DOMRADIO.DE: War die Annahme von Kardinal Sarahs Rücktrittsangebot durch Papst Franziskus eine Art Rauswurf?
Jürgen Erbacher (Leiter ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch": Es ist schon fast ungewöhnlich, dass der Papst das Pensionsangebot von so einem wichtigen Präfekten annimmt, der 75 Jahre alt geworden ist. Es gibt eine ganze Reihe von Kardinälen, die wesentlich älter sind. Kardinal Ravasi, der Kulturminister, ist mit 78, Kardinal Stella, der die Kleruskongregation leitet, ist mit 80 Jahren noch im Amt.
Von daher kann man schon sagen, dass der Papst mit dieser Entscheidung - zumindest nach all dem, was man bisher so sieht - durchaus ein Zeichen setzen wollte. Es ist auch interessant, dass direkt kein Nachfolger ernannt wurde. In der Regel ist es eigentlich so, dass der Papst bei der Besetzung von Spitzenpositionen den Rücktritt annimmt und dann gleich der Nachfolger bekanntgegeben wird.
Von daher kann man schon sagen, dass diese Annahme der Pensionierung nicht ganz so üblich ist.
DOMRADIO.DE: Wieviel Einfluss hat denn so ein Leiter der Gottesdienstkongregation?
Erbacher: Normalerweise gibt der Chef in einem Ministerium oder in einem Dikasterium, wie es im Vatikan heißt, die Richtung vor. Allerdings ist es auch im Vatikan so wie in vielen Ministerien: Entscheidende Dinge werden auf der Referentenebene gemacht und da hatte Papst Franziskus in den letzten Jahren gerade in der Gottesdienstkongregation auch schon einige Umbesetzungen vorgenommen.
Auch der Stellvertreter von Kardinal Sarah, der Sekretär in der Gottesdienstkongregation, war ein Mann, der durchaus im Sinne von Papst Franziskus ist. Vieles wurde da bereits auf diesen Ebenen verhandelt.
Man hat ja seit vielen Jahren schon gefragt, warum der Papst diesen Kardinal nicht austauscht, der ja ganz offensichtlich nicht ganz auf seiner Linie ist. Franziskus hat darauf immer wieder gesagt, dass er nicht gewählt wurde um Köpfe abzuschießen, sondern um Herzen zu verändern.
Er fährt ja auch an manch anderer Stelle diesen Kurs und denkt: Naja, irgendwann werden sie es doch begriffen haben, was mein Kurs ist und dann in die gleiche Richtung ziehen. Das funktioniert aber nicht immer.
DOMRADIO.DE: Sarah hat recht nüchtern reagiert, ohne Dank und nette Worte. Ist er jetzt beleidigt?
Erbacher: Daran kann man schon auch sehen, dass das kein kein allzu großes Miteinander zwischen Kardinal Sarah und dem Papst war. Nun muss man allerdings auch auf der anderen Seite fragen, wo denn nun die Reformen in diesem Pontifikat von Papst Franziskus sind.
Von daher kann man jetzt auch nicht sagen, dass hier jemand geht, der überhaupt keine Reformen wollte und umgekehrt, dass Franziskus die Kirche auf den Kopf stellen will. Auch da muss man sagen, dass dieser Papst bei Reformen an vielen Stellen bisher die Taten schuldig bleibt.
DOMRADIO.DE: Angelo Comastri ist der Leiter der Dombauhütte von St. Peter, der zweite Kardinal, den Papst Franziskus in den Ruhestand geschickt hat.
Erbacher: Kardinal Comastri ist ein altgedienter Vatikan-Kardinal, der über viele Jahre Erzpriester von St. Peter war und auch die Dombauhütte geleitet hat, also alles das, was rund um den Petersdom mit Restaurierung, Renovierung, Instandhaltung zusammenhängt.
Da gab es offensichtlich auch Ungereimtheiten in den letzten Jahren. Da gab es jetzt in jüngerer Vergangenheit einen vom Papst beauftragten Sonderermittler, der mal in die Kassenbücher schaute, wie denn Aufträge vergeben wurden. Da ist offensichtlich einiges nicht rund gelaufen und ich glaube, das war mit ein Punkt, wo der Papst dann gesagt hat: Okay, jetzt ist Schluss. Hier brauchen wir einen neuen, in dem Fall auch um einiges jüngeren Kardinal.
Mauro Gambetti ist Franziskaner-Minorit, der jetzt erst beim letzten Konsistorium vom Papst ins Kardinalskollegium aufgenommen wurde. Er ist interessanterweise Ingenieur, der auch sicherlich etwas von der Sache versteht, wenn es um St. Peter und die ganze Bau- und Finanzgeschichte geht.
Ich frage mich aber auch, ob der Papst mit einem Franziskaner auch nochmal in diesen Petersdom eine gewisse Spiritualität hineinbringen will. In den letzten Jahren vor Corona glich der Petersdom eher einer großen Bahnhofshalle. Wie kann man aus diesem Ort, der für die katholische Kirche so zentral ist, wieder einen spirituellen Ort machen?
Und wenn da so ein Franziskaner geholt wird, der auch diese Spiritualität vertritt, die dem Papst irgendwie am Herzen liegt, dann könnte das auch eine Perspektive sein, von diesem Massentourismus im Petersdom wieder etwas mehr in Richtung Seelsorge zu kommen.
DOMRADIO.DE: Franziskus muss sich mit seinem Vatikanumbau beeilen. Ganz so jung ist er ja nicht mehr und hat daher nicht ewig Zeit. Ist der Papst sich dessen bewusst?
Erbacher: Der Papst ist sich dessen bewusst, dass er mit seinen 84 Jahren nicht mehr der Jüngste ist. Auf der anderen Seite zeigt er überhaupt keine Ermüdungserscheinungen. Er will weiter den Weg vorangehen und hat sich ja auch einiges vorgenommen. Ende nächster Woche will er in den Irak reisen und manch andere Dinge tun.
Also ich glaube, er ist da noch voll Tatendrang.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.