Mehrfach war der Termin bereits verschoben worden. Eigentlich hätte der Guss der Kölner Petersglocke in der zweiten Jahreshälfte 1922 stattfinden sollen. Die Gussform war bereits im Juni des Jahres fertiggestellt worden und wartete nur noch darauf, dass Glockengießer Heinrich Ulrich im thüringischen Apolda sie mit flüssiger Bronze füllte.
Doch finanzielle Schwierigkeiten verzögerten den Guss immer wieder. Die ab Herbst des Jahres einsetzende Inflation ließ auch die Preise für Kupfer und Zinn, aus denen die traditionelle Glockenbronze besteht, wie auch für Brennholz sprunghaft ansteigen.
Der Gussvertrag zwischen Ulrich und dem Kölner Metropolitankapitel wurde schließlich Anfang 1923 in einer Neufassung abgeschlossen, die dem Gießer etwas mehr Sicherheit geben sollte. Doch auch im März des Jahres konnte der Guss nicht stattfinden, da es Ulrich immer noch nicht gelungen war, das notwendige Brennholz zu beschaffen. Als endgültiger Termin wurde nun Ende April festgelegt. Als auch dieser verstrich, bat die Dombauhütte den Gießer, den Guss per Telegramm anzukündigen.
Dompropst verärgert über Kommunikation
Am 5. Mai, einem Samstag, war es dann abends um 21 Uhr so weit: Heinrich Ulrich stieß den Zapfen aus und etwa 24.000 kg flüssige Bronze ergossen sich in der Glockenform – ohne Anwesenheit des Auftraggebers. Nach 9 Minuten und 32 Sekunden war alles vorbei. Erst dann informierte Ulrich das Domkapitel und die Dombauhütte per Telegramm über den erfolgreich durchgeführten Guss. Auch eine entsprechende Pressenotiz brachte er auf den Weg, sodass die Kölner bereits am darauffolgenden Tag in der Zeitung lesen konnten, dass der "decke Pitter" nun endlich gegossen worden war.
Dompropst Arnold Middendorf zeigte sich sehr verärgert. Nicht nur, dass die Information per Telegramm vor dem Guss ausgeblieben war, auch die Information an die Presse ohne vorherige Abstimmung mit dem Domkapitel führten zu einer Anspannung des Verhältnisses zwischen Köln und Apolda. Als dann Ulrich auch noch Nachforderungen stellte, weil ihm die Kosten für den Guss aus dem Ruder gelaufen waren, liefen die weiteren Auseinandersetzungen über die Anwälte. Kölner Bürger brachten schließlich die zusätzliche Summe von 5.000 US-Dollar – die Reichsmark war wegen der Inflation ungeeignet – auf, um den Gießer zu entschädigen.
Erzbischof erwirkte Aufschub des Transports
Der Transport der Glocke von Apolda nach Köln verzögerte sich ebenfalls aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Situation, die von der Ruhrkrise, der Hyperinflation und der deshalb Not leidenden Bevölkerung geprägt wurden. Gerade letzteres war der Grund, weshalb Erzbischof Karl Joseph Kardinal Schulte noch Anfang 1924 einen Transport ablehnte, was er Dompropst Middendorf in einem Brief mitteilte und darauf verwies, dass zwar der Erzbischof in seiner Kathedrale nichts ohne Einverständnis des Domkapitels vermöge, aber auch das Kapitel nichts ohne das Einverständnis des Erzbischofs.
Erst nachdem sich das öffentliche Leben 1924 mehr und mehr normalisiert hatte, konnte die Petersglocke vom 10. bis zum 14. November mit der Bahn von Apolda nach Köln transportiert und am 30. November durch Kardinal Schulte geweiht werden. Der Transport von der Glockengießerei zum Bahnhof Apolda und in Köln zum Dom wurde filmisch festgehalten. Diese Dokumentation existiert bis heute und wurde zuletzt im Mai 2023 im Rahmen der Feierlichkeiten zur 100. Wiederkehr des Gusses in Apolda vorgeführt.
Heinrich Ulrich hörte Petersglocke nicht mehr
Seit bald 100 Jahren hängt nun die Petersglocke in der Glockenstube im Südturm des Kölner Domes. Ihre Inschrift nennt weiterhin das ursprünglich geplante Gussjahr 1922. Doch die unsichere Situation in der noch jungen Weimarer Republik sorgte dafür, dass sich der gesamte Entstehungsprozess verzögerte und von der Auftragsvergabe an Glockengießer Heinrich Ulrich am 13. März 1922 bis zum ersten Läuten am 25. Oktober 1925 (!) über dreieinhalb Jahre vergingen.
Ulrich konnte seine Petersglocke selbst nicht mehr hören. Er starb am 12. Februar 1924 in Weimar an einer schweren Grippeerkrankung. Wenige Tage zuvor hatte er sich noch in Bergisch Gladbach aufgehalten, wohin seine Gießerei in jenem Jahr drei Glocken an die St. Laurentius-Kirche lieferte. An der Thüringer Landtagswahl am 10. Februar – jener Schicksalswahl, bei der erstmals Rechtsextreme zu Mehrheitsbeschaffern wurden – wirkte Heinrich Ulrich noch als Wahlhelfer mit. Sein Grab befindet sich auf dem Historischen Friedhof in Weimar.