen auch lange hatten, dass sie sich sakrosankt machen konnten und Themen wie "Missbrauch" wie "Umgang mit Geld" oder "Umgang mit Macht" nicht zur Sprache kamen, beim Fußball immer noch der Fall.

Bei den Kirchen ist es Gott sei Dank durchbrochen. Das ist auch eine positive Entwicklung, die den Kirchen hilft. 

Die Angeklagten Theo Zwanziger (l), ehemaliger Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Wolfgang Niersbach (2.v.l., hinten), ehemaliger DFB-Präsident, und Horst R. Schmidt (r), ehemaliger DFB-Generalsekretär, erheben sich zum Auftakt des "Sommermärchen-Prozesses" im Verhandlungssaal am Landgericht Frankfurt / © Boris Roessler (dpa)
Die Angeklagten Theo Zwanziger (l), ehemaliger Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Wolfgang Niersbach (2.v.l., hinten), ehemaliger DFB-Präsident, und Horst R. Schmidt (r), ehemaliger DFB-Generalsekretär, erheben sich zum Auftakt des "Sommermärchen-Prozesses" im Verhandlungssaal am Landgericht Frankfurt / © Boris Roessler ( dpa )

Beim Fußball habe ich den Eindruck, dass das noch bleibt. Zwar gibt es in Frankfurt gerade den Prozess ums Sommermärchen (Die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, Anm. d. Red), wo es um die Frage ging, ob da Steuern hinterzogen wurden, was da genau passierte und wie korrupt die Vergabe war. 

Aber es interessiert die Öffentlichkeit nicht sehr. Vielmehr schaut man hauptsächlich auf dieses tolle Spiel. Dazu passt die Frage, wie viele homosexuelle Spieler es denn eigentlich gibt. Da gibt es nur einen, der sich bisher geoutet hat, Thomas Hitzlsperger. Es gab den Versuch von Aktivistengruppen, Spieler zu einem Outing am letzten Spieltag zu bewegen. Da hat keiner mitgemacht.

Da sieht man, dass bestimmte Bereiche im Fußball einfach ausgeblendet werden, die aber schon auch in die gesellschaftliche Debatte gehören. 

DOMRADIO.DE: Warum werden immer wieder diese Vergleiche gezogen? Warum passen Fußball, Religion und Politik doch so gut zusammen? 

Drobinski: Wenn man so eine Interpretationsfläche hat, kann man da auch viel leichter drüber reden. Man kann leichter über Fußball reden als über die Frage, ob es eine neue Migrationspolitik braucht. Oder bei kirchlichen Themen sind es ernste Debatten, harte Debatten. Wenn man das auf den Fußball überträgt, kann man das Ganze spielerisch machen. Das ist natürlich attraktiv. 

Matthias Drobinski

"Das hat eine säkular-religiöse Komponente."

Man kann dann schon fragen, inwieweit Menschen noch transzendent ansprechbar sind. Wenn die Deutschen Daumen drücken, damit die Nationalmannschaft gegen die Spanier gewinnt, dann hat das etwas Transzendentes. Man glaubt, dass sein Daumendrücken, sein Jubeln irgendwie in Stuttgart ankommt und die Spieler befeuert, weil die wissen, dass das ganze Land hinter ihnen steht. 

Spielbälle "Fußballliebe" / © Christian Charisius (shutterstock)
Spielbälle "Fußballliebe" / © Christian Charisius ( shutterstock )

Das hat natürlich schon so etwas wie eine säkular-religiöse Komponente. Das macht es einfacher, auch über ernste Themen zu reden.

Integration ist ein klassisches Beispiel. Alle freuen sich jetzt, dass es Spieler verschiedener Hautfarben, verschiedener Herkunft in der deutschen Nationalmannschaft gibt. Das ist ja auch gut. Das entlastet auch erst mal, löst aber natürlich nicht die Frage, welche Einwanderungspolitik die Bundesrepublik Deutschland betreiben soll.

Da sieht man, Fußball eignet sich, um Themen anzupacken, aber ist natürlich keine Lösung. 

DOMRADIO.DE: Wie würde mit dem Fußball in einer idealen Gesellschaft umgegangen werden? 

Drobinski: In einer idealen Gesellschaft würde es als wunderbares Spiel wahrgenommen. Ich spiele selber immer noch Fußball und freue mich immer auf den Mittwoch, wenn ich mit den anderen alten Jungs über den Platz trabe. Das ist ja auch wunderbar, ein faszinierender Sport, der mich mein Leben lang begleitet hat. Das Tolle dabei ist die Spannung. Man weiß nicht, wie es ausgeht. Ein Spiel kann sich ganz schnell drehen; auch die Bewegung, die dahinter steht und der Teamgeist, den man braucht. 

Andererseits glaube ich aber, dass eine Gesellschaft einfach auch nüchtern draufschauen und sagen muss, dass eine Förderung vielleicht auch mal nur bis zu einer gewissen Grenze möglich ist.

Vielleicht müssen die Vereine auch mal selber Polizeieinsätze im Stadion bezahlen. Vielleicht müssen sie auch, wenn ein Stadion neu gebaut wird, das noch mal anders finanzieren. Vielleicht ist es wichtiger, eine gute Trainerin für eine Mädchenmannschaft zu finanzieren, als die 1a-Umkleidekabine für die Profis. Das sind Dinge, wo ich mir einen nüchternen Blick auf diesen Fußball wünsche. 

DOMRADIO.DE: Sie beten also vermutlich nicht für den deutschen Sieg gegen Spanien? 

Drobinski: Beten tue ich nicht, Daumen drücken tue ich schon. 

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR