Kirchen bieten Telefonseelsorge für Flüchtlingshelfer an

Die Selbstfürsorge nicht vergessen

Tausende Menschen sind aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Viele Menschen hierzulande engagieren sich ehrenamtlich für sie - und manche fühlen sich überfordert. Für sie gibt es eine besondere Telefonseelsorge.

Autor/in:
Nina Schmedding
Telefonseelsorge für Flüchtlingshelfer / © Harald Oppitz (KNA)
Telefonseelsorge für Flüchtlingshelfer / © Harald Oppitz ( KNA )

Matthias Oliver Schneider weiß, dass für Menschen mit Problemen vor allem eins wichtig ist: dass man ihnen zuhört. Vorbehaltlos, ohne Verurteilung, ohne Besserwisserei. "Wir geben keine Ratschläge. Ratschläge sind auch Schläge", sagt der Familientherapeut. Eine Maxime, die er auch beim neuen "Hilfe-Hilfe-Telefon" befolgt, das die beiden großen Kirchen in Berlin gemeinsam mit ihren Wohlfahrtsverbänden für ehrenamtliche Flüchtlingshelferinnen und -helfer eingerichtet haben.

Für Menschen in Krisen

Es ist ein spezielles und nach eigenen Angaben bundesweit einmaliges Projekt der kirchlichen TelefonSeelsorge, die seit mehr als 30 Jahren kostenlose und anonyme telefonische Beratung für Menschen in Krisen anbietet - sei es in der Corona-Pandemie, bei Partnerschaftsproblemen, bei Suizidgedanken oder Schulstress.

Die neue Beratungshotline sei in Berlin besonders nötig, erklärt Schneider, der das Projekt leitet. "Weil es hier brennt. Berlin muss wegen seiner geografischen Lage die größte Last tragen", so der Telefonseelsorger. "Die ukrainischen Flüchtlinge wollen einfach so nah wie möglich an ihrer Heimat dran sein."

Vor drei Monaten freigeschaltet

Vor knapp drei Monaten wurde die Hotline vom Erzbistum Berlin und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz unter der Nummer (030) 403 665 888 freigeschaltet. Die Senatsverwaltung für Gesundheit unterstützt das Projekt finanziell. Tag für Tag von 18.00 bis 22.00 Uhr hören ausgebildete Telefonseelsorgerinnen und -seelsorger sich an, was Flüchtlingshelfern auf der Seele brennt. Im Durchschnitt melden sich zwischen zwei und zehn Anrufer.

Viele berichten demnach von Überforderung, Erschöpfung und auch von Traumatisierung durch die Erzählungen der Geflüchteten. "Es entsteht eine besondere Stimmung in der Wohnung, wenn man dort zusammen mit Flüchtlingen lebt, die Angst haben. Etwa wenn sie mit ihren Angehörigen in der Ukraine telefonieren und nicht wissen, ob das nächste Telefonat noch stattfinden wird", so Schneider.

Selbstfürsorge der Helfenden

Bei der Beratung geht es deshalb auch um Selbstfürsorge der Helfenden. "Wir versuchen, gemeinsam mit den Anrufern herauszufinden, inwieweit sie belastbar sind und noch weitermachen können. Sonst nützt das niemandem", betont Schneider.

So manchem werde sein Zuhause auch einfach zu eng. "Es gibt Leute, die sind mit großem Engagement gestartet, haben Menschen privat bei sich aufgenommen und stellen jetzt fest, dass sie die Wohnung einfach gerne wieder für sich allein hätten. Dieses Gefühl macht ihnen dann Probleme. Sie denken, dass sie es nicht haben dürfen, weil sie ja ein guter Mensch sind." Die Beraterinnen und Berater helfen dabei, die eigenen Gefühle "zu sortieren" und den Anrufenden klar zu machen, "dass sie dieses Gefühl haben dürfen".

Situationen der Helfenden

Wieder andere benötigen inhaltlichen Rat bei der Begleitung der Flüchtlinge, wenn es um sozialrechtliche Fragen, um Kindergarten- oder Schulplatz geht. "Und es gibt auch Menschen, die einfach Angst vor der eigenen Courage haben", sagt Schneider. "Die haben sich dafür gemeldet, jemanden aufzunehmen, und wenn dann der Anruf kommt, entstehen Ängste." Das habe auch damit zu tun, dass Aufnahmewillige unterschreiben müssen, dass die Geflüchteten sechs Monate bei ihnen bleiben dürfen. "Das macht Druck." Er versuche dann, den Helfenden Mut zu machen.

Manchem falle es auch schwer loszulassen, wenn sich die Situation geändert hat und die Geflüchteten die Hilfe nicht mehr benötigen. Ein älteres Ehepaar etwa, das eine Ukrainerin mit zwei Kindern aufgenommen habe, sei traurig gewesen, als die Frau einen Job in der Gastronomie gefunden habe und ausgezogen sei, erzählt Schneider. "Man erfährt in solchen Begegnungen immer nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben eines Menschen. Das ist wie eine angefangene Geschichte. Dann sagt man 'Danke', und jeder geht seiner Wege. Damit muss man zurecht kommen."

Mehr als 915 000 ukrainische Kriegsflüchtlinge in Deutschland erfasst

Seit dem Start der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar wurden in Deutschland schon mehr als 915 000 Kriegsflüchtlinge im Ausländerzentralregister erfasst. Das teilte das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Davon seien 890 605 ukrainische Staatsangehörige (Stichtag 19. Juli). Wie viele der Personen sich derzeit noch in Deutschland aufhalten, ist aber unklar. Eine erhebliche Zahl könne bereits in andere Staaten weitergereist oder in die Ukraine zurückgekehrt sein.

Eine freiwillige Helferin erwartet im Kölner Hauptbahnhof Flüchtlinge aus der Ukraine / © Adelaide Di Nunzio (KNA)
Eine freiwillige Helferin erwartet im Kölner Hauptbahnhof Flüchtlinge aus der Ukraine / © Adelaide Di Nunzio ( KNA )
Quelle:
KNA