Kirche und Theater bieten seit 2022 "Godesberger Gespräche" an

"Unser Austausch bringt uns gegenseitig voran"

Was haben sich Kirche und Theater zu sagen? Im Bonner Stadtteil Bad Godesberg bieten beide seit einigen Jahren ein gemeinsames Gesprächsformat an. Das kommt auch der gesamten Gesellschaft zugute, glaubt Schauspieldirektor Jens Groß.

Autor/in:
Roland Müller
Symbolbild Zuschauer im Theater / © lapandr (shutterstock)

DOMRADIO.DE: An diesem Donnerstag ist der Welttag des Theaters. Seit mehreren Jahren bieten Sie im Bonner Stadtteil Bad Godesberg, wo sich das Schauspielhaus der Stadt befindet, die Veranstaltungsreihe "Godesberger Gespräche" an. Gemeinsam mit der örtlichen Pfarrei geht es in der Gesprächsreihe um drängende gesellschaftliche Themen. Wie kam der Kontakt zur Kirchengemeinde zustande?

Schauspieldirektor Jens Groß aus Bonn. / © Thilo Beu (Theater Bonn)

Jens Groß (Schauspieldirektor in Bonn): 2018 wurde ich Schauspieldirektor in Bonn und habe das Theaterfest zur Eröffnung der Spielzeit nach Bad Godesberg geholt. Dort habe ich damals nach Kooperationspartnern gesucht und den Kontakt zum damaligen Stadtpfarrer Wolfgang Picken gesucht, der in inzwischen leider verstorben ist. In Bad Godesberg war Picken sehr präsent durch seine soziale und gesellschaftliche Arbeit. Er hat mich damals etwas irritiert angeschaut hat und sich gefragt, warum das Theater zu ihm kommt. 

Jens Groß

"Inzwischen ist mit bewusst, wie nahe sich viele Arbeitsbereiche sind, die Theater und Kirche behandeln."

Schließlich war die Beziehung zwischen Theater und Kirche im Allgemeinen nicht immer einfach. Ich wollte Kontakt zum Pfarrer aufnehmen, um die gegenseitigen Vorurteile abzubauen. Das war sehr spannend, weil wir nicht so genau wussten, was wir eigentlich voneinander wollten. Daraus hat sich ab dem Jahr 2022 mit den "Godesberger Gesprächen" aber ein sehr fruchtbarer Dialog entwickelt. Inzwischen ist mit bewusst, wie nahe sich viele Arbeitsbereiche sind, die Theater und Kirche behandeln.

DOMRADIO.DE: Warum wollen Sie mit den Bürgerinnen und Bürgern über gesellschaftliche Themen ins Gespräch kommen und Perspektiven für den Bonner Stadtteil Bad Godesberg entwickeln?

Groß: Ich halte es für eine Grundaufgabe von Theater, gegenwärtige Probleme zu thematisieren. Das Theater hat – wie die Kirche – die große Chance, einen öffentlichen Raum anzubieten. Beide gehören zu den wenigen Orten, an denen Menschen zusammenkommen und sich austauschen können. 

Im Theater kann man vollkommen verwundert sein, dass der Nachbar nebenan eine Aufführung anders wahrnimmt als man selbst und dann kommt man plötzlich ins Gespräch. Gerade in den gegenwärtigen Zeiten, in denen die Polarisierung sehr groß ist und man den Eindruck hat, dass die Menschen überhaupt nicht mehr miteinander reden, ist der Austausch einer der wesentlichsten Punkte.

DOMRADIO.DE: Ist die Kirche für Sie ein guter Gesprächspartner?

Groß: Absolut, ein sehr guter Gesprächspartner. Unser Austausch bringt uns gegenseitig voran und wirkt sogar bis in die Stadtgesellschaft hinein. Wir versuchen wirklich uns zu unterstützen, zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe. Es gibt inzwischen tatsächlich viele Punkte, bei denen wir uns mit unseren Erfahrungen gegenseitig weiterhelfen.

Jens Groß

"Wenn es um die Identität einer Stadt geht, kann Theater sehr viel dazu beitragen."

DOMRADIO.DE: Über welche Themen sprechen Sie in ihrer Veranstaltungsreihe? 

Groß: Wir versuchen, die Themen aufzugreifen, die den Menschen in Bad Godesberg unter den Nägeln brennen. Godesberg war bis in die 70er-Jahre hinein eine eigenständige Stadt und wurde dann eingemeindet. Diese Wunden sind noch nicht ganz verheilt. Insofern ist die Frage nach der eigenen Identität von Bad Godesberg noch virulent. 

Der Ort war früher auch das Diplomatenviertel der alten Bundeshauptstadt und besaß eine hohe Bedeutung. Das hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark verändert. Wenn es um die Identität einer Stadt geht, kann Theater sehr viel dazu beitragen.

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns auf die konkreten Themen schauen, welche sind das?

Groß: Im Jahr 2022 haben wir die "Godesberger Gespräche" mit einer Diskussion zum Thema Heimat begonnen. Aber wir haben natürlich auch Themen, wie Gerechtigkeit oder Armut behandelt. Da wird für mich immer deutlich, was Kirche und Theater gemeinsam haben. Das Thema Menschenwürde zum Beispiel, was sowohl im Theater als auch in der Kirche wichtig ist. 

Der derzeitige Godesberger Pfarrer, Pater Gianluca Carlin, und ich sind die Gastgeber der Veranstaltung. Es gibt dann noch eine Moderatorin und wir laden Menschen auf das Podium ein, die etwas zu den Themenkreisen zu sagen und möglichst eine Anbindung an Godesberg haben. Das Wichtigste ist aber, dass wir mit dem Publikum ins Gespräch kommen. 

Jens Groß

"Ich habe gelernt: Es gibt verschiedene Perspektiven, die aber möglicherweise genau dasselbe wollen."

DOMRADIO.DE: Ist es für Sie als Theatermensch eine Herausforderung, so eng mit der Kirche zusammen zu arbeiten?

Groß: Sowohl in Kirchenkreisen als auch in Theaterkreisen mussten wir tatsächlich erst gut vermitteln, warum wir zusammenarbeiten wollen. Es gab zu Beginn der Gespräche einige Vorbehalte gegeneinander, die wir in den vergangenen Jahren abbauen konnten. Mein Ensemble hat mich zu Anfang aber schon gefragt, warum wir als Theater eine Gesprächsreihe mit der Kirche machen sollten. 

Gerade die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre zeigen, wie wichtig es ist, dass man in der Gesellschaft nicht gegeneinander arbeitet, sondern von verschiedenen Standpunkten aus ins Gespräch kommt. Dann ist es auch sehr interessant, wenn der Pfarrer und ich miteinander diskutieren – ich von einem existentialistisch-nihilistischen Gedanken kommend und Pater Gianluca mit einem metaphysischen Hintergrund. 

Ich habe gelernt: Es gibt verschiedene Perspektiven, die aber möglicherweise genau dasselbe wollen. Pater Gianluca ist zudem ein sensibler und intelligenter Gesprächspartner. Zwischen uns ist eine sehr respektvolle Dialog-Freundschaft entstanden ist. Das finde ich wirklich schön.

Das Interview führte Roland Müller.

Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!