Kirche in Recklinghausen bietet Obdach für 17 Menschen

"Wollen uns als Nachbarn verstehen"

Kirchen werden kleiner und ärmer. Eine Gemeinde in Recklinghausen testet nun ein Projekt, das zukunftsweisend sein könnte. In der Kirche wird ehemals Obdachlosen eine Wohnung gegeben, während die Gemeinde dort weiter lebt und feiert.

Kirche und Obdachlosigkeit (Symbolbild) / © Harald Oppitz (KNA)
Kirche und Obdachlosigkeit (Symbolbild) / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben in den vergangenen Tagen ein Konzept vorgestellt, dass obdachlosen Menschen helfen will. Was ist da genau geplant?

Karl Kemper (Kreisdechant und Propst in Recklinghausen): Das hat sich über eine längere Zeit entwickelt und verbindet verschiedene Ideen und Komponenten miteinander. Grundsätzlich war für uns sehr wichtig, dass wir unseren Kirchenort behalten möchten. Dass hier in der Kirche die betende und feiernde Gemeinde zusammenkommt. Auch wenn eine Gemeinde kleiner wird, hat sie dennoch eine Möglichkeit, sich als Gemeinschaft zu erleben und zusammenzukommen.

Im Kleinerwerden wollten wir keine geschlossene Gesellschaft sein, sondern uns eher als Nachbarn verstehen, in einer zunehmend pluralen und bunteren Umwelt und Nachbarschaft. Ein zweiter Punkt war uns sehr wichtig: Wir wollten auch unseren Kindergarten immer stärker als einen Ort der Gemeinde erlebbar machen und unsere Einrichtungen in diesem Zusammenhang vergrößern. Das kombinieren wir mit der Möglichkeit, dass hier auch die Gemeinde hinkommen kann und wir gewisse Bereiche gemeinsam nutzen können.

Und was Sie vermutlich als neu oder innovativ bezeichnen, ist die Überlegung: "Wie wünschen sich Menschen heute Kirche in ihrem Einsatz für Menschen, die oft am Rande stehen?" Für jene, die eher keine Stimme haben und die auch eine klare soziale Komponente setzen. Dieses Ausrufezeichen möchten wir insofern setzen, dass wir in das Kirchengebäude 17 kleine Apartments für ehemals Obdachlose hineinbringen. Das rührt uns besonders an, weil die Kirche von ihrer Architektur als Zelt Gottes geplant ist. Das rührt uns schon sehr, dass wir unter diesem Zelt Gottes selbst beten, aber auch einen Ort geben für jene, die vorher kein Obdach hatten. So ist zumindest unsere Idee und unser Plan.

Karl Kemper (Kreisdechant und Propst in Recklinghausen)

"Diese Menschen wollen wir sehr, sehr gerne wieder teilhaben lassen an unserem gesellschaftlichen Leben und an viel Normalität."

DOMRADIO.DE: In der Pressemitteilung wird von "Personen mit brüchigen Lebensläufen" gesprochen. Wie hat die Gemeinde reagiert, als das Konzept vorgestellt wurde?

Kemper: Die Feedbacks, die ich bekommen habe in den verschiedensten Gesprächen mit der Nachbarschaft und der Gemeinde, waren durchweg positiv. Man merkt also, dass hier ein Nerv getroffen wurde, wo Menschen sagen: "Da gibt es eine Auffälligkeit in unserer Stadt, da ist ein Problem zu markieren. Das ist ein ganz wichtiges Element, um Menschen wieder zu integrieren." Wir sprechen oft von Inklusion und hier ist eine Möglichkeit, auf eigene Art eine Inklusion von Menschen zu bewerkstelligen, die viel verloren haben in ihrem Leben. Diese Menschen wollen wir sehr, sehr gerne wieder teilhaben lassen an unserem gesellschaftlichen Leben und an viel Normalität.

DOMRADIO.DE: Wie soll das Projekt denn finanziert werden, ist das Bistum Münster mit inkludiert?

Kemper: Das Bistum Münster ist insofern inkludiert, dass wir auf Hilfestellung des Bistums zurückblicken dürfen. Wir haben die Machbarkeit über eine Studie erhoben und das Bistum hat uns sehr unter die Arme gegriffen. Ansonsten sind wir in einer Situation, in der uns die Ressourcen, nicht nur die finanziellen, wegfließen. Wir greifen auf ein Investorenmodell zurück und versuchen dies zusammen mit einem interessierten Investor zu ermöglichen. Diese Partner steht hinter der Idee und hat uns darin Solidität und Finanzierbarkeit zusichert.

Karl Kemper (Kreisdechant und Propst in Recklinghausen)

"Wir geben natürlich eine ganze Menge ab."

DOMRADIO.DE: Zusammengefasst reden wir von Menschen, die brüchige Lebensläufe haben, die Obdach in dieser Kirche finden und gleichzeitig wird weiterhin Gottesdienste geben. Die Gemeinde muss also auf Kirchenräume und Aktivitäten nicht verzichten, klingt so, als ob es bei diesem Projekt nur Gewinner gibt.

Kemper: So wäre unser Wunsch und so könnte es womöglich auch sein. Wir geben natürlich eine ganze Menge ab. Wir geben die Gebäude ab an den Investor, wir mieten uns in die Gebäude hinein. Dafür bleibt dieser Bereich für uns auch auf Dauer finanzierbar und es ist nicht abhängig von der Haushaltsentwicklung, die auch in dramatischer Weise in den nächsten 15 Jahren auf uns zukommen wird. Wir haben damit also einen sicheren Standort.

Der Investor wird natürlich irgendwo schwarze Zahlen schreiben müssen, hat aber gleichzeitig ein Projekt, das gut in sein Portfolio hineinpasst, dass er auch einen sozialen Aspekt in seinem Unternehmen sehr deutlicher vorstellen kann. Wenn das so gelingen sollte, können wir erleichtert aufatmen und am Ende feststellen, dass aus einer Krise auch etwas errungen worden ist, was vielen Seiten sehr gut stehen wird. Hier wird Kirche, wie wir sie uns wünschen, realisiert.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Quelle:
DR