Landesbischof: "Systemrelevanz" sollte Unwort des Jahres werden

Kirche nicht systemrelevant?

Die Krankenschwester ist es, der Bauarbeiter nicht. Die Einsortierung in "systemrelevante" oder "nicht systemrelevante" Berufe entschied während des Lockdowns darüber, ob Kinder dieser Eltern betreut werden durften oder nicht. Zu Unrecht?

Sie gilt als systemrelevant: die Krankenschwester / © Jens Büttner (dpa)
Sie gilt als systemrelevant: die Krankenschwester / © Jens Büttner ( dpa )

Hannovers Landesbischof Ralf Meister hofft darauf, dass der Begriff "Systemrelevanz" zum "Unwort des Jahres 2020" gekürt wird. "Eine Gesellschaft, die nicht mehr weiß, was geht, rettet sich, in dem sie relativ spontan behauptet, was wichtig ist", kritisierte Meister bei einer Tagung der Internationalen Martin-Luther-Stiftung am Mittwoch in Berlin. Systemrelevanz sei eine spontane Figur, um Bedeutung zu suggerieren. Theologen müssten das ablehnen.

Jesus sagte nicht: Seid systemrelevant!

"Die Kirche ist nicht entstanden, weil sie systemrelevant sein sollte", sagte Meister. "Jesu Rede war keine Rede: Seid nun mal systemrelevant. Jesu Rede war von Anfang bis Ende eine Rede vom Reich Gottes." Mit dem Begriff "Systemrelevanz" "schießt sich die Kirche komplett selbst ins Knie", so der Bischof. Ihr "geistlicher Anspruch" müsse sein, dass sie "nicht zuerst systemrelevant sein will".

Die frühere Ministerpräsidentin Thüringens, Christine Lieberknecht (CDU), begrüßte den Digitalisierungsschub in den beiden großen Kirchen. Man könne nur hoffen, "dass davon ganz viel übrigbleibt".

Erneut Kritik von der Ministerin

Gleichzeitig wiederholte sie ihre im Sommer in einem Zeitungsinterview geäußerte Kritik am Verhalten der Kirche in der Corona-Krise. Sie habe "schmerzlich vermisst", dass die Kirche "nicht als Stimme der unter der Isolation leidenden Menschen vernehmbar" gewesen sei.

Das Mitglied des Rates des Lutherischen Weltbundes, Julia Braband, erinnerte aus eigener Erfahrung an die Situation in manchen Krankenhäusern. Die Thüringer Theologiestudentin, die dem Leitungsgremium der weltweiten Lutheraner als Jugenddelegierte angehört, arbeitete auf dem bisherigen Höhepunkt der Corona-Krise im April und Mai auf der Corona-Isolierstation eines Krankenhauses.

Hat die Seelsorge versagt?

Menschen, die dort starben, hätten weder von Seelsorgern noch von Angehörigen besucht werden dürfen. "Was mich wirklich beschäftigt hat, ist, dass wir in der Seelsorge versagt haben", so Braband.

Selbst habe sie mit Patienten etwa das Vaterunser gebetet, zum Unverständnis mancher Kollegin.

Braband erinnerte zudem daran, dass die Frage der Relevanz von Kirche keine ausschließlich in Deutschland zu diskutierende Frage sei. "Wir müssen auch jetzt daran denken, dass wir eine weltweite Gemeinschaft sind, die von Solidarität und Gebet lebt", sagte sie. Zudem gebe es viele Staaten, deren Gesundheitssystem deutlich schlechter sei als das deutsche.


Quelle:
KNA
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