Kirchlicher Rüstungsbericht kritisiert Waffenexporte in Autokratien

"Die Gewaltspirale wird nur angeheizt"

Die Kirchen lehnen einerseits Waffenlieferungen ab, andererseits müssen sich angegriffene Länder verteidigen. Prälat Jüsten kritisiert die politische Haltung zu Waffenexporten und appelliert an die christliche Friedensverantwortung.

Autor/in:
Johannes Schröer
Bereits in der Ukraine im Einsatz: Das deutsche Luftverteidigungssystem IRIS- T SLM bekämpft Bedrohungen aus der Luft wie zum Beispiel Drohnen, Flugzeuge, Hubschrauber oder Marschflugkörper. / © Christian Charisius/dpa (dpa)
Bereits in der Ukraine im Einsatz: Das deutsche Luftverteidigungssystem IRIS- T SLM bekämpft Bedrohungen aus der Luft wie zum Beispiel Drohnen, Flugzeuge, Hubschrauber oder Marschflugkörper. / © Christian Charisius/dpa ( dpa )

DOMRADIO.DE: Nach dem Angriff der Hamas auf Israel hat die Bundesregierung verstärkt Waffenlieferungen nach Israel genehmigt. Wie stehen Sie dazu? 

Prälat Dr. Karl Jüsten (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe): Wir sehen, dass Israel ein Selbstverteidigungsrecht hat. Nach dem furchtbaren Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2022 und den entführten Geiseln, die teilweise immer noch entführt sind oder von deren Existenz wir nichts wissen, hat Israel schon das Recht, sich selbst zu verteidigen.

Karl Jüsten / © Jannis Chavakis (KNA)
Karl Jüsten / © Jannis Chavakis ( KNA )

Israel war ständig unter Beschuss aus Gaza, aus dem Libanon und aus dem Jemen. Da muss man sich verteidigen können. Deshalb haben wir akzeptiert, dass die Bundesrepublik Deutschland Waffen nach Israel exportiert, damit Israel sich auch verteidigen kann. 

DOMRADIO.DE: Die israelische Kriegsführung hat aber eine massive Debatte ausgelöst. Kritisieren die Vereinten Nationen und mehrere europäische Staaten Israel zu Recht?

Jüsten: Es gibt ernst zu nehmende Berichte darüber, dass die Israelis selbst die Menschenrechte in Gaza nicht achten. Diese Berichte nehmen wir sehr, sehr ernst. Es gibt erste Forderungen, die eine Untersuchung dieser Situation anmahnen. 

Das Problem ist, dass wir keine richtigen Berichte bekommen, weil es in Gaza keine freie Presse gibt. Das ist ein riesiges Problem. Das lässt aber vermuten, dass die Situation der Menschenrecht sehr angespannt ist. 

Karl Jüsten

"Israel muss garantieren, dass die Waffen, die es von Deutschland bekommt, nicht menschenrechtswidrig eingesetzt werden."

Deshalb sagen wir, dass die Bundesrepublik Deutschland keine Waffen exportieren darf, die dazu beitragen können, dass Menschenrechtsverletzungen im Gazastreifen möglich sind. Dementsprechend dürfen bestimmte Panzer, bestimmte Munition oder bestimmte Ersatzteile nicht geliefert werden. 

Menschen begutachten die Shuhada-Schule in Nuseirat (Gaza), die von einem israelischen Luftangriff getroffen wurde. / © Omar Ashtawy Apaimages/APA Images via ZUMA Press Wire/dpa (dpa)
Menschen begutachten die Shuhada-Schule in Nuseirat (Gaza), die von einem israelischen Luftangriff getroffen wurde. / © Omar Ashtawy Apaimages/APA Images via ZUMA Press Wire/dpa ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das ist eine unlösbare Situation: Einerseits kann man das gar nicht kontrollieren, andererseits muss die Bundesregierung ihre Waffenlieferungen nach Israel von etwas abhängig machen. 

Jüsten: Israel muss garantieren, dass die Waffen, die es von Deutschland bekommt, nicht menschenrechtswidrig eingesetzt werden. Das ist unsere Forderung. 

DOMRADIO.DE: Sie sprechen sich klar gegen die Lieferung von Rüstungsgütern an autokratische Staaten im Nahen Osten aus und nennen beispielsweise Saudi-Arabien. Warum sollten dorthin keine Rüstungsgüter geliefert werden? 

Karl Jüsten

"Die Gewaltspirale wird nur angeheizt."

Jüsten: Das sind Länder, die mit zur Destabilisierung der Region beitragen. Saudi-Arabien ist Kriegspartei im Jemen und hat mit dazu beigetragen, dass Jemen so instabil ist. Jemen ist wiederum ein Land, das Israel angreift. 

Das heißt, die Gewaltspirale wird nur angeheizt. Saudi-Arabien ist kein demokratisches Land. Wir kritisieren ebenfalls Katar. Zudem halte ich Ägypten für problematisch. Es sind im Endeffekt Staaten, die gegen Israel gerichtet sind. 

DOMRADIO.DE: Keine Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien haben Sie bereits im vergangenen Jahr gefordert. Werden diese Forderungen der GKKE gehört?

Jüsten: Wenn Sie den Bericht lesen, dann nicht. Gleichwohl müssen wir die Debatte darüber öffentlich führen, in der Hoffnung, dass sie beachtet werden. 

DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit Waffengeschäften mit der Türkei aus? Die Türkei greift den Irak an und verhält sich in den Kurdengebieten menschenrechtsunwürdig. Welche Kriterien sollten da gelten? 

Jüsten: Die Türkei ist ebenfalls sehr ambivalent zu betrachten. So wie wir Israel sehr ambivalent betrachten. Die Türkei ist NATO-Partner. Da sind wir nicht so kritisch, wenn NATO-Partner Waffen von uns bekommen, weil sie im Grunde die gleichen Standards haben, nach dem die Waffen einzusetzen sind. 

Karl Jüsten

"Die Krisenherde sind dramatisch."

Gleichwohl ist die Türkei, wie wir hören, mit der Zeit kriegerisch aktiv. Sie setzen Waffen ein, insbesondere in den Kurdengebieten. Das sehen wir als außerordentlich kritisch und schwierig an. 

Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, bei den Waffen, die Deutschland in die Türkei exportiert, sehr genau hinzugucken. Denn die Türkei schürt damit weitere Konflikte in dieser Region. 

DOMRADIO.DE: Gibt es auch Zeichen der Hoffnung oder spitzt sich alles zu? 

Jüsten: Zunächst einmal haben wir die große Hoffnung, dass die Bundesregierung heute tatsächlich ihren Rüstungsexportbericht vorstellt. Das ist bereits ein halbes Jahr später als zugesagt. Von daher ist der Termin, nicht ganz zufällig, dass die Bundesregierung den sich für heute ausgeguckt hat. 

Aber insgesamt sehen wir in der Weltlage die Situation eher als schwierig an. Die Krisenherde sind dramatisch. Neben der Ukraine und Israel gibt noch viele andere Kriegs- und Krisenherde in der Welt und die sind nur möglich, weil diese Länder Waffen haben.

Karl Jüsten

"Wir müssen alles daransetzen, dass die Waffen schweigen und dass Frieden herrscht."

DOMRADIO.DE: Die gemeinsame Konferenz von Kirche und Entwicklung ist eine christliche Initiative. Welche Verantwortung oder welchen Auftrag haben Christen, sich da einzumischen? 

Jüsten: Gerade vor Weihnachten, wenn wir die Friedenssehnsucht mehr spüren als zu anderen Zeiten im Kirchenjahr, haben wir einerseits die Pflicht, um Frieden für die eine Welt zu beten. Für Frieden in der Ukraine, für Frieden in Israel, für Frieden in den anderen Konfliktherden. 

Andererseits müssen wir uns einbringen, dass Frieden durch Verhandlungen möglich ist. Der Heilige Vater entsendet Sondergesandte in die Krisenregionen, in der Hoffnung, dass er einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass Gespräche überhaupt möglich sind. Wir müssen alles daransetzen, dass die Waffen schweigen und dass Frieden herrscht. Das ist unser Hauptziel. 

Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung GKKE

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) ist ein ökumenischer Arbeitsverbund zur Entwicklungspolitik.

Gegründet wurde die GKKE 1973. Zu den Arbeitsschwerpunkten gehören Fragen von Gerechtigkeit und Frieden sowie die Suche nach einem fairen und ressourcenschonenden Zusammenleben der Menschen rund um den Globus. Dazu sucht die GKKE den Dialog mit Politik und Gesellschaft, beispielsweise in Form von Podiumsdiskussionen und öffentlichen Stellungnahmen.

Deutscher Panzer / © Filmbildfabrik (shutterstock)
Quelle:
DR