DOMRADIO.DE: Wie blicken Sie auf die vergangenen fünf Jahre zurück? Wenn man die Ausmaße der Zerstörung von Notre-Dame durch den Brand gesehen hat, ist es ja schon fast ein Wunder, dass sie nach fünf Jahren wiedereröffnet werden kann.
Prof. Dr. Barbara Schock-Werner (Präsidentin des Zentral-Dombau-Vereins und Kölner Dombaumeisterin a.D.): Es ist eine großartige Leistung, ein Wunder würde ich es nicht nennen. Wenn Sie Geld ohne Ende haben, was durch die großzügigen Spenden der französischen Konzerne der Fall war und einen Staatspräsidenten haben, der alle Regeln außer Kraft setzt, dann können Sie so etwas schaffen. Man muss die Bedingungen schaffen, dann kann man schnell Großes leisten.
DOMRADIO.DE: Sind alle Restaurierungsarbeiten abgeschlossen oder ist immer noch etwas zu tun?
Schock-Werner: Fertig ist ein relativer Begriff. Der Innenraum ist wohl fertig. Außen wird noch eine ganze Weile gearbeitet werden müssen.
DOMRADIO.DE: Notre-Dame ist für die Franzosen mehr als eine Kirche, oder?
Schock-Werner: Ja, es ist sicher ein Nationaldenkmal. Das hat man bei der Zerstörung gemerkt. Frankreich ist viel säkularer als Deutschland, aber plötzlich waren alle tief betroffen. Das fand ich interessant. Wenn die Grand opéra abgebrannt wäre, wäre das eine Katastrophe gewesen, aber es hätte nicht diese emotionale Betroffenheit ausgelöst, wie bei Notre-Dame. Das war ganz furchtbar.
DOMRADIO.DE: Der Innenraum der restaurierten Kathedrale ist viel heller als vorher.
Schock-Werner: Ja, innen wird sie völlig anders aussehen als vorher, das war ein brauner, eher dunkler Eindruck – auch durch den vielen Schmutz. Jetzt haben sie den Innenraum Notre-Dames gesäubert und gereinigt. Jetzt ist sie strahlend weiß und sieht sehr elegant aus.
Man muss auch bedenken, dass der Stein, aus dem sie gebaut ist, ursprünglich ein sehr heller Stein ist, was man an der Fassade noch sehen kann. Man kommt so dem mittelalterlichen Eindruck der Steinfarbe nahe, obwohl ich nicht sicher bin, ob damals auch schon Farbanträge da waren.
DOMRADIO.DE: Gefällt Ihnen das?
Schock-Werner: Ich bin sehr gespannt. Es ist mehr ein Festraum und macht nicht den Eindruck, den wir von gotischen oder mittelalterlichen Kirchen haben, der ja immer so ein bisschen schummrig, ein bisschen dunkel ist.
DOMRADIO.DE: Wäre es im Kölner Dom auch möglich, den Innenraum so zu reinigen und dass dann alles hell wäre? War das ursprünglich auch so?
Schock-Werner: Nein, der Stein, aus dem der Chor ist, ist Trachit. Der ist hellgrau, der wäre sicher heller. Der Stein, aus dem das Langhaus gebaut ist, hat als Farbe ein helles Braun. Am ehesten ginge es mit der Fassade, wenn man die lasern würde, die würde, wie man an der Ziegelplombe sehen könnte, heller werden. Aber so hell wie den französischen Kalkstein würde man das nie hinbekommen. Außerdem wäre es dann gescheckt: grauer Chor, braunes Langhaus, helle Fassade. Das fände ich nicht so gut.
DOMRADIO.DE: Ist an Notre-Dame alles in den Originalzustand wiederhergestellt worden oder gab es Veränderungen?
Schock-Werner: Man hat sich bemüht, den Zustand von vor dem Brand wiederherzustellen. In den Kapellen wurde die Ausmalung aus dem 19. Jahrhundert rekonstruiert. Die ist jetzt sehr farbig. Das wird ein optischer Eindruck sein. Es gibt ein neues Taufbecken, es gibt eine neue liturgische Ausstattung, es wird schon ganz anders werden.
DOMRADIO.DE: Es gab Kooperationen, auch mit der Kölner Dombauhütte. Fenster aus Notre-Dame wurden dort restauriert und gereinigt. Wie blicken Sie resümierend auf diese Kooperation zurück?
Schock-Werner: Nach gewissen Anlaufschwierigkeiten, die einfach auch daran lagen, dass man sich in Paris organisieren musste und dann noch Corona dazu kam und die Baustelle geschlossen wurde, lief es ganz gut. Mit der Zeit konnte ich mich mit meiner Idee durchsetzen.
DOMRADIO.DE: Ihre Idee war, die Fenster nach Köln zu holen?
Schock-Werner: Ja, ich hatte etwa 250 Hilfsangebote von Leuten, die dort helfen, dort arbeiten wollten. Aber nach drei Besuchen in Paris war mir klar, dass deutsche Handwerker oder deutsche Firmen in dieser Baustelle nicht funktionieren würden, unter anderem aus sprachlichen Gründen, weil da ein gewisser Nationalstolz dahinter ist.
Der zuständige Architekt hat damals gleich alle Fenster des Obergadens, also des oberen Bereichs, ausbauen lassen, um diese Öffnungen stabilisieren zu können. Deshalb wusste ich, dass diese Fenster in Kisten sind. Glasrestaurierung findet nie an Ort und Stelle, sondern immer in Werkstätten statt. In Glasrestaurierung hat Deutschland hohe Kompetenz und Erfahrung.
Also habe ich diese Hilfe angeboten und die wurde gerne angenommen. Wenn Sie vom Westen in die Kathedrale hineingehen, sind es oben rechts die ersten vier Fenster, die in Köln restauriert worden sind.
DOMRADIO.DE: Könnte so ein verheerender Brand auch am Kölner Dom stattfinden?
Schock-Werner: Nein, so verheerend kann es bei uns nicht brennen, weil wir keinen Holz-Dachstuhl haben, sondern einen aus Eisen. Außerdem ist bei uns der Brandschutz sehr viel weiter entwickelt als er in Frankreich war. Die Dombauhütte arbeitet gerade mit einer deutschen Firma zusammen, um Brandmelder zu entwickeln, die zwischen Weihrauch und Feuerrauch unterscheiden können, was für katholische Kirchen ganz wesentlich ist.
In der Turmbesteigung, wo wir Brandmelder haben, hat Weihrauch schon mehrfach Alarm ausgelöst. Rauch ist für die Melder Rauch.
DOMRADIO.DE: Sie werden am Sonntag bei der Wiedereröffnung von Notre-Dame dabei sein. Wissen Sie schon, wie der Ablauf sein wird?
Schock-Werner: Auf den Eröffnungsgottesdienst in dieser wunderbaren Kathedrale freue ich mich. CDU-Politiker Armin Laschet wird dabei sein, der ganz wichtig ist, weil er ja als ehemaliger deutsch-französischer Kulturbeauftragter für das Geld gesorgt hat. Staatsminister Nathanael Liminski als Europaminister des Landes, der damals auch mitgeholfen hat, ist ebenfalls Teil der offiziellen Delegation.
Das Interview führte Johannes Schröer.